Man schreibt, indem man einer Fliege beim Sterben zusieht
Sie: ein verwüstetes Gesicht, eine gebrochene Stimme.
Das Leben, sagt sie, es ist so: man kann nichts tun. Man muss es einfach nur leben.
Ich ziehe die Menschen an.
Sie sehen etwas in mir, von dem ich nichts weiß.
Sie erinnern sich.Vielleicht sehen sie sich selbst.
Das ist alles.
Das Hörspiel, aus dem diese Sequenz stammt, wurde 2012 im Radio gesendet. Ich hatte in der Zeitung eine Vorankündigung gelesen und den ganzen Tag voller Vorfreude auf die Sendung verbracht. Spät in der Nacht saß ich dann allein in der Küche und tauchte ein in die Welt der Duras, in ihre Stimme und Stimmung, in die Schwingungen, die Zeit ihres Schreibens ihre Bücher ausgemacht hatten.
Für sein Hörspiel hat Kai Grehn Texte aus zwei Büchern von Marguerite Duras ausgewählt, den Essay „Schreiben“ und die letzten Aufzeichnungen vor ihrem Tod, „C´est tout“. Dazu hat er Jeanne Moreau als Sprecherin für die französischen Originalsätze gewonnen, und Mechthild Großmann für die deutsche Übersetzung. Es ist nichts Neues entstanden, und doch ist dieses Hörspiel eine Begegnung mit der Duras, die ich niemals zuvor so erlebt habe.
Durch Schnitte, Anordnungen, Wiederholungen und Variationen, gelingt es Grehn ein wenig tiefer vorzudringen zu dieser Frau, die selbst nie ganz ergründen konnte (und wollte!), was sie geschrieben hatte.
Mit den brüchigen Stimmen von Jeanne Moreau und Mechthild Großmann und der Musik von Mariahilf, die einen perfekten Hintergrund erschaffen, hat Kai Grehn die somnambule Stimmung, die die Texte der Duras stets umgibt, perfekt eingefangen.
Für Marguerite Duras war Schreiben immer ein Bekenntnis zu sich selbst, über das Verstehen hinaus.
Sie hat sich selbst erfunden, spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem sie ihren Geburtsnamen Donnadieu eintauschte gegen den Namen der Gegend, aus der ihr Vater stammte: Duras. Von diesem Moment an, war sie bereit den Preis des Schreibens zu zahlen.
Andreas Fehling, der im Hörspiel Yann Andrea seine Stimme leiht, fragt Marguerite Duras: „Womit sind Sie beschäftigt?“, und sie antwortet: „Mit dem Schreiben. Eine tragische, d.h. auf den Lauf des Lebens bezogene Beschäftigung. Ich bin darin, ohne mich anzustrengen.“
Später fragt Yann Andrea sie: „Wollen Sie etwas hinzufügen?“, und sie sagt: „Ich kann nicht hinzufügen. Ich kann nur erschaffen. Nur das.“
Kai Grehn scheint diesen Satz für sein Hörspiel sehr ernst genommen zu haben. Er hat einen Dialog geschaffen, einen Dialog, der auf mehreren Ebenen funktioniert. Als Zwiesprache der Schreibenden mit dem Schreiben, als Dialog der Liebenden mit dem Liebhaber, aber auch als Gespräch des Lebens mit dem Tod. Auf diese Weise erschafft das Hörspiel ein Porträt der Duras, das sie zeigt, wie sie sich selbst gesehen hat, und das gleichzeitig darüber hinaus geht. Schön und rätselhaft wie alles, was die Duras geschrieben hat.
Die Form des Dialogs, die Grehn gewählt hat, und der weit über die einfache Form des Gesprächs zwischen Yann Andrea und Marguerite Duras, wie sie in „C´est tout“ vorliegt, hinausgeht, fügt nichts hinzu und erschafft dennoch etwas Neues. Die Fragen bilden den Hintergrund, sie sind die Triebfeder für die Antworten, aber auch für die Zweifel, die verzweifelten Behauptungen, aus denen das Leben auch besteht.
Grehn spielt mit den Fragen und den Formen, vor allem aber arbeitet er mit Wiederholungen. Einige Dialoge zwischen Yann Andrea und Duras variiert er so, dass sie der „Wahrheit“ immer näher rücken, indem sie von unterschiedlichen Seiten angegangen werden.
Das einzige, das Grehn den Texten der Duras hinzugefügt hat, sind die Stimmen. Aber das ist ihm auf eine Art und Weise gelungen, die es den Worten ermöglicht, eine neue Bedeutung zu gewinnen, allein durch die Stimmen.
Das Schreiben ist das Unbekannte. Bevor man schreibt, weiß man nichts von dem, was man schreiben wird. Und zwar in aller Klarheit.
Das Schreiben geht vorüber, wie das Leben vorüber geht. Was bleibt ist die Erinnerung, die Erinnerung an die Duras. Das ist alles.
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