Frauen dichten anders
Die Tatsache, dass Bücher über die Andersartigkeit von Frauen, ihrer Art zu lesen (Ruth Klüger: Frauen lesen anders), zu dichten (im hier zu besprechenden Buch), immer einen schlechten Nachgeschmack haben, weil sie auf die (noch immer aktuelle) Benachteiligung von Frauen verweisen, sollte nicht unbedingt ein Argument sein, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Frauen dichten auch deshalb anders, weil sie von Männern mit anderen Augen wahrgenommen werden, immer noch in erster Linie als Frauen und dann erst als Dichter.
Soviel vorab zu den 181 Gedichten von 54 Autorinnen, die Marcel Reich Ranicki leider nicht in erster Linie als Plädoyer für das Gedicht verstanden hat, sondern „(...) zugleich und vor allem als ein Plädoyer für die Poesie der Frauen und nicht obwohl, sondern weil sie anders dichten.“
Diese Prämisse liegt beiden Büchern zugrunde, die es unter dem Titel „Frauen dichten anders“ gibt, denn es gibt dieses Buch in zwei Versionen. Während 181 Interpretationen1 eine kleine Kulturgeschichte bereitstellen, mit vielen Hintergrundinformationen zu den Dichterinnen und den zeitgeschichtlichen Bedingungen ihres Schreibens, beschränkt sich die andere Ausgabe der gleichlautenden Anthologie auf eine Auswahl von Gedichten von Sybylla Schwarz bis Nadja Küchenmeister. Die meisten der ausgewählten Gedichte sind identisch, aber es gibt doch Unterschiede. So tauchen sehr junge Dichterinnen wie Küchenmeister und Dansz in der interpretierten Ausgabe nicht auf, aber auch die Auswahl der von einer Dichterin verfassten Gedichte unterscheidet sich bisweilen.
Nach einer unbekannten Dichterin aus dem 12. Jahrhundert, macht Sybilla Schwarz den Auftakt dieser Anthologie, eine erstaunliche Barockdichterin, die gerade einmal 17 ½ Jahre alt geworden ist. Trotz ihrer Jugend schrieb sie formvollendete, gewitzte und originelle Gedichte. Über Karoline von Günderode und natürlich Annette von Droste-Hülshoff, die mit einer beachtlichen Anzahl von Gedichten vertreten ist, zu Else Lasker-Schüler, Gertrud von Le Fort und Nelly Sachs, Ilse Aichinger bis Ingeborg Bachmann, Friederike Mayröcker und Ulrike Draesner, kommen auch weniger bekannte Dichterinnen zu Wort. Natürlich werden jedem Leser bestimmte Namen fehlen und andere Dichterinnen überrepräsentiert erscheinen, es gibt wohl keine Anthologie, die jeden Leser zufrieden stellen kann.
Interessanter als dieses nicht vermeintliche Manko scheint mir jedoch die Entwicklung der chronologisch angeordneten Gedichte und die Gemeinsamkeit, die sie über die unterschiedlichen Epochen hin zu haben scheinen. Nie geht es um eine Abbildung dessen, was ist, sondern um das, was erlebt wird, um die Ungeheuerlichkeiten, die sich im Inneren abspielen, um „Die Wahrheit hinter dem Wort“, wie Heinz Politzer es in seiner Interpretation zu Else Lasker Schülers Gedicht „Die Verscheuchte“ formuliert.
Und weil dieses Buch ausdrücklich als „ein Plädoyer für die Poesie der Frauen“ verstanden sein will, wie Reich-Ranicki auf dem Buchrücken zitiert wird, will ich auch kurz auf den vermeintlichen Unterschied zwischen weiblicher und männlicher Poesie eingehen. Ruth Klüger zeigt in ihrer Interpretation von Lasker-Schülers „Mein blaues Klavier“ anhand des Vergleiches von Lasker-Schüler mit Brecht, dass Frauen anschaulich machen, beschreiben und offenbaren, statt Lösungen zu formulieren und Aufrufe.
Aufgrund der chronologischen Anordnung der Gedichte ist diese Anthologie auch ein Gang durch die deutsche Geschichte, geschrieben von denjenigen, die nie wirklich dazu gehörten und vielleicht gerade deshalb einen besonders scharfen Blick auf die Zeitgeschichte haben. So kann man neben den politischen Umbrüchen auch ein wachsendes Selbstbewusstsein der Dichterinnen beobachten, ein immer klareres Benennen der Gewalt, wie es besonders bei den Gedichten von Hertha Kräftner der Fall ist. Da stilisiert sich kein Opfer, da wird auch keine Ohnmacht zelebriert, es wird nur sehr genau und rückhaltlos ehrlich hingesehen.
Oder es wird eine große Souveränität sichtbar, auch in der unglücklichen Liebe, wie bei Sarah Kirsch in ihrem Gedicht „Bei den Stiefmütterchen“.
Bei den Stiefmütterchen
Bei den weißen Stiefmütterchen
im Park wie ers mir auftrug
stehe ich unter der Weide
ungekämmte Alte blattlos
siehst du sagt sie er kommt nichtAch sage ich er hat sich den Fuß gebrochen
eine Gräte verschluckt, eine Straße
wurde plötzlich verlegt oder
er kann seiner Frau nicht entkommen
viele Dinge hindern uns MenschenDie Weide wiegt sich und knarrt
kann auch sein er ist schon tot
sah blaß aus als er dich unterm Mantel küßte
kann sein Weide kann sein
so wollen wir hoffen er liebt mich nicht mehr
Die Gedichte der Frauen sprechen vom Widerstand des Aushaltens (exemplarisch dazu Sarah Kirsch „Verdammung“), von einer Konfrontation mit dem Schmerz, dem die Frauen ihrem unverletzbaren Kern, bestenfalls ihre Hoffnung, entgegensetzen.
Immer wieder, ob es um die grausamen gesellschaftlichen Bedingungen von Krieg und Verfolgung geht, oder um das zutiefst intime Subjekt der unglücklichen Liebe, ist das „Gedicht ein leiser Triumph der Poesie über die Verzweiflung“ (Ulrich Weinzierl).
WER ES KÖNNTE
Wer es könnte
die Welt
hochwerfen
daß der Wind
hindurchfährt.(Hilde Domin)
Die Anthologie „Frauen dichten anders“ ist ein Buch nicht nur über die Wandlungen der weiblichen Stimme, sondern vor allem und zuerst über die unvergleichliche Kraft der Dichtung.
Gleichberechtigung, wie ich sie verstehe, wird erst dann herrschen, wenn man nicht mehr über weibliche versus männliche Dichtung sprechen wird, sondern über die Unterschiede einzelner Dichtungen, wenn also die Dichtung im Mittelpunkt steht, statt der Frage, ob eine weibliche oder eine männliche Hand sie niedergeschrieben hat. Aber vielleicht sind Bücher wie dieses einer der möglichen Schritte in diese Richtung. „Vielfalt und Reichtum der deutschen Frauendichtung zeigt man am besten an einzelnen Gedichten“, schreibt Reich-Ranicki in seinem Vor- bzw. Nachwort, und so kann man diese Anthologie getrost als eine lesen, die sich das Geschlecht als Thema ausgesucht hat.
- 1. Bei den Interpretationen überwiegt ganz klar der männliche Blick. Lediglich 19 der 91 Interpreten sind weiblich.
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