Nur eine Katzenwäsche
Weder Tiere, Pflanzen noch Personen wurden bei der Herstellung dieses Buches wissentlich verletzt, steht im Impressum von Karl Wolfgang Flenders Debutroman. Unter dieser Erklärung, die nichts verspricht, außer moralischer Reinwaschung, prangt das FSC-Logo, Forest Stewardship Council. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier aus verantwortungsvollen Quellen. Dann bin ich beruhigt, auch wenn ich nicht weiß, was eine verantwortungsvolle Quelle ist. Eine schwammige Bezeichnung, wie Honig aus EG- und Nicht-EG-Ländern.
Wenn man Greenwash Inc. gelesen hat, guckt man schon mal etwas genauer hin und hinterfragt solche Versprechen. Aber nicht unbedingt hartnäckiger, als es in der E.ON-Werbung vorgemacht wird. Sagt mal Dumont, wenn ihr immer so viele Bücher druckt, wird es da in Zukunft überhaupt noch genug Bäume geben? Mag sein, dass das zynisch klingt. Sorry. Scheint so, als färbe Thomas Hessel, der Protagonist in Flenders Roman, ein wenig ab. Dabei wirkt er selbst ein wenig abgepaust, von Bret Easton Ellis etwa, von Frédéric Beigbeder und Christian Kracht sowieso. Dass bisher alle Rezensenten von Greenwash Inc. dieselben Vergleiche gezogen haben, spricht nicht unbedingt gegen sie. Denn diese Vergleiche drängen sich mehr als unterschwellig auf.
Thomas Hessel ist jung, konsumgeil, marken- und tablettenabhängig, ein Zyniker vor dem Herrn. Und er ist erfolgreich in der Agentur Mars & Jung, die mit ebenso ausgeklügelten wie perfiden Kampagnen Greenwashing für ihre Klienten betreibt. Ob Brandrodungen in Brasilien, tote Näherinnen in Indien oder so genanntes „Recycling“ in Afrika; kein Szenario ist der Agentur zu heikel, um es nicht mit einer wohlüberlegten Inszenierung ins rechte Licht zu rücken. Da wird ein Model vor eine Hütte im Dschungel gesetzt, sie bekommt ein Kind in die Hand gedrückt und wenn die Flammen kommen, rennen bitte alle in dieselbe Richtung. Charity-Porn nennt Hessel das. Für eine gute Story geht er über Leichen. Sie haben sich nicht verlesen. So steht es auch im Klappentext.
Wenn Sie jetzt noch Lust haben weiterzulesen, sind Sie womöglich genau der richtige Leser für diesen Roman, dessen Ironie und Zynismus von Anfang an sehr hochtourig daherkommen. Und das muss wohl auch so sein, damit die angekündigte Abrechnung mit der Feel-Good-Bio-Industrie nicht gleich wieder verpufft. Dementsprechend teilt Flenders Protagonist auf 400 Seiten kräftig aus. Mal explizit gegen Hippies, die nicht checken, dass der Besitzer des Öko-Hostels trotzdem einen 15-Liter SUV fährt. Mal implizit gegen die moderne Medienwelt, die alles als authentisch ab- und verkauft, solange das Ganze „mit dem Smartphone gefilmt, der Ton schön übersteuert“ ist. „Dann bei YouTube hochgeladen, Quelle: Internet, so sehen echte Nachrichten aus.“ Wer braucht schon Ideale, wenn er Tranquilizer und ein fettes Spesenkonto hat?
Das klingt alles sehr vertraut und bedient sowohl Klischees als auch Erwartungen an einen Roman, der vor dem Hintergrund einer wie auch immer gearteter, in jedem Falle aber dubioser Industrie spielt. Ganz genau so oberflächlich und moralisch verkommen stellt man sich Yuppies vor. Ihre Lieblingsmarken ändern sich vielleicht. Je nach Branche fahren sie BMW oder teure Rennräder, geben vor, auf Nachhaltigkeit zu achten, essen vegetarisch, tragen Ray-Ban-Brillen, nur Ray-Ban-Brillen. So gesehen ist Thomas Hessel eigentlich ein neuer Typus, eine Mischung aus Hipster und Yuppie. Aber das ist eben, wie in der Welt dieser Figuren allzu oft, nicht viel mehr als Oberfläche.
Und weil all diese bekannten Versatzstücke so oder so ähnlich in Flenders Roman vorkommen, stellt sich unweigerlich die Frage: Wird hier mit dem Leser gespielt? Wird ihm ein kalkuliertes Produkt serviert? Ein Buch über einen bösen, aber doch irgendwie bemitleidenswerten Orientierungslosen aus der Generation Y in dieser ganz und gar verkommenen Welt?
Mag sein. Aber wenn dem so ist, verspekuliert Flender sich leider. Denn die (meta-)ironisch eingesetzten Klischees fressen sich spätestens dann selbst auf, wenn Marina auf den Plan tritt. Marina ist so was wie Thomas' Freundin, aber welcher Hipster kann sich schon eindeutige Beziehungen leisten? Also driftet der Roman leider viel zu oft von seinem eigentlich spannenden Thema ab, hin zu einer erwartungsgemäß komplizierten Beziehungskiste, in die sich Thomas' Chef Jens und seine Kollegin Christina einmischen. Wenn diese zu Absätzen wie dem folgenden führen, muss leider sicher sein, dass der Autor sich zumindest in diesem Handlungsstrang mit seinen Stilmitteln vergaloppiert.
„Im Seitenspiegel sehe ich, wie Marina und Christina die Anhöhe des Castles hinabschlendern, Jens in ihrer Mitte. Er erzählt ihnen wohl gerade einen Witz, jedenfalls lachen sie beide und werfen ihre Haare zurück. An der Unterkante des Spiegels steht der Warnhinweis: Objects in the mirror are closer than they appear.“
Da die Beziehungen der vier sich in Wahrheit aber immer weiter voneinander entfernen, sind Szenen wie diese, pardon, zwischenmenschlicher Kitsch. Und mir fallen auf Anhieb mindestens drei Hollywoodfilme ein, in denen eine solche Rückspiegelszene vorkommt. Der „kraftvoll schamlose“ Blick auf die Greenwashing-Industrie wird dadurch sehr verwässert. Hinzu kommt, dass Flenders Sprache für ein Debut so auffallend glatt, so ganz ohne Ecken und Kanten ist, dass sie zwar der Oberflächlichkeit der Thomas-Hessel-Welt ansteht, den Leser aber mitsamt seinen Erwartungen direkt an der Haustür abholt und ordentlich in Watte packt. Das wiederum war bei dem Thema Greenwashing, auf das sich der Roman vielleicht hätte konzentrieren sollen, nicht zu erwarten.
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