Vermessung der Möglichkeiten
„Etwas geschieht, aber ich weiß nicht, was./ ein Brustkorb dehnt und spannt sich,/ die Wände der Adern werden enger, diese Rinnen, Drüsen/ sondern über Zagreb Unmengen Galle ab.“ Mit diesen Versen beginnt der Gedichtband Schwarzes Land von Marko Pogačar. Von Anfang an wird dem Leser verdeutlicht: Hier spricht jemand kompromisslos, ehrlich, bisweilen zornig. Aber so klar wie zu Beginn werden die Bilder nicht bleiben.
Marko Pogačar, geboren 1984 in Split, gilt laut seinem Verlag, der Edition Korrespondenzen, als „Schlüsselfigur der neuen Lyrikszene Südosteuropas“. Bereits 2005 veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband, es folgten in kurzer Zeit drei weitere, nationale Literaturpreise und internationale Aufmerksamkeit. Seine Gedichte überraschen vor allem durch ihren wuchernden sprachlichen Duktus, sind dominiert von einer individualisierten, dunklen Metaphorik, einer mitunter organischen Apokalyptik. Sie äußert sich in Versen wie „Ich war tot und dunkelblau/ weich wie ein Eimerchen, als ich geboren wurde/ ein Eimerchen voller Fett und Knochen, ein Bündel Wind/ herausgeschlagen aus de schwarzen Bett der Mutter“ oder „Der Nachmittag verfault auf seinen schwankenden Beinen,/ taut auf, ein Kalb, das es nicht zum Metzger schaffen wird,/ die Weide vom Muhen durchflutet, alles sammelt sich/ in irgendeinem abendlichen Bewusstsein, das trübe/ und alleingelassen ist: Mutterkuchen auf den unteren Ästen,/ Blut auf der Grashalmschneide, Hörner bloß/ in Spuren, wie ein alltägliches Gift;/ Zähne verstreut in gefährlicher Mundnachbarschaft.“
Um Freiheit geht es, und um Fremdbestimmung, um die Vermessung der eigenen Möglichkeiten in einer unüberschaubaren Welt. Pogačars Gedichte sind wuchtig, aber nie aus nur einem Stück gefertigt. Wie ein Granitblock, der aus Splittern wieder zusammengesetzt wurde. Wie eine Drahtinstallation, die den Raum ausfüllt, weit verzweigt, eher engmaschig als fragil. Und immer wieder die Frage, ob Sprache, ob Dichtung eine Orientierungshilfe sein kann. Nicht selten endet die Frage in einer unbestimmten Antwort oder gar in einer mit kleiner Bosheit versehenen Warnung. „Du liegst und wartest auf ein Gedicht. du regst dich nicht./ wie ein niederträchtiger, mit Klebstoff überzogener/ Ast, der auf einen Vogel wartet.“
Das Herzstück des Bandes bildet der 15 Gedichte umfassende Zyklus Der See, in dem das lyrische Ich die Perspektive eines scheinbar ewigen Gewässers einnimmt und als uralter Zeuge sich wiederholender Geschichte mal lakonisch, mal von neuem Wissensdurst erfüllt auf so ziemlich alles blickt, was war, ist und kommen wird. Die Frage, ob Pogačar nicht manchmal etwas zu viel will, stellt sich dabei offenbar nur dem Leser. Der See, so scheint es, ist eine alles absorbierende Meditation, in der es im Zweifelsfall heißt: „alles ist See außer dem See.“ Ein Eindruck, der in seiner Folge vor allem auf philosophische, fast buddhistische Erkenntnisverse aufmerksam macht. „ein See ist ein Ei. alles, was aus seiner Schale herauskommt, bewegt sich/ zum eigenen Grund.“
Doch es sollte jetzt nicht der Eindruck entstehen, Pogačars Gedichte gipfelten in einer ganz und gar vergeistigten Weltentrücktheit. Dass dem nicht so ist, beweist diese Strophe gegen Ende des Zyklus', die fast so etwas wie eine Zusammenfassung von Schwarzes Land ist.
alles, was der See dort sah, war die Brut
gefährlicher Hunde. sagen wir mal so: er hatte
nichts als die gebotene Depression, einen Überschuss an Tiefe und all dieses Wasser.
nehmen wir jetzt an, dass alles trügerisch ist. dort spielt sich
ein trockenes und angenehmes Picknick ab. es gibt viel zu trinken, viel Milch, viel Gott,
aber der See springt von der Brücke. in ihm ein stummer und freier Fall,
der Grund unter ihm stumpf und endlos, wie das Kroatische Parlament. die Landschaft
zwingt die Tierköpfe zur Erde. die Wurzeln faulen weiter.
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