Der König im elektrischen Königreich
Ein weiteres Debüt aus dem Lyrikkollektiv G13, diesmal bei Kookbooks: Linus Westheuser, 1989 in Berlin geboren, wo er auch studiert (Soziologie), hat bereits Gedichte in BELLA triste, Belletristik, poet, sowie einigen anderen Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht. Außerdem ist er bei Babelsprech, dem Netzwerk für junge Lyrik aktiv, wo er zusammen mit Joel Scott und Charlotte Warsen den Blog „Hallo Präsident“ moderiert, der sich dem Themenkreis Politik und Lyrik widmet. Über die Querverbindung zu Charlotte Warsen gelangt man auch direkt wieder zu Linus Westheusers Debütband, dessen Umschlagillustration die sowohl als Malerin als auch als Dichterin aktiven Kollegin angefertigt hat – als Teil einer Auseinandersetzung zwischen Poesie und bildender Kunst, die sich genauer einerseits auf Charlotte Warsens Webseite, andererseits aber auch im Band selbst nachverfolgen lässt.
Viele Wege, auf denen man einen Zugang zu Linus Westheuser finden kann – und die durchaus der Heterogenität seines Bandes entsprechen. Die Gedichte in den ersten drei des in sieben Kapitel unterteilten Bandes geben sich äußerlich klassisch, mehrstrophig, mal nummeriert; als Wendepunkt kann „der tiger tritt in das gebäude ein“ als eröffnender Text des dritten, gleichnamigen Kapitels gelten: Die Sprechbewegung wird unruhiger, die Fragezeichen häufen sich, und die Sinnzusammenhänge beginnen sich zu lösen: „(...) die nato/geht ins bad, kickt die dame eine sanduhr um,/es reicht, rufen alle, es reicht, es reicht! und/reicht es nicht auch?“ Ganz im Gegenteil: Jetzt geht erst richtig los. Die im nächsten Kapitel „The End“ folgenden Gedichte stehen ganz im Zeichen der Abstraktion, lose auf den Seiten verteilen sich die Worte, kaum ist das Ende des einen vom Anfang des nächsten Textes zu unterscheiden. Nicht von ungefähr ist an dieser Stelle die Assoziation mit Charlotte Warsens ganz ähnlich verfahrender Lyrik, stand doch sie hier gewissermaßen als interdisziplinäre Gesprächspartnerin Pate für einige der Gedichte, wie man es den Danksagungen entnehmen kann. Eine frei flottierende, überschwängliche Lyrik (die übrigens auch im Vortrag gut funktioniert) ist das, surreal, mit schlafwandlerischem Erfindungsgeist, der ganz auf das Intuitive setzt. Aber auch nach diesem Abschnitt ist Linus Westheuser noch nicht an seine Grenzen gekommen: Der Schleudersitz der Poesie fliegt immer noch, sozusagen, in das nächste Stockwerk, das im Kapitel „acht farben“ zu einem Theatersaal wird, in dem sich zwei Verliebte einen Dialog liefern, der in allen Farben der lyrischen Palette schimmert. Im Bogenschlag schließlich führen die letzten beiden Kapitel, „jäger im schnee“ und „ich bin verliebt in die großen vögel“ in die Ausgangsform zurück und schließen mit dem gleichermaßen närrischen wie hochtrabenden „ich bin der könig im elektrischen königreich“, das dem ordentlich durchgerüttelten Leser gnädig eine bonne nuit wünscht.
Beim wiederholten Lesen ist man versucht, zu vermuten, hier werde eine Versuchsanordnung durchgespielt, eine poetische Bewegung von Form – Auflösung der Form – Rückkehr zur Form unter veränderten Vorzeichen. Liest man parallel Linus Westheusers Anmerkungen zur Politik der Lyrik, kann man in „Oh Schwerkraft“ durchaus ein Anliegen erkennen, das gesellschaftskritisch motiviert ist: Die Überformung des alltäglichen Lebens durch die konformistische Ökonomie des Kapitalismus muss aufgelöst werden, will man hinter die Kulissen blicken. Diesen Blick gewährt der in vielerlei Hinsicht erstaunliche und kühne Band tatsächlich, für einen kurzen Moment.
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