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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Macht seinem Namen alle Ehre, aber lässt ihn auch entgleiten

Julia Trompeter, "Zum Begreifen nah"
Hamburg

Warum nicht von Zärtlichkeit schreiben,
wenn sie als Schatten über die Tasten huscht.

Dieser in manchen Stücken überraschend weit in meine Gefühle gelangte Gedichtband von Julia Trompeter, der seinem Titel – "Zum Begreifen nah" – an manchen Stellen sogar alle Ehre macht - er beginnt mäßig und endet durchwachsen. Und dennoch halte ich ihn für sehr lesenswert, ziehen mich mehrere Einzeltexte in ihren Bann.

Ich bin erst sehr spät warmgeworden mit diesem Buch. Nach einer erneuten Lektüre darf ich behaupten, dass das nichts mit meiner Auffassungskraft oder Hingabe hingabe zu tun hat, sondern mit der Qualität der ersten Texte. Von allen fünf römisch nummerierten Kapiteln ist Nr. I das seichteste, unergiebigste.

In diesen ersten Gedichten präsentiert sich die lyrische Intonation als eine Ansammlung leicht angewehter, hinaussegelnder Gemütlichkeiten, hinter denen das, was sich sprachlich an die Existenz herantastet, zurückbleibt und glatt gestrichen wird. Eine gewisse Poesie-Beliebigkeit entsteht:

Zum Jahresende wird alles knapper,
auch Küsse am Morgen, und
Verästelungen des U-Bahn-
Netzes enden im Dunkeln.

Man kann ahnen, was für eine Atmosphäre in diesem Gedichtanfang angepeilt wird. Vielleicht greift man sogar das Bild auf und versucht es auf die Atmosphäre zu legen. Aber man würde sie enger machen, sogar beschneiden müssen, wenn sie in dieses Bild passen soll. Und dann ist es kein gelungenes Bild, denn es sollte umgekehrt sein: die poetische Darstellung muss so gelingen, dass die dargestellte Atmosphäre immer noch kleiner ist, von der Weite des Bildes verdichtet.

Nah dran an den Aspekten einer Wirklichkeitsdurchdringung, aber entfernt vom poetischen Aufdecken; zu wenig ausgestaltet, aber trotzdem ins Blickfeld des Lesers geworfen; süß und nachspürend. Ja, es gibt da ein Gefühl, manchmal ist aber nicht nur zum Greifen nah, sondern zu naheliegend und angreifbar. Dazu tragen vor allem die Übergänge zwischen den einzelnen Elementen bei, die oft zu offen-sichtlich sind – da ist kein Blitz, der zwischen zwei elektrisch geladenen Teilchen überspringt, vielmehrt wirkt es so, als würde langsam ein Gegenstand über den Tisch geschoben. Diese Langsamkeit kann sich meiner Ansicht nach im ersten Teil nicht als Stärke entpuppen, zumal die Texte manchmal frech und manchmal tief sein wollen.

Und noch ein letzter Aspekt nervt in diesem ersten Teil: Was ist ernst gemeint, was ist Dummer-Lyrik-Streich? Man erhascht dann und wann eine weitweisende, intelligente Albernheit, aber auch das Plumpe scheint nicht ausgespart.

wo sind die Orte,
wo die Ruhe, wo das stille Schöne,
und wer vermisst mich, wenn
ich nicht mehr Sprache bin.

Kapitel II umfasst sieben Gedichte, ist mit "Lamellen" überschrieben und beschäftigt sich mit Traumerfahrungen und -empfindungen. In der diffusen Auslotbarkeit der in diesen Texten erzeugten Wort-Landschaften wird aus Trompeters Sprache plötzlich ein Medium angefüllten und gelungenen Gewahrwerdens. Es entzieht sich zwar allen erklärenden Tendenzen, aber dokumentiert schemenhaft, zum Begreifen nah, das Räderwerk von Träumen und den zu ihnen gehörigen Aus- und Einbildungen. Ein Textbeispiel:

Was sich in mir verkriecht,
tief unterm Spiegelsaal,
im Aufziehvogel-Schacht,
dem fensterlosen Raum,
im Niemandsland der Lust
ganz lose nur verortet,
doch eng umschlugen
vom Zwölffingerdarm

In den folgenden beiden Kapiteln verlagert sich das Nachspüren und zum-Greifen-nah-Sein dann auf Erinnerungen, Vermissen und Heimat (nicht nur als Landschaft, sondern als Begriff für eine Anziehungsart verstanden).

Die große Ruhe in Trompeters Poesie kommt hier sehr gut zur Geltung, und die besten Gedichte des Bandes (die teilweise sogar auf erstaunliche Weise sinnliche Höchstwerte erreichen) sind in diesen beiden Teilen zu finden. Der Sprache gelingt es hier, gleichsam auf einer Schicht von Haut entlangzufahren, die plötzlich zur Haut des Lesers werden kann – so nah ist das Vermittelte an einen herangetreten.

Sowas wie Wärme aus Erinnerungen graben,
sich niederlegen und den Zeiger rückwärts
drehen in ein altes Lot, so denkt es sich
dies letztens Endes vielleicht hochbegabte Tier.
[…]
Du fehlst von innen

Ich für meinen Teil fühlte mich in diesen Gedichten geradezu wohl und hatte plötzlich, nachdem ich zunächst sehr unschlüssig über mein Urteil war, den Eindruck, einen grandiosen Gedichtband vor mir zu haben. Dieses Gefühl ist geblieben, wenn auch durch das V. Kapitel wieder Zweifel darauf getropft sind. In diesem letzten Teil nimmt sich das Buch teilweise erneut zu wichtig und vernachlässigt darüber die Berührbarkeit des Gesagten.

Man könnte schließen und sagen: "Zum Begreifen nah" ist ein guter Gedichtband. Aber das ist eigentlich zu wenig. Vielleicht geht es so: Alles, was ich an Kritik in diese Besprechung gepackt habe, ist nebensächlich, sobald einer der großartigen Momente eintritt, bei denen man dem, was man selbst an Gefühlen und Eindrücken vom Leben aufgeschnappt hat, durch die Gedichte auf den Seiten zum Begreifen nah kommt. Julia Trompeters Gedichtband weist Seiten auf, bei denen das nicht geschieht und man sich leicht ernüchtert fühlt. Umso wichtiger ist es, die Momente des Begreifens in den guten Gedichten nicht zu versäumen. Und irgendwie liegt Poesie ja gerade in der Wegstrecke, die vom Ernüchtertsein zum Begeistertwerden führt, eine Wegstrecke, die eine gelungene Gedichtwendung in Nullkommanichts zurücklegt.

Der blaue Reiher, da
Zieht er mit hart gefrorenem
und messerscharfem Schnabel
aus dem vereisten
Aachener Wasser,
das er mit seinen
frostigen Krallen
aufgemischt, heraus:
ein fauliges Elektrokabel.

Und würgt es sich hinein.
Wie cool kann man sein.

Julia Trompeter
Zum Begreifen nah
Schöffling & Co.
2016 · 112 Seiten · 18,95 Euro
ISBN:
978-3-89561-636-5

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