Jenseits von Haltung und Appeal
Die Geburt des Indie fand aus dem Geiste des Punk statt. Nach 1976 schloss die Popkultur alte Lücken und zog neue Gräben. Indie setzte sich nicht zwischen die Stühle, Indie stellte einen Fuß auf jede verfügbare Sitzfläche. Während im UK die Post-Dandies von The Smiths oder die Pillenpopper aus dem Factory-Umkreis den britischen Alltag konterkarierten, bezog sich die US-amerikanische Szene entweder aus Vorstadtennui oder großstädtischer Kunstaffinität und verschmolz Haltung mit Appeal. Eine neue Ideologie rüttelte die alten durcheinander.
Sonic Youth sind schon immer das Paradebeispiel für Indie US-amerikanischen Schlags gewesen. Das Cover ihres Albums Daydream Nation aus dem Jahr 1988 zierte ein Gerhard Richter-Gemälde, der Nachfolger wurde von Reymond Pettibon in bester Pulp-Manier illustriert. Sonic Youth machten Noise, aber auch Rock. Sie waren avantgardistisch, lieferten aber auch einen guten Soundtrack für WG-Parties. Als die Band 1991 gemeinsam mit den damals noch fast völlig unbekannten Nirvana ein paar Konzerte in Europa spielten, nannten sie die Tour »The Year That Punk Broke«. Indie hatte seinen Ursprung hinter sich gelassen, die Stifterfiguren überwunden.
Während sich viele andere Bands entweder vom Mainstream vereinnahmen ließen oder freiwillig in ihm aufgingen, gelang es Sonic Youth den Spagat, den sie mit Gründung der Band 1981 geschlagen hatten, ganze dreißig Jahre lang ohne nennenswerte Kompromisse zu halten. Ein Grund dafür mag gewesen sein, dass der Kern der Band nicht nur auf, sondern auch hinter der Bühne ein Paar war: Kim Gordon und Thurston Moore waren dabei, als Sonic Youth 1981 gegründet wurden und mit dem Ende ihre Ehe kam das Aus für die Band.
Dass Kim Gordons Autobiografie schlicht Girl In A Band betitelt ist, mag vor diesem Hintergrund nur einleuchten. Drei Jahrzehnte lang war ihr Privatleben an die inneren Dynamiken von Sonic Youth gekoppelt, ihr halbes Leben wurde Gordon über ihre Mitgliedschaft bei Sonic Youth und ihre Ehe zu Thurston Moore definiert. Der Titel scheint ein zynischer Kommentar darauf zu sein. Bedauerlich ist nur, dass sich Gordon zwischen den Buchdeckeln völlig unironisch ebenso inszeniert. Wie ein girl, das seinen Charakter über die Band definiert, in dem es Mitglied war und deren Dreckwäsche es ein letztes Mal waschen möchte. Das heißt natürlich mit Thurston Moore.
Das Versprechen von Indie-Bands wie Sonic Youth lag nicht nur in der spielerischen Überbrückung von Kunst und Pop oder Intellekt und Exzess, sondern auch in einer progressiven Haltung gegenüber Genderfragen. Gordon selbst wird nicht müde ihre feministisch inspirierten Kunst- und Musikprojekte zu beschreiben, teilt hier und dort sogar gegen die aus, die das falsche Leben in der richtigen Subkultur leben. Kurt Cobains Witwe Courtney Love bekommt ein paar unvorteilhafte Kommentare ab, in Richtung Lana del Reys schießt Gordon scheinbar unmotiviert eine Ladung Gift: »[Sie] glaubt, Feminismus würde bedeuten, dass Frauen tun könnten, was immer sie wollen – was in ihrer Welt Richtung Selbstzerstörung geht«.
Am meisten Fett bekommt aber der hagere Thurston Moore weg. Thurston Moore, der Gordon nach über einem Vierteljahrhundert Ehe betrogen hat und der neuen Frau an seiner Seite dermaßen verfallen war, dass selbst eine Paartherapie die Ehe nicht mehr retten konnte. Thurston Moore, der den Umzug vom virilen New York ins beschaulichere Northampton mitangeleiert hatte und nach dem Ehebruch nach London floh, Ex-Frau und Tochter allein lassend. Thurston Moore, der beim letzten Sonic Youth-Konzert mit einer Nonchalance herumstolzierte, die Gordon mit den Worten »Ich bin wieder da. Ich bin frei. Ich bin solo. « paraphrasiert. Es ist schon bitter, dass das Girl In A Band diesen Animositäten so viel Platz einräumt. Zumal aus einer feministischen Perspektive, denn Gordon betreibt ebenfalls eine Art Selbstdemontage. Sie fällt auf Kosten anderer aus, ja, sie konstruiert sich allein auf Kosten anderer. Es ist bitter, das zuzugeben, aber die vielen den Text begleitenden Bilder von Gordon erzählen eine interessantere Geschichte als sie selbst.
Kim Gordon hat ihr künstlerisches Leben mit Indie-Attitüde gelebt, zwischen Kunst und Kommerz Brücken geschlagen und sich dabei bis zum Schluss aufrecht gehalten. Das ist das Bild, das von ihr kursierte. Das Bild, das sie von sich selbst zeichnet ist das einer (selbsterklärte: Nicht-)Musikerin und Künstlerin, die vor allem die richtigen Platten hörte, mit den richtigen Leuten rumhing und wie nebenbei Musik machte. Bis auf ihre Familiengeschichte, insbesondere das enge und zutiefst gestörte Verhältnis zu ihrem psychisch kranken Bruder Keller, den sie mittlerweile nur noch ungern in seinem Heim besucht, liefert Gordon kaum Einblicke in ihre Gedanken- und Gefühlswelt. Stattdessen liefert sie ein paar halbgare Anekdoten zu Gerhard Richter, Kurt Cobain sowie diversen celebrities der Kunst- und Indie-Kultur und rattert die Geschichte ihrer Band von Album zu Album nach dem Strickprinzip: hier und da lässt der Text ein paar Maschen fallen. Warum etwas wichtig sein soll und anderes nicht, wird nicht klar.
Girl In A Band ist nicht nur deshalb eine schwierige Autobiografie, weil sie sich wie eine 350 Seiten lange Abrechnung mit dem Ex-Mann liest, sondern weil sie gattungstheoretisch betrachtet keine ist. Sie ist nicht konfessionell, nicht wirklich anekdotisch und erst recht nicht sättigend für informationshungrige Sonic Youth-Nerds. Schlimmer noch: Girl In A Band hat leider weder Haltung noch Appeal. Das scheint nicht nur für Gordon selbst, sondern auch für die Ideologie, die sie so entschieden mitgeprägt hat, ein Schritt zurück zu bedeuten.
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