die aufgehobene Peitsche des Sklaventreibers
Preisträger – Leipziger Buchpreis 2016 – Sachbuch/Essayistik
Georg Forster ist einer der Schriftsteller, die vielleicht nicht mehr jedem bekannt sind, aber in vielem noch wert wären, wieder gelesen zu werden – und auf Umwegen fortwirken, in seinem Falle etwa in Alexander von Humboldts Werk. Es gibt auch die Georg-Forster-Studien (gerade erschien Nr XX · 2015: Literarische Weltreisen), worin das Vermächtnis untersucht wird, das also verborgen höchst lebendig ist.
Nun wird er einer breiteren Leserschaft auch durch eine sehr gelungene Biographie vermittelt, die, während in besagten Studien der „Weltreisende als Heros der praktischen Urteilskraft” vorgestellt wird und in verschiedene Kontexte gerückt wird, sich um ein ganzes Bild bemüht – mit Erfolg, was angesichts des Lebens Forsters mit all seinen Facetten nicht selbstverständlich ist, man kann Goldstein zum Resultat gratulieren.
Er zeichnet die Linie zwischen Natur und Freiheit, trifft die Paradoxien – etwa, daß Forster weltabgeschieden aufwuchs –, zeigt den Vektor von Forster zu eben Humboldt und damit natürlich auch Darwin… Forster ist dabei einer, der das Andere sieht, aber nicht vereinnahmt, auch nicht unter dem Begriff des Anderen; man lese Georg Forsters Texte, worin Reisen oft eine Art descensus ist, ins Dunkel, eine bezeichnende Bildlichkeit, da die Sonne ja auch über unentdecktes Land scheint: „Noch war die halbe Oberfläche der Erdkugel von tiefer Nacht bedeckt”… Zudem ist dieses Land ja entdeckt, nur wird den Entdeckern implizit die Relevanz abgesprochen; denn wer bevölkert diese Nacht, dieses „wilde Thal”? Es sind vertierte Wilde, deren Ordnung für Forster Gegenordnung ist, also keine: „Nicht wahr? man muß außerordentlich schön seyn, um es in diesem Wildenschmuck noch zu bleiben?” Bis zu diesem Punkt: düsterer Kolonialdiskurs; doch dann wird ein Recht angedacht, welches „jederzeit wechselseitig” sei; darin klingt plötzlich die Reflektiertheit Alexander von Humboldts immerhin an, der von jenen, „die wir gegenwärtig Wilde nennen”, schreibt.
Es sind diese Passagen, die meines Erachtens Forster zu einem machen, von dem ganz plötzlich jene lernen könnten, die das mit den postcolonial studies noch nicht verstanden: daß das Gegenüber weder assimiliert werden muß, noch seinem Widerstand vorgreifend man es stilisieren soll – wie Italien unlängst, als man Statuen verhüllte, um den iranischen Besuch nicht zu vergrämen, was zurecht Spott zeitigte, und zwar auch aus dem Iran…
Forster ent-täuscht stattdessen; das Wilde kann bei ihm Kontrakte zeichnen und wird wortmächtig – und das Idyll entsetzt:
„Wie um seinen Realismus zu belegen, schreckt Forster nicht vor Beschreibungen zurück, die den Wunschvorstellungen der Europäer, in der Südsee paradiesische Zustände vorzufinden, zuwiderlaufen. So berichtet er bei seinem Besuch der Freundschaftsinseln von Aussätzigen, »bey denen die Krankheit zu einen sehr hohen Grad gekommen war. Ein Mann insbesondre hatte über den ganzen Rücken und über die Schultern, ein großes krebsartiges Geschwür, das innerlich völlig blau, auf dem Rande aber goldgelb war. Und ein armes Weib, hatte auf eben diese elende Weise, fast das ganze Gesicht eingebüßt. Statt der Nase sahe man nur noch ein Loch; die Backen waren geschwollen und eiterten aller Orten; die Augen waren blutig und wund, und schienen aus dem Kopfe fallen zu wollen. Mit einem Wort ich erinnere mich nicht, je etwas bejammernswürdigers gesehen zu haben.«”
Das ist nicht das Stereotyp des „edlen Wilden”. Eine andere Frage ist dann, was es bedeute, wenn der Mensch immer Mensch ist – ob nämlich, so Forster, dem die Rassismen seiner Zeit natürlich geläufig sind, „die Annahme einer Polygenese oder Monogenese den Skandal einer Versklavung von Menschenrassen […] zu verhindern […] in der Lage sei”, er „bezweifelt […], dass »schon irgendwo ein einzigesmal« die Annahme einer Monogenese »die aufgehobene Peitsche des Sklaventreibers sinken hieß«” – was neben Scharfsinn auch einen bedrückenden Realismus verrät, der in Zeiten, da Waffen exportiert, aber Flüchtlinge als deren direkte Folge vor der „Festung Europas” aufgehalten werden sollen, leider aktuell ist.
Forster selbst denkt ferner in Bildern, die jede Teleologie, welche dementgegen an Vernunft glaubte, jedenfalls erschüttern:
„Humboldt und er sind am Basalt interessiert, eine Gesteinsart, deren Entstehung zu ihrer Zeit noch umstritten war, aber bereits mit dem Vulkanismus in Verbindung gebracht wurde. Während ihrer Fahrt auf dem Rhein, an Boppard, Koblenz, Andernach vorbei bis Bonn, ehemaliges vulkanisches Gebiet passierend, betrachten sie als Naturforscher »die Spur ehemaliger Umwandlungen und großer entscheidender Naturbegebenheiten«. Das klingt harmlos, ist es aber nicht. Wie bei Goethe besitzt die Naturbetrachtung bei Forster eine politische Tiefenschicht.”
Denn, so Goldstein:
„Mit den verstörenden Naturbildern […] stimmt Forster den Leser auf das Eruptive politischer Umwälzungen ein. Die Revolution ist das unterirdische Geschehen der Natur. In der Natur ringen widerstreitende Kräfte miteinander. Sie bieten ein Schauspiel, »schön und erhaben selbst in ihrer zerstörendsten Wirkung. Im Ausbruch des Vesuv, im Gewittersturm bewundern wir die göttliche Unabhängigkeit der Natur. […] Nicht anders verhält es sich mit der Menschheitsgeschichte. Die starken Naturmetaphern, die der Vulkanismus Forster bietet, stehen im zeitgeschichtlichen Widerspruch zum Fortschrittsdenken einer allmählichen, kontinuierlichen Vervollkommnung.”
Forster ist ein wacher und verstörender Denker; und dies in vielerlei Hinsicht. Dies und noch mehr macht Forster zu einem, den zu kennen sich lohnt – und zu lesen lohnt sich die verdienstvolle, gut geschriebene Biographie, die ein erster Schritt zu jener Entdeckung für manchen Leser sein könnte.
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