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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Kupfergroschen an den Birken

Mit einer Serie ungewöhnlicher Wintergedichten trotzte der mährische Dichter Ludvík Kundera (1920-2010) widrigen Zeiten
Hamburg

Während der sogenannten Phase der „Normalisierung“ in den 1970er und 1980er Jahren konnte Ludvík Kundera, der nicht nur Dichter sondern auch Graphiker, Maler, Übersetzer, Theatermensch, Teetrinker und Spezialist für alkoholische Destillate war, in der ČSSR so gut wie nichts publizieren. Die vorliegenden Gedichte waren in einer toten Zeit entstanden, in welcher sich, wie im Winter, die Lebensgeister tief ins Innere zurückziehen. In jenen Jahren zirkulierte im tschechischen Untergrund eine Samizdatausgabe der Schriftstellerin Eva Kantůrková unter dem bezeichnenden Titel „Verbotene Bürger“, in welcher über die Frauen der Bürgerrechtsbewegung CHARTA 77 berichtet wurde. Es waren schwierige Umstände in denen es um das Überleben angesichts von politischer Repression und ideologischer Geistlosigkeit ging.

In der ihm eigenen Weise berichtet Ludvík Kundera in den vorliegenden Gedichten über jene Jahrzehnte, die seinem Land auf die gewaltsame Niederschlagung des politischen Reformversuches unter Alexander Dubček im Frühjahr 1968 gefolgt waren. Als Meister der lakonischen Poesie bevorzugte Kundera Symbole und doppelte Böden, wenn er zum Beispiel das Gedicht „Überwintern 1971“ mit den Zeilen beendete: „Dann leerten wir das Wasserfass / stellten es kopf. / Fällt viel Schnee, / werden sich Rebhühner dort verstecken“.

Da entfaltete einer, der sich jeglicher Publikationsmöglichkeiten beraubt und in seiner Reisefreiheit stark eingeschränkt sah, eine dichterische Erschließung der Welt ganz eigener Art. Ausgangspunkt und Kunderas Refugium zugleich ist das Städtchen Kunštát am böhmisch-mährischen Höhenzug. Oberhalb der Ortschaft lag Kunderas Garten samt Gartenhäuschen, in welchem er sich zu seiner poetischen Überwinterung freudloser Zustände inspirieren ließ: „Für mehr bleibt weder / Zeit noch Kraft“.

Über zwei Jahrzehnte hin waren Gedichte entstanden, die sich in einer Art von Bilanz der Thematik des Überwinterns widmeten. Es sind zeitlose Verse von beeindruckender Skizzenhaftigkeit in Gehalt und Tiefe, die man als mährische Haikus bezeichnen könnte. Das Gedicht „Überwintern 1979“ beginnt mit den Versen „Schnee liegt in der Luft / Fast trete ich auf einen Hasen / Nirgends Vögel / ein paar Kupfergroschen an den Birken / Die Lärche satt orange / Der Acker tiefgepflügt“.

Kaltnadelradierung von Ludvík Kundera

Die politischen Umstände eines verordneten Schweigens wie auch erzwungener Zustimmung hatten zur Folge, daß nahezu jeglicher Vers mit Botschaften versehen ist. Selbst unpolitische Vorgänge wie das über die Jahre hinweg regelmäßig vollzogene Ritual, den Garten winterfest zu machen, geraten dann zu einer Art unfreiwilliger Manifestation. Aber vollzog sich dieser Vorgang in Kunderas Gedichten tatsächlich unfreiwillig? Bereits während der Kriegszeit war Ludvík Kundera der surrealistisch inspirierten Künstlergruppe „Ra“ beigetreten und ein lebenslänglicher Surrealist geblieben. Einer vordergründigen Wirklichkeit zog er deren doppelte Böden vor und macht sich einen Spaß daraus, diesen einen Spiegel vorzuhalten. In dieser eintretenden Vervielfachung der Bilder nimmt der Dichter an einer Neuerschaffung der Welt teil. Souverän beherrschte Kundera die Gesten des Lakonischen, der Ironie aber auch des stillen Humors.

Den poetischen Dialog über Grenzen hinweg pflegte Ludvík Kundera zeitlebens und wußte dessen Anregungen zu schätzen. Bald schon nach dem Zweiten Weltkrieg, den Kundera als Zwangsarbeiter in Berlin-Spandau nur knapp überlebte, knüpfte er Kontakte zu deutschen Dichtern wie Hans Arp, aber auch Peter Huchel oder Erich Arendt. Der Dichter Reiner Kunze hatte über seinen Freund und Kollegen aus Mähren eine bezeichnende Einschätzung gefällt: „Ludvík Kundera ist ein literarischer Fels inmitten so vieler außerliterarischer Mißverständnisse. Die Tschechen und die Deutschen sollten auf solche Felsen bauen“.

Neben Gedichten, Essays und Dramen, die Kundera geschrieben hatte, trat er auch als Herausgeber vor allem des Werkes des mährischen Schriftstellers František Halas in Erscheinung. Ludvík Kundera erhielt zahlreiche Anerkennungen und Preise, so im Jahr 2007 die höchste Auszeichnung des tschechischen Präsidenten. Für sein Lebenswerk wurde Kundera am 12. Oktober 2009 in Tschechien mit dem renommierten Jaroslav-Seifert-Preis geehrt.

Dem Herausgeber und Übersetzer Eduard Schreiber ist zu danken, daß er dieses engagiert zusammengestellte Bändchen mit Kaltnadelradierungen von Ludvík Kundera ausgestattet hat. Als langjähriger Freund Kunderas kennt er dessen anhaltende Leidenschaft für bibliophil ausgestattete Bändchen. Bereits während der Jahrzehnte der Repression waren in der ČSSR im Samizdat, im Selbstverlag, Gedichte und Texte erschienen. So etwas gefiel dem Büchermenschen Ludvík Kundera, der in seiner Jenaer Poetik-Vorlesung vom November 1993 über diese Zeit berichtete: „Der gute alte tschechische Brauch, immerfort etwas »herauszugeben«, beflügelte uns.“

Ludvík Kundera
Überwintern
Aus dem Tschechischen von Eduard Schreiber. Graphiken: Kaltnadelradierungen des Autors
Hochroth, Berlin
2014 · 40 Seiten · 6,00 Euro
ISBN:
978-3-902871-60-2

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