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Kritik

Licht in Brust- und Kopfhöhe

Karla Reimerts Gedichtband „Picknick mit schwarzen Bienen“ ist ein Buch, mit dem ich nicht fertig werde.
Hamburg

Hier gehört alles zusammen. Nichts ist Zufall. Weder dass die Krängung nur ein Buchstabe von der Kränkung trennt, noch das Picknick, oder das es mit schwarzen Bienen stattfindet. Karla Reimert hat ihren ganzen Gedichtband bewundernswert dicht und doch durchlässig gewoben. So dicht und unerschöpflich, dass es mir schwer fällt, Worte zu finden dafür, was sie gemacht hat, und dafür, was das mit mir gemacht hat.

Es beginnt mit einem Zyklus, durchnummeriert von I bis XIV. Ein Familienurlaub in Isefjord, mit Schieflage, voller Kränkungen. Mit Licht in Brusthöhe, so hoch, wie das Kind, von dem im Folgenden die Rede ist.

Es ist etwas Bedrohliches in den geschilderten Situationen, ganz leise, unterschwellig, nur eine leichte Irritation, Angst gepaart mit Stärke, ein fröhliches Mädchen, das seinen sehr kleinen Penis in Stürmen hält, wie einen Mast.

Vereinzelt Eltern, Stimmen, Namen. Tränen.

Eine mutige Kniekehle taucht immer wieder auf, gemeinsam mit der Wunde, und im XII Gedicht kriechen schließlich auch die Kränkungen durch die Türritze. Im nächsten Gedicht findet sich dieser bedrohliche Satz: „Ich bin gefährlich für mich“.

Der zweite Teil der Krängung findet in der Klinik statt. Hier geschieht in den Gedichten ein In Beziehung setzen zu den Eltern, es ist von Behandlungsmethoden die Rede, von Eis, Elektroschocks und Überwachung. Die Diagnose, die gestellt wird lautet: „Leiden an Adjektiven und übertriebener Gebrauch von Konsonanten.“

Wie ein roter Faden ziehen sich Kniekehlen durch die Gedichte, und der Schmerz.

Nichts ist willkürlich. Schon gar nicht das Ende mit Turnstangenbruchgras und Kniekehlenehrgeiz.

         „Die Insulingabe erfolgt.

         Die letzten Totemtiere verlassen
         ihre Strandhaferweiden am Fjord

         Ruhig in der Krängung liegen
         mit Puppenhaut.

         Der Arzt horcht
         Herzlos meine Wunder ab:

        Turnstangenbruchgras.
         Kniekehlenehrgeiz.

        Biotope für Wunden
        von denen, die über Kopf denken.“

Der dritte Teil der „Krängung“ findet im Wald statt:

Im Wald beginnt die Suche nach den Wurzeln, das Rufen, das die Rufende in Horizont verwandelt (II), „Die Sprache ist zu Ende“, heißt es in III. Und abschließend:

„Wahr sind nur Abschiede.
 Wahr ist von Abschieden
nur der Abschied.“

Nur scheinbar beginnt im dritten Kapitel, nach einem Kapitel mit wunderschönen Widmungsgedichten, schließlich etwas ganz Neues, mit „Maria, Recherche in Serpentinen“.

Diesen Zyklus leitet ein Prolog ein, er ist auch formal dem Prosagedicht noch näher, die fließenden Übergänge sind beinahe essayistisch. Einige Gedichte scheinen hauptsächlich aus Aufzählungen und Stichpunkten zu bestehen, Karteikarten für eine wissenschaftliche Arbeit. Die Gedichte, die von der Suche nach Maria handeln, haben die verdichtete Essenz einer wissenschaftlichen Frage. Eine Befassung, die auf den Kern eingedampft wurde. Einen Kern, der daraus besteht, sich gefühlsmäßig in Beziehung zu setzen zu religiösen Phänomenen, die mit Maria zu tun haben.

„Frauen können ihre Existenz nur behaupten, wenn sie diese in Sprache überleben“, wird im Prolog die Dozentin zitiert. Es geht mithin nicht allein um religiöse Phänomene, sondern durchaus um weibliche Emanzipation, analysiert anhand von Marienerscheinungen. Das scheint absurd und vor allem irrelevant, dennoch sind die Gedichte das Gegenteil, weder absurd noch im Mindesten irrelevant. Und das liegt ganz gewiss nicht zuletzt daran, dass die beiläufig im Prolog gestellte Frage der Dozentin: „Nur aus Interesse, wie ist eigentlich ihr persönliches Verhältnis zu Maria?“ in jedem der Gedichte spürbar ist. Ich habe das Gefühl die Gedichte behandeln unausgesprochen auch die Frage, wie man die Grenze zum Fliessen bringt, die zwischen der Notwendigkeit, man selbst zu werden und einem sehr klaren Bewusstsein davon, wer man ist, besteht.

All das erklärt aber noch nicht, warum mich ausgerechnet dieser Gedichtband nicht loslässt, warum er schon ganz zerlesen ist, weil ich ihn immer wieder zur Hand nehme. Geht es vielleicht auch um Leidensfähigkeit? Um dieses Bewusstsein, dass Frauen sich jahrhundertelang auch über ihr Verhältnis zum Leiden definieren? Etwas, das in der Kindheit beginnt mit „Kniekehlenehrgeiz“, dass man zu behandeln versucht, und dem man schließlich nur mit Witz, „grimmigem Humor“ und Trotz, den Jan Kuhlbrodt Karla Reimert in seiner Besprechung für Signaturen bescheinigt, beikommen kann. Wofür in dieser meiner Leseart das letzte Kapitel, die Begegnung zwischen Freud und Celan stände.

Leidensfähigkeit, die sich noch einmal aus einer anderen Perspektive beleuchten lässt (Licht in Kopfhöhe), wenn man über das persönliche Verhältnis zu Maria nachdenkt.

Wie kann man den Faden benennen, der alles durchläuft? Dieses Verhältnis von Ehrgeiz und Schmerz, dass sich nur mit grimmigem Humor auflösen lässt?

Ich halte es für möglich, dass dieser Zusammenhang, die zugrunde liegende Frage, das was diesen Gedichtband so einzigartig für mich macht, in dem „seltsam verschlossenen Licht der Introspektion“ (Anne Carson) liegt, ein Licht, das nicht allein die Gedanken trifft, sondern vermittelt über Gedanken und unverbrauchte Bilder in den Körper eintritt, etwas auslöst, dem ich mich ebenso wenig entziehen kann, wie es mir möglich ist, zu erklären, was da eigentlich vor sich geht und warum.

Und so wird dieser Gedichtband wohl noch lange ein Buch bleiben, mit dem ich nicht fertig werde.

Karla Reimert
Picknick mit schwarzen Bienen
Gedichte
gestaltet von Andreas Töpfer
Kookbooks
2014 · 88 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
9783937445625

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