Der Himmel ein Exposé für Kindheiten
Invasion Rückwärts, im Berliner Verlagshaus J. Frank erschienen, ist nach Max Czolleks Druckkammern und Tristan Marquardts das amortisiert sich nicht die dritte Einzelveröffentlichung eines Mitglieds des Lyrikkollektivs G13, das durch Deutschland, Österreich und die Schweiz tourte und sowohl bei luxbooks als auch im SuKuLTuR Verlag bereits kleine Werkschauen vorgelegt hat.
Der Band ist, wie alle Ausgaben der „Edition Belletristik”, illustriert, und es ist berechtigt, auf diesen Umstand noch einmal erneut hinzuweisen: Der grafische Anteil steht bei dieser Buchreihe gleichberechtigt neben dem Textanteil. Der Künstler Andreas Chwatal ging in diesem Fall sogar soweit, Textfragmente in seine Illustrationen einzubauen, abzuwandeln und neu zusammenzustellen. Daraus ergibt sich im Zusammenspiel mit Lea Schneiders Gedichten ein anregender Austausch, der über die Grenzen der Kunstformen hinausweist.
Was nach dem Aufschlagen sofort auffällt, ist die große Intensität, mit der diese Texte dem Leser entgegen treten, der Form nach dem Prosagedicht nahestehend – einheitliche, in Blocksatz gefasste Absätze – und so einen dichten, dringlichen Sound entwickelnd: „wie möchten nicht drängeln, aber unser interesse an diesem film nimmt ab.”
In den ersten zwei, drei Gedichten bleibt das allerdings noch bedeutungsoffen, man könnte auch sagen: unkonkret. Das lyrische Ich probiert sich aus, wandert von Ort zu Ort, ist sich seiner sprachlichen Mittel noch nicht ganz sicher. Probehalber wird einmal vom Großen (dem Ende der Welt) ins Kleine (einen Schwamm in der Spüle) gezoomt und überblendet, ironisch Alltag und Apokalypse gegeneinander ausgespielt. Passend dazu die Illustration, die den Aufschlag einer Tennisspielerin in Toga, den Ball noch in der Hand haltend, zeigt. Voll ins Spiel geht es erst ab dem zweiten Kapitel: Wummernde Rapsfelder, Straßen, das gehen auf Asphalt, ein Horizont, hier füllt sich das Terrain, in dem sich diese Texte abspielen, langsam mit Leben.
Natur-, auffallend oft herbstliche Bilder: Oft wirken die Gedichte in diesem Band aus einer spontanen Situation heraus notiert, haben Improvisationscharakter; Wendungen wie „sagen wir” oder „z.B.” betonen das. Und daraus ergibt sich das Hauptmerkmal von Lea Schneiders Lyrik: Durch die spontane Assoziation schieben sich hier verschiedene Betrachtungsebenen förmlich ineinander, es wird laut gedacht („das problem ist, man kann leuten nicht immer träume in den arsch schieben und hoffen, dass sie irgendwann im kopf ankommen”), es erscheinen Epiphanien bei der Pizza, nur wenige Zeilen trennen Zikadengesang von dialektischem Materialismus. Und immer wieder scheinen Formulierungen wie „der wunsch, die vögel mit tesa am tageslicht zu fixieren” und „morgens ist der himmel ein exposé für kindheiten” auf, die durch ihre schiere Schönheit begeistern.
Man merkt diesem Band noch an manchen Stellen das Unfertige an. Naiv ist Lea Schneider aber keinesfalls – sie operiert nah an der Wirklichkeit und ist sich der trügerischen Illusionen von Weltflucht, Eskapismus und zuviel Innerlichkeit bewusst. „jeder raum enthält mindestens eine utopiegefahr”, heißt es einmal. Die Szenerien in Invasion Rückwärts sind alles andere als Utopien, sie reiben sich am Alltag und behaupten ein eigenständiges Denken gegenüber der Welt, durch die diese Autorin mit offenen Augen und einem genauem Blick fürs Detail geht.
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