Ohne jede Hoffnung
Vor einigen Wochen hat Alice Munro den Literaturnobelpreis erhalten. Bekanntlich schreibt sie fast ausschließlich kurze Geschichten, überall liest man nun, dass mit dieser Verleihung die Hoffnung einhergeht, dass kurze Erzählungen auch in Deutschland einen Markt finden könnten. Das wäre schön, denn auch die Geschichten von Katarina Botsky sind nicht nur kurz, sondern überaus lesenswert. Auch noch nach fast hundert Jahren.
Eingerahmt werden die Novellen, die zwischen 1911 und 1936 für die Zeitschrift „Simplicissimus“ entstanden sind, durch zwei Gedichte aus Botskys Feder.
Das Gedicht „Verkündigung“, das den Prolog bildet, berichtet vom Tod Gottes, während das als Epilog gewählte Gedicht „Am Stillsten, Am dunkelsten“ mit den Worten endet:
„Doch am stillsten, dunkelsten wird’s,
wenn auch die Sehnsucht erlischt.
Wenn es, wie rings auf Erden,
in dir, im Menschenherzen,
will Abend werden.“
Zwischen diesen beiden Polen, dem Tod Gottes und der vollkommenen Desillusionierung des Menschen, entwickelt Botsky ihre Novellen.
Botskys Geschichten erzählen von Gewalt, sei es die Gewalt, die die alte, verrückt gewordene Amme über ihr Leben verloren hat, weil sie nicht verkraftet, dass ihr Ziehkind ihr entwachsen ist, sei es die, die andere über die Schauspielerin haben, deren neue bürgerliche Existenz durch deren Kenntnis ihrer Vergangenheit, „hingerichtet“ wird.
Oder die physische brutale Gewalt des Krieges, mit dem das „Weltuntergangsgeräusch“, das „Krachen über alle Maßen“, vor dem das Kind sich stets gefürchtet hat, schließlich wahr wird, und das kaum begonnene Leben beendet.
Eine andere Geschichte handelt von der Armut, die mit solcher Gewalt den Lebenslauf der in sie hineingeborenen bestimmt, dass die Rettung vor dem Ertrinken keine Erleichterung aufkommen lässt. Eben weil der nun lediglich um einige Jahre verlängerte Weg bis zum unweigerlichen Ende, dermaßen gnadenlos vorgezeichnet ist. Und gnadenlos meint hoffnungslos. Ohne jegliche Alternative.
So sehr vom Warten „ohne etwas erwarten zu dürfen“ geschwächt, meint G. in der gleichnamigen Novelle, das Recht auf einen Vornamen verloren zu haben.
Selbst wenn die lange schon gestorbene Hoffnung wieder aufersteht, ist das bei Botsky vor allem ein furchterregendes Bild. Und das mit gutem Grund. Denn die Hoffnung, die in der Novelle „Dezembertraum“ wieder aufersteht, wird schreckliche Früchte tragen. Dezembertraum entstand 1933. Adolf Hitler war gerade zum Reichskanzler ernannt worden.
Weit von jeglichem Pathos entfernt, vereitelt Botsky jegliches Aufkeimen von Hoffnung in ihren Geschichten.
Sie erzählt nicht von denen, die den „hellen Jahrmarkt Gottes“ bewohnen, sondern von jenen, die „in den Finsternissen“ abgetan werden, wie in der gleichlautenden Geschichte von den auf einem Jahrmarkt ausgestellten, kleinwüchsigen, oder durch einen Löwenkopf entstellten Kreaturen. Dabei bleibt Botsky konsequent bei der Beschreibung, bei einer Draufschau, während ihr Erzählduktus den letzten Zeilen des im Epilog zitierten Gedichtes folgt.
Über Katarina Botskys Leben ist ebenso wenig bekannt, wie über Gutti Alsen, der zweiten großen expressionistischen Erzählerin, die Martin A. Völker der Vergessenheit zu entreißen versucht hat, und mit der Botsky eng befreundet gewesen ist. Nicht einmal die Eckdaten ihres Lebens stehen zweifelsfrei fest. So ist sie 1879 oder 1880 in Königsberg geboren. Ihr Todesdatum wurde auf den letzten Tag des Jahres 1945 festgelegt. Vermutlich ist sie nach der Belagerung Königsbergs durch russische Truppen, wie viele andere Zurückgebliebene, an Hunger und katastrophalen hygienischen Verhältnissen gestorben.
Aufgrund ihres Aussehens erlebte sie die Verachtung, die den Juden entgegenschlug, am eigenen Leib. Im biografisch gefärbten ersten Roman Botskys „Vor den Gittern des Lebens“ schreibt sie: „Wegen meiner schwarzen Haare und Augen und meines dunklen Teints, hörte ich oft, als Kind, den reizenden und echt ostpreußischen Nachruf: „Jutschke“ ¡K
Und nie habe ich so tief gefühlt, wie sehr die Juden verachtet werden, ganz besonders von den untern Ständen, als in jenen Tagen beim Anhören des Schimpfwortes. Obgleich ich heute keine Spur von Judenverachtung mehr empfinde, ja, es scheint mir der Gipfel der Lächerlichkeit, wenn ich sie bei jemand bemerke, so ist mir dennoch eine kleine, kleine antisemitische Regung aus meiner Kindheit zurückgeblieben. Nicht im Verstande, nein! Im Fleische möchte ich sagen.“
Botskys Talent wurde durchaus schon zu ihren Lebzeiten anerkannt. Ein Geheimtipp blieb sie dennoch. Das lag sicher nicht zuletzt an ihrer „unbestechlichen Zeitdiagnose“ und ihrer „schwindelerregend nüchternen Klarsicht.“ Beschreibungen, die Anje Rávic Strubel verwendet, wenn sie über Joan Didion spricht, von der sie schreibt, der Kreis ihrer Verehrer sei nicht nur relativ klein, sondern vermutlich auch in nächster Zeit nicht im Wachsen begriffen, „Denn wer will sich schon in dieser von Terror, wirtschaftlicher Not und sozialen Grabenkämpfen aufgeriebenen Zeit noch zusätzlich verunsichern lassen? Wer will schon mit ständigem Einspruch aufgehalten werden, wo man sich gerade im Kampf um schwindende Arbeitsplätze zu einer neuen Gehorsamkeit erzieht? Wer will sich beim marktgerechten Verbiegen der Persönlichkeit so genau beobachtet wissen, wer bei der anstrengenden Selbstsuggestion stören lassen, daß das alles schon irgendwie sinnvoll und richtig sei?“ Rávic Strubel schrieb diese Sätze 1997 über Essays von Didion, die aus den 70er Jahren stammen. Aber trifft es nicht weitestgehend auch auf Katarina Botsky zu, die hundert Jahre zuvor ihre Geschichten aus den „Finsternissen“ erzählte?
Dass es jedenfalls weder an der Wahrhaftigkeit ihrer Geschichten, noch an fehlender sprachlicher Kraft ihres Erzählens liegt, dass Botsky bereits zu Lebzeiten vergessen und bis heute nicht wiederentdeckt wurde, hat Martin A. Völker veranlasst, ihre Geschichten noch einmal aus dem Dunklen ans Licht zu holen.
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