Das Rauschen der Sprache
Wir bauen eine Stadt ist der erste Lyrikband der Ungarin Kinga Tóth, den sie auf Deutsch verfasst hat. Nachdem im Jahr 2014 in der Edition Solitüde sein Vorgänger Allmaschine, von Orsolya Kalász und Monika Rinck übersetzt, erschienen ist, legt Tóth in der Kölner Parasitenpresse mit einem schmalen, scharlachroten Band nach. Ursprünglich (und immer noch) der Welt des noise und der Ton-Performance nahe stehend, vermischt sich in Kinga Tóths Werk und Auftritten das Geräusch an sich mit der wörtlichen Umschreibung des Geräuschs, sowie seiner Erzeuger, seiner Umstände und seinem Ablauf zu einem heterogenen Teppich. Mit ihrer Faszination für das Maschinelle, Kalte, Rhythmische der Vorgehensweisen von technischen Geräten und Werkzeugen sind Tóths Texte bisweilen der Ton-Wort-Arbeit der Einstürzenden Neubauten und ähnlicher KünstlerInnen verwandt. Gleichwohl durchzieht ein eigensinniger Tonfall die Verse Tóths, die zwar, wie in der Nachbemerkung von Maxi Fleißer umrissen, „sich als Welt der Maschinen“ darstellt, „kühn, unterkühlt, in Bruchteilen von Sekunden handelnd und keine Bedenken kennend, kein Gewissen habend“, aber nichtsdestoweniger, wie als getarnte Herzflecken, immer wieder emotional gefärbte Verseinheiten einschmuggeln. Wir bauen eine Stadt ist ein forderndes Gemisch aus technifizierter Sprache, beobachtend wiedergegeben, voller Abkürzungen, Gebrauchsanleitungen und Baustellenprotokollen, wie ein Sprachdiebstahl aus einer lingo der Betonrüttler und Planschmuffen zusammenkomponiert und vorgeblendet, einerseits, und menschlichen Handlungen innerhalb der Konturen dieser Welt andererseits, wie Erinnerungen, Bewegungen mit Fährten und Spuren unsichtbarer Gefühle. Konsequent durchgebildet, schlicht: eine Form des konzeptuellen Dichtens, vielleicht ein Konzeptalbum.
Aus den Gedichten:
„MICRO Z-A-S
die behutete frau wird auf die box geschweißt
in ihrer gebärmutter eine goldene kugel
projektiert den himmelskörper
auf die kuppel ihr hut ist ein planetenring
er spiegelt das stadtlicht zurück
die sirenen springen davon ab
in ihren schulternadeln sammelt sie
die stadtampeln in ihrem bauch
wird ein glasball mit einer
metallschraube durchgeschlagen
aus einem doppelt aufgeschliffenen
zweilinsigen okular hängt ihr bein
aus der halterung
in der box dioptrienwalzen
fingerhüte und verkleinerter
auf der rechten hand dreht
[…]
ERBAUER
[…]
11
beim losgehen füttert er die maus drei
wochen dann draußen wird sich an die
körner gewöhnen in den gummistiefeln
die runden boxen creme bilder zwischen
koffern es gibt ein traubenblatt auch ein
bordeaux vom hügel aus dem kordon
rausgerissen ein handlauf zwischen kieseln
der regen nagt höhlungen aus sie helfen
einander durch drähte
vor dem kellerfenster nehmen sie den
ziegel um hereinschauen zu können
bei der presse noch rosinen die fässer
mit holunder ausgeschmiert
es ist kalt um die socken rauszuziehen
die zehen reinzudrücken
die obengebliebenen noch nicht zu kosten
das rohe wartet auf die reife
Dazu finden sich Illustrationen von Tóth in dem Band, die in einer Art Mischtechnik schreibmaschinengetippte Wortfetzen, Bleistiftkonturen und Finelinerskribbles zusammenführen und exakt dem Bildungsprinzip der Texte gleichen: Der weiche, emotionale Strich gegen die (oder mit) maschinelle (-r) Tipperei. Die Flüchtigkeit des Arrangements hat etwas von Cy Twomblys Idee eines Bildes als fast nicht-existentes Bild, lediglich als Skizze auf Leinwand konserviert, – von Roland Barthes (Das Rauschen der Sprache) einmal als Schriftstellerei bezeichnet, wenn bloß das Wort Virgil und palimpsestartige Bearbeitungsspuren die Leinwand als Gemälde kenntlich machen. So wären Kinga Tóths Illustrationen eigentlich erst recht Gedichte. Hier völlig befreit von den Zwängen jedweder Textnorm, stehen die (Maschinen-) Worte wo sie wollen, bilden Stimmungen aus.
Aus: Wir bauen eine Stadt, parasitenpresse 2016
Die Abfolge aus Gedichten, darunter oftmals auch längere, und den Illustrationen ist genau richtig. Der Band liest sich flüssig, trotz der Sperrigkeit seines Vokabulars und dem nüchtern-kalten Beschreiben technischer Vorgänge in Umbrüchen, dass eine ebensolche nüchtern-kalte Empfindung beim Lesen auslöst. Der Rhythmus der angesprochenen Einschübe aus menschlich-emotionalen Passagen wiederum holt diese Empfindung ab und belohnt den Leser mit einer Wärme wie von einem Fingerabdruck. Als ob die Welt der Maschinen eben doch nur in der Menschenwelt bestehen könnte. Eine anziehende und zugleich abstoßende Symbiose, die mal in die Kälte, den Lärm, das Rauschen ausschlägt und auf der anderen Seite das zutiefst Menschliche konserviert. Wir bauen eine Stadt ist ein eigenwilliger Band, der zusätzlich zum Lesen von Kinga Tóth selbst performt, erlebt gehört.
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