Königin Christina war ein Hermaphrodit - weil sie nicht heiraten wollte.
"Der Ursprung der Welt"? Nein, das ist kein kosmologisches Buch, kein Buch über den Big Bang - obwohl ... Es geht um die Vulva und die Vagina. Ja, jenes "Feuchtgebiet", über das man nicht so gern redet. Schon gar nicht ernsthaft. Und schon gar nicht in der Öffentlichkeit.
"L'Origine du monde" ("Der Ursprung der Welt") ist der Titel eines berühmt berüchtigten Bilds von Gustave Courbet von 1866, auf dem man genau das sah: gespreizte Beine, eine behaarte Vulva, den Bauch, eine Brust mit Brustknospe. Es war eine Auftragsarbeit für einen türkischen Pascha, die erst 1988 (!) öffentlich gezeigt wurde, vorher war es immer unter Verschluss, zeitweise hinter einem anderen Bild versteckt. Selbst das Enfant terrible der französischen Psychoanalyse, Jacques Lacan, der es viele Jahre besaß, zeigte es seinen Besuchern nicht - so sehr war diese Darstellung verpönt.
Aber es geht in der graphic novel von Liv Strömquist nicht um das Bild. Sondern es geht um das Dargestellte. Denn wie gehen wir mit diesem "Ursprung der Welt", aus dem wir alle geschlüpft sind, um? Erstaunlicherweise gibt es nicht nur Menschen, die Vulva und Vagina schamhaft verschweigen. Es gibt auch einige, die sich sehr viel darum kümmern. Zum Beispiel die Männer, die 1965 veranlassten, dass das Grab der schwedischen Königin Christina geöffnet wurde. "Anlässlich der in gewisser Hinsicht für eine Frau untypischen physischen und psychischen Eigenschaften von Königin Christina und ihrer durch die Literatur hervorgehobenen eventuellen Intersexualität könnte es von Interesse sein, festzustellen, ob ihr Skelett männliche Merkmale aufweist." Zwei krude Bücher hatten ihr "unweibliche Seiten" unterstellt: Sie hatte erfolgreich "männliche Disziplinen" wie Philosophie, klassische Sprachen, Astronomie und Mathematik studiert und "mit Resolutheit und Schläue das Staatsgeschick" gelenkt - also konnte sie nur "intersexuell" sein. Ein anderer Autor stellte fest, dass sie nicht heiraten wollte - also musste sie ein Hermaphrodit sein. "Voilà!"
Die schwedische Feministin Liv Strömquist hat mit "Der Ursprung der Welt" ein witziges, böses und sehr erhellendes Aufklärungsbuch geschrieben. Aufklärung über die männliche Sprache, die den Frauen die Vulva abspricht, weil sie nur von der Vagina spricht, als wenn es die äußeren Geschlechtsorgane der Frau gar nicht gäbe. Und dann manchmal auch noch, wie Jean-Paul Sartre, sie als "Loch" bezeichnet, das gestopft werden will. Er schreibt: "Das weibliche Geschlechtsorgan ist (...) ein Ruf nach Sein wie überhaupt alle Löcher: die Frau an sich ruft nach einem fremden Fleisch, mit dem sie durch Eindringen und Auflösen in Seinsfülle verwandelt werden soll." Was hat Simone de Beauvoir zu diesem Satz eigentlich gesagt?
Strömquist erzählt aber auch von der anderen, weiblichen Tradition, die Vulva zu zeigen, erzählt von Demeter und ihrer Begegnung mit der aus Anatolien stammenden Göttin Jambe (oder Baubo), von den Treffen griechischer Frauen in Eleusis, die sich ihre Vulva ebenfalls zeigten, von den irischen Sheela-na-gigs und den Karolinen und der ältesten bekannten Figurine der Welt, die im Hohlen Fels in Deutschland gefunden wurde: eine Frau mit einer riesigen Vulva - ca. 35.000 Jahre alt.
Strömquist lässt sich auch über den Orgasmus aus und erzählt medizinhistorisch von den sich stark wandelnden Auffassungen über den Orgasmus und seine Beziehungen zum Schwangerwerden, die unterschiedlichen Bewertungen der weiblichen Sexualorgane - kurz: die Ungleichheit von Mann und Frau (wobei nach der männlichen Meinung der Mann natürlich besser ist, und die Frau oft nur ein verkümmerter Mann). Sie schreibt über klitoralen und vaginalen Orgasmus, über das Tabu der Monatsblutung, über die Scham der Frauen über "das da unten". Es gibt nicht viel, was sie auslässt, nicht einmal den zeitgenössischen Biologieunterricht und die Tamponwerbung, die mit ihrer Wiederholung des Wortes "frisch" vor allem darauf hinweist, dass Menstruieren eklig ist.
Das alles bereitet Strömquist in witziger, ironischer Comicform auf, die sehr unterhaltsam ist, auch wenn man manchmal schockiert von den Fakten ist. In sieben Episoden, einige davon in Farbe, die meisten in scharfem Schwarzweiß, stellt ihre bezopfte, gestikulierende Erzählerin die patriarchalen Machtverhältnisse auf den Prüfstand und zeigt, wieso sie nicht weiterhelfen, sondern die Frauen auf vielfältige Weise unterdrücken - manchmal allein durch die Sprache. Scharfsinnig und gleichzeitig locker zeigt sie die Probleme der Männer mit der Vulva auf, lässt die Männer und Kritiker und Unterdrücker der weiblichen Sexualität und Körperlichkeit selbst sprechen, illustriert ihre Aussagen und Funde mit zeitgenössischen Fotografien, Zeitungsausschnitten und eigenen Grafiken, zeigt Höhlenbilder aus einer anderen Zeit, Figuren und Skulpturen. Sie gibt ihre Quellen mit Literaturangaben und Seitenzahlen präzise an, sodass auch die verquersten Ideen mancher Männer dokumentiert sind, Freud, Sartre, John Harvey Kellog, der heilige Augustinus...
Entstanden ist so ein skurriles, manchmal scheinbar übertreibendes, aber doch genaues Bild von der Vulva, von der Kulturgeschichte dieses Organs, dieser Körperregion, die seit Jahrhunderten versteckt und verleugnet wird, verteufelt und sogar beschnitten und weg- oder auf ein winziges Maß kleinoperiert - man darf sie eben nicht sehen. Es kann eben nicht sein, was nicht sein darf. Bis heute. Dieses grandiose Buch sollte nicht nur für alle Frauen, sondern auch für alle Männer Pflichtlektüre sein.
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Kommentare
Bezüge?
Schade, dass hier keine Bezüge zu Mithu Sanyals Vulva-Buch hergestellt wurden - wäre doch spannend gewesen, in welcher Relation die graphc novel gegenüber der kulturtheoretischen Arbeit zu sehen ist ...
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