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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Marjana Gaponenko – Das letzte Rennen

Marjana Gaponenko hat nicht nur den Verlag, sondern auch das Genre gewechselt
Hamburg

Vielleicht hätte ich dieses Buch anders gelesen, wenn ich den Namen der Autorin nicht gekannt hätte. Vermutlich standen mir einige durch die vorangegangenen Bücher genährte Erwartungen im Weg, und ich konnte "Das letzte Rennen" nicht so vorurteilslos lesen, wie ich ein Buch gelesen hätte, dessen Verfasser ich noch nicht kenne. Hätte es mir unter diesen Umständen besser gefallen? Ich glaube nicht. Ich hätte vielleicht früher zu lesen aufgehört, hätte während der Vorbereitungen zum "letzen Rennen", vor dem großen Showdown, aufgegeben, und wäre also gar nicht an den Punkt des Romans gekommen, an dem sich alles als Farce entpuppt.

Während sich Handlungen, Verläufe und Begegnungen bei den vorherigen Romanen von Gaponenko traumwandlerisch selbstverständlich ergaben, liest sich "Das letzte Rennen" konstruiert, teilweise bemüht. Über hundert Seiten lang wird aus der Perspektive eines sehr reichen Einzelkindes die Geschichte eines auf ungewöhnliche Weise zu Geld gekommenen Mannes erzählt, es wird von Pferderennen und Fiakern berichtet, von Frauengeschichten und exzentrischen, aber letztendlich harmlosen Figuren. Kaum noch eine Spur von der barock übersprudelnden Fantasie, die die Vorgängerromane "Annuschka Blume" und "Wer ist Martha" zu einem Lesefest gemacht haben.

In einem Interview aus dem Jahr 2012 sprach Gaponenko noch von Glanz und Sinn durch das Schreiben. Davon, dass sie keine Angst vor großen Gefühlen, vor barockem Übermaß und Pathos habe. Damals sagte sie noch:

Ich will keine Handlung, keine Geschichte, sondern eine tiefere Wahrheit.

Was ist mit diesem Vorsatz, mit dieser Überzeugung geschehen?

Schon beim Übergang vom ersten zum zweiten Roman war mir aufgefallen, dass Gaponenkos Erzählweise ruhiger geworden war. Das lag, dachte ich damals, in erster Linie an dem Protagonisten. Nun aber liegt eine Vater-Sohn Geschichte vor, Pferde, Kutschenrennen und Affären bilden den Hintergrund. Das erfordert nicht unbedingt eine ruhige, zurückgenommene Erzählweise. Was also ist passiert? Warum schleppt sich dieser Roman auf über 100 Seiten dahin, ohne einen einzigen Funken zu versprühen?

Aber es wird Zeit, wenigstens grob zu erzählen, worum es in "Das letzte Rennen" geht. Erzählt wird aus der Perspektive eines wohlhabenden, aber prinzipienlosen jungen Mannes von seinem betulichen Leben auf dem Reiterhof. Obwohl sein Vater eine schillernde Lebensgeschichte hat, bleibt er in der Schilderung seines langweiligen Sohnes blutleer.
Dieser Vater, aus Polen nach Wien emigriert, hatte mit seiner Erfindung eines ölfreien Verdichters für Bremsen zwar keinen direkten Durchbruch erzielen können, wusste die Idee aber so geschickt zu vermarkten, dass er es zu einem beträchtlichen Vermögen brachte. Genug Geld jedenfalls, um eine ehemalige Rennbahn zum Domizil der Familie zu machen und dort von Zeit zu Zeit rauschende Feste zu feiern.

Nachdem die Hälfte des Buches vor sich hin geplätschert ist, macht Gaponenko einen harten Schnitt, und das ist durchaus wörtlich zu verstehen.

In dieser zweiten Hälfte finden sich dann auch wieder die Art von Sätzen, die mich in den vorhergegangenen Romanen bezaubert hat:

Nach der Lektüre eines Romans, in dem ziemlich oft Wörter wie Wendung, Schicksal und Fügung vorkamen, erhob sich für mich immer wieder die Frage, ob wir wirklich die handelnden Personen in unserem Leben oder bloß Spielbälle sind, die seit Urbeginn der Welt ein Zufall dem anderen zuwirft.

Der Vater hat Prinzipien, etwas, das dem Sohn vollkommen fehlt. Deshalb verliert der eine seine Arme (die ihn zur Handlung befähigen könnten), der andere (der immer wusste, was er tat) geht seines Verstandes verlustig.

Die Bäume jubelten einem Helikopter zu, der nun pfeilgerade über der Allee flog.

Vielleicht musste Gaponenkos Protagonist seine Arme verlieren, um die Fantasie wieder zu finden.

Zu ihrer Arbeitsweise sagt Marjana Gaponenko, sie schreibe ein, zwei Kapitel, dann lese sie ein Jahr lang Fachliteratur. Vielleicht waren die Bücher über Kutschen, Pferde und Fiaker einfach viel schwerfälliger als diejenigen über Vögel, die Gaponenko anlässlich ihres letzten Romans gelesen haben muss. Jedenfalls steht hier statt einer Feier des Lebens die Frage nach Sinn und Selbstbestimmung im Mittelpunkt.

Der Stil ist deutlich anders als in den vorrangegangenen Büchern, Gaponenko bedient sich einer gewählten, aber blutleeren Sprache. Das passt, weil es die Lebensweise, die Atmosphäre abbildet. Eine Begrüßung, die in der Aufzählung von Namen und Positionen besteht, das ist unter Umständen aufschlussreich - unterhaltsam ist es nicht.

Welche wohl die letzte Stufe zur Hölle sei, wunderte ich mich und wollte es doch lieber gar nicht erfahren.

Natürlich machen solche Sätze deutlich, wie unentschieden und ziellos, wie unselbstständig der Erzähler im Leben unterwegs ist. Die Frage ist nur, ob ich das über 100 Seiten lang lesen möchte. Die skurrilen und weltfremden Figuren, die an einer längst ausgestorbenen Tradition festhalten, das scheint eine bestimmte Art zu schreiben zu erfordern.

Kann sein, Marjana Gaponenko hat hier eine Farce geschrieben, "eine teilweise ins Groteske übertriebene Farce", lese ich nach, "zeigt eine aus den Fugen geratene Gesellschaft und die Brüchigkeit aller Konventionen." "Ironisch getönt, scharfsinnig und höchst elegant geschrieben", heißt es in der Rezension im Spiegel. Das ist sicher alles wahr, ebenso wahr ist jedoch: Das ist ein sehr langes Verharren im "Plauderton", bis nach dem titelgebendem "letzten Rennen" die Wende kommt.

Das Verharren in einer harmlosen (weil gebändigten und dressierten) Schönheit, hinter der sich dennoch Kraft verbirgt, auch dafür sind die Pferde, die den Hintergrund von Gaponenkos Roman abgeben, ein gutes Bild, eine treffende Metapher. Alles stimmt, passt, ist handwerklich gut gemacht. Und vielleicht ist es letzten Endes gerade das, was mich stört: dass dieses Buch keinen Fehler hat.

 

 

Marjana Gaponenko
Das letzte Rennen
C. H. Beck
2016 · 266 Seiten · 19,95 Euro
ISBN:
978-3-406-68955-0

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