Ein sehr gutes Beschissen
Kat Kaufmann will mit Klischees brechen – das kündigt ihr Debütroman, anstelle eines Mottos, schon auf Seite eins an: „Und der Jude ist nicht reich. Und der Russe ist nicht kalt. Und Berlin ist nicht Berlin.“ Dann geht „Superposition“ aber doch erst einmal los wie ein typischer Berlin-Roman: Die 26-jährige Jazzpianistin Izy Lewin (ja, die Lautähnlichkeit mit „easy living“ ist beabsichtigt) sitzt zu später Stunde, „durchnässt wie ein Straßenköter“, in einer Kneipe und bestellt ein Russisches Gedeck – Wodka und Kaffee. Das Koffein, weil Tag und Nacht in Berlin bekanntermaßen ein und dasselbe sind, den Alkohol, um darin die Sehnsucht nach ihrem Geliebten Timur zu ertränken. Sie „sehe aus wie Scheiße“, befindet Izy, doch das ist vor allem Koketterie, die voll und ganz zum abgeranzten Chic des Buches passt. Denn auf den nächsten 270 Seiten wird Izy, wo immer sie auftaucht, versichert werden, dass sie selbst in Jogginghosen und ausgeleiertem Sweatshirt umwerfend aussieht. Und es ist ziemlich offensichtlich, dass sie das eigentlich auch weiß. „Alles konzentriert sich auf das Überleben im Dschungel der Eitelkeiten“, konstatiert Izy zwei Kapitel später auf einer feuchtfröhlichen Russenparty, die erwartungsgemäß für sie im Koma auf der Toilette endet.
Schaut man sich an, mit welch bissiger Schärfe sie die Oberflächlichkeit und Engstirnigkeit ihrer Umgebung zerlegt, fragt man sich allerdings, wieso sie selbst so munter mittanzt im Reigen der Eitelkeiten. „Superposition“ ist nämlich unter anderem ein ziemlich unreflektiertes Abfeiern junger, schöner, schlanker, weißer Körper, mit dem unterschwellig auch eine Schadenfreude und eine gewisse Verachtung für alles davon Abweichende einhergehen.
Eine nennenswerte Handlung hat das Buch nicht aufzuweisen, ganz wie es den mäandernden Suchbewegungen seiner Hauptfiguren gebührt. Schauen wir uns also an, was „Superposition“ außer altbekannter Hipster-Tristesse noch so zu bieten hat.
Kaufmanns Stärke, das wird schnell deutlich, liegt in der betörenden Mischung aus intellektueller und flapsig-rotziger Sprache, die sie ihrer Ich-Erzählerin in den Mund legt. Mit Vorliebe mokiert sich Izy über die Selbstbeweihräucherungsveranstaltungen, für die ihr Jazz-Trio gebucht wird, den aufgeblasenen Small-Talk, die hohlen Phrasen und sexistischen Anmachsprüche, denen sie tagtäglich ausgesetzt ist. Als prekäre Künstlerin, als russische „Quotenjüdin“, als eine, die sich mit dem Status Quo nicht zufriedengibt, sitzt sie überall zwischen den Stühlen. Sie ist ein wandelnder Widerspruch: „das privilegierte Kind, das arme Asylantenkind“. So begreift man schließlich auch ihre Liebe zum unerreichbaren Timur, der ebenso getrieben ist und sich ebenso sehr nach Geborgenheit sehnt wie Izy, als eine Metapher für das flüchtige Vereintsein innerhalb der Heimatlosigkeit.
Schade nur, dass der Roman, trotz guter Ansätze, letztendlich doch so sehr im Selbstreferenziellen verharrt. Ziemlich oft postet Izy pathetische Statusmeldungen, und auf alarmierte Nachfragen hin, wie es ihr ginge, schreibt sie: „Geht so.“ Das sei aber „gut gemeint“. Genauer gesagt: „Ein sehr gutes Beschissen.“ Den diffusen Weltschmerz, in dem Izy und ihre beste Freundin Stascha schwelgen, nutzt Kaufmann vorzugsweise, um die beiden melancholisch in Cafés herumsitzen und seitenlang über den (Un-)Sinn des Lebens philosophieren zu lassen. Und da es sich bei sämtlichen Gesprächspartnern um wortgewandte, welterfahrene, kreative und geistig wendige Twenty-Somethings handelt, ist das auch durchaus unterhaltsam. Philosophische Konzepte wie beispielsweise der Solipsismus werden auf erfrischende Weise runtergebrochen („Du bist die Produktion meiner selbst, Alter.“); diverse Sätze lassen sich mühelos als Party-Aperçus weiterverwenden. „Ich will mein Innerstes herausnehmen können und waschen.“ Oder auch: „Dein geistiger Schwanz ist größer als mein eigentlicher.“
Die existenzielle Krise jedoch nimmt man weder Stascha noch Izy so ganz ab. Da kann letztere noch so oft vom „großen Sterben“ reden, das angeblich gerade beginnt. Nun gut, Izys geliebte Großmutter, Babuschka Ella, hat offenbar nicht mehr lange zu leben. Das ist ziemlich traurig, kann aber auch nicht alleinig dafür herhalten, dass Izy vor allem um sich selbst, ihre schönen Freund_innen und ihre unglückliche Liebe zu Timur kreist.
Spannend wird es immer da, wo Kaufmann vom Schema F des Rausches ohne Gestern und Morgen abweicht, wo familiäre Zusammenhänge und Kindheitserinnerungen aufblitzen. Die nächtlichen Badeausflüge in der Ukraine, Izys Außenseiterposition im Asylbewerberheim, und heute die Besuche bei Mama am „Checkpoint Kühlschrank“, wo Izy ihre anlehnungsbedürftigen und verletzlichen Seiten zeigt. Und gerade an den Stellen, an denen klar wird, dass Izy eben nicht nur astronautenmäßig ohne Mutterschiff durchs Nachtleben driftet, wird sie einem richtig sympathisch. Sogar – und vielleicht gerade – in ihrer Egozentrik, Arroganz und Weinerlichkeit.
Bedenkenswert und zukunftsweisend sind auch die Ideen, die Izy zusammen mit ihren Auserwählten zum Thema Wahlfamilie und nicht-exklusiver Liebe entwickelt. Von denen „Liebe kennt kein Geschlecht“ eher noch eine der trivialeren ist. Meist geht es hochtrabender zu: „Es gibt gar kein Hier. Lediglich überall Quanten in Superposition, verstreute Partikel, furious particles in space, die sich entscheiden, dann und wann beieinander zu sein.“
Die Umsetzung dieser Konzepte enttäuscht allerdings ein wenig. So revolutionär ist es dann doch nicht, ab und an mit der besten Freundin zu knutschen, während einem der Champagner aus den Mundwinkeln tropft. Dienen doch all diese Spielchen vor allem dazu, die asymmetrische Liebe zum hypermaskulinen Timur im Zaum zu halten. Letztendlich wirkt das Dreckige, Subversive zu gewollt. Der queer angehauchte, stylish-kaputte Look ist einem bereits allzu vertraut – nicht nur von den Titelseiten großer Modemagazine. So ist denn auch die Fotosession, mit der das Buch endet, mehr Parodie als Provokation: Izy blutet nackt auf einen teuren Teppich, während sich muskulöse Jungs Commedia-dell’Arte-Masken vor die Genitalien halten.
Streckenweise hat „Superposition“ tatsächlich subversives Potential, das in der Lage wäre, überkommene Klischees in Frage zu stellen. Doch geht es letzten Endes leider unter in der bloßen Aneinanderreihung schick-verruchter Bilder.
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