Kreativ, cool, verletzlich: Kim Gordon ist mehr als das „Girl in the band“
Die Autobiografie beginnt mit dem Ende. Es ist das Jahr 2011 und Sonic Youth tourt durch Südamerika. Nach dem Konzert in São Paulo würde es die Band nicht mehr geben und gleichzeitig würden die Bassistin und Sängerin Kim Gordon und ihr Mann, der Gitarrist von Sonic Youth, Thurston Moore nach 30 Jahren Bandgeschichte und 27 Jahren Ehe getrennte Wege gehen. Der letzte Song ist „Teen Age Riot“ und auf you tube kann man sehen, wie Kim Gordon letztmals in der Mitte der Band steht und versucht Thurston Moore nicht anzublicken.
Die Ehe ist wie eine lange Unterhaltung, sagte mal jemand, und vielleicht gilt das auch für das Leben einer Rockband. Nur wenige Minuten später war alles Geschichte.
Danach beginnt die eigentliche Autobiografie. Sie beginnt mit ihrer Geburt 1953 in Rochester, aber der Ort spielt für Kim Gordon in ihrem weiteren Leben keine große Rolle, denn bald zieht die Familie nach L.A. Der Vater ist Professor für Bildungssoziologie, die Mutter entwirft und näht ausgefallene Kleider. Das Kind wächst behütet in einer Mittelstandsumgebung auf. Einzig Bruder Keller ist das Sorgenkind, denn er leidet zunehmend an Schizophrenie.
Ausführlich beschreibt Kim Gordon ihre Kindheit und Jugend in Los Angeles, die helle kalifornische Sonne, den Zauber des Wassers und die Canyons, die für sie den größten Zauber besaßen.
Hier lebten all die interessanten, nicht von sich selbst besessenen Typen sowie die coolen Musiker –Buffalo Springfield, Neil Young.
Auch wenn sie aus einer Akademikerfamilie stammt, kommt Kim Gordon in Los Angeles doch früh mit Strömungen der Bildenden Kunst und der Musik in Berührung. L.A. ist die Stadt des Showbiz. Über ihren Vater und dessen Studenten, einigen Hipstern, lernt sie den Jazz lieben, hört alles, was damals, wie beispielsweise John Coltrane, Rang und Namen hat. Später betont sie oft, dass ihre Liebe zu Dissonanzen, die ein Kennzeichen von Sonic Youth sind, auf den Einfluss des Jazz zurückgehen.
Da sich alles um ihren Bruder dreht, vor dessen Gehässigkeiten sie ihre Eltern nicht genug schützen, hat sie oft das Gefühl allein zu sein. Schon damals ist für sie die Bildende Kunst eine Möglichkeit ihre Gefühle auszuleben.
Die Kunst war der einzige Raum, der mir allein gehörte, wo ich jeder sein und alles tun konnte, wo ich allein durch den Gebrauch meines Kopfs und meiner Hände weinen, lachen oder sauer werden konnte.
Und am Ende ihres Berichts, nach der Trennung von Thurston Moore, wird sie diese Fähigkeit wieder aufnehmen und erfolgreich in Galerien ausstellen.
Kim Gordons Jugend in L.A. nimmt ungefähr ein Drittel des Buches ein, wobei man viel über die sechziger und siebziger Jahre in L. A. erfährt. 1980 geht sie nach New York, trifft dort Thurston Moore und 1981 gründen sie zusammen mit Lee Ranaldo Sonic Youth. Laut, schrill, dissonant.
Wenn Thurston oder ich später von Leuten gefragt wurden, warum die Musik von Sonic Youth so dissonant sei, lautete die Antwort immer gleich: Unsere Musik ist realitätsnah, dynamisch, dissonant, weil das Leben mit all seinen Extremen so ist.
Bald eilt die Band von „Gig zu Gig“, sie werden erfolgreich, bekommen einen Vertrag mit Geffen Records und spielen in unzähligen Ländern und fast auf allen Kontinenten. Kim Gordon geht in diesem Teil mehr oder weniger chronologisch, entsprechend der Veröffentlichungen ihrer Platten vor. Unzählige Begegnungen mit Musikern, Künstlern, Modemacherinnen, Regisseuren usw. werden beschrieben und man fragt sich, wo diese zierliche Frau die Energie hernimmt. Es gibt Buchprojekte und das eigene Modelabel X-Girl.
Und dann ist noch Platz für eine enge Freundschaft mit Kurt Cobain von Nirvana.
Schwierig wird es erst, als Kim Gordon 1994 mit 41 Jahren ein Baby bekommt. Sie hat ihre Autobiografie Coco, meinem Polarstern gewidmet, kommt aber anfangs mit ihrem Mutterdasein nicht besonders gut zurecht.
Die Tatsache, ein Baby zu haben, löste bei mir eine gewaltige Identitätskrise aus
Es ist nun auch nicht mehr so einfach auf Tour zugehen. Coco ist zwar immer dabei, aber wenn man ein Baby wickeln will, sind die schmutzigen Backstagegarderoben und schmuddeligen Toiletten plötzlich ein Problem. Coco hat offensichtlich alles gut überstanden, denn sie ist selbst eine bekannte Künstlerin geworden.
Aber die Beziehung zwischen Kim und Thurston hat sich verschlechtert. Als die Familie nach Northampton zieht, werden Dinge wie beispielsweise Absprachen zu Proben noch komplizierter. Kim ist damit beschäftigt, unsere Leben durchzuplanen und aufeinander abzustimmen, aber irgendwann entdeckt sie, dass Thurston ein Verhältnis mit einer anderen Frau hat. Und auf den letzten Seiten beschreibt sie detailliert den Verfall ihrer Ehe, wobei sie an der neuen Freundin ihres Mannes kein gutes Haar lässt. Da ist sie ganz verletzte Ehefrau und vielleicht wird sie in ein paar Jahren denken, sie hätte diese letzten Seiten besser weggelassen. Davon abgesehen gibt das Buch einen interessanten Einblick in das Innenleben einer sehr erfolgreichen Band. Jedes Kapitel beginnt mit einem Foto aus der jeweiligen Zeit. Für Sonic Youth Fans ist die Autobiografie ein absolutes Muss.
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