Ein Schweizer Wetter
Schweiz schwarz-weiß: Dass Schweizer Literatur mehr kann als Kuhglocken-Idylle, hat zuletzt wieder einmal Pedro Lenz in seiner Junkie-Ballade Der Keeper bin ich bewiesen, wo die Bauern sich ein Zubrot als ländliche Entzugsstationen verdienen, keiner dem anderen über dem Weg traut und sich selbst im letzten Winkel des Emmentals Ganoven und Kleinkriminelle die Klinke in die Hand geben. Michael Fehr stößt in dieselbe Richtung und räumt in seinem neuen Text Simeliberg mit dem romantischen Topos der Waldeinsamkeit auf. Statt Idylle gibt es hier jede Menge Dreck, Paranoia und militante Landjugend, auf deren Bekanntschaft man lieber verzichten würde.
Fehr hat bei einem eindrucksvollen Mundart-Vortrag im Rahmen des letztjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettlesens schon einen kleinen Einblick in sein neues Projekt gegeben, ausgezeichnet wurde er dafür mit dem Kelag-Preis. 1982 geboren, mit Ausbildung am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel und an der Hochschule der Künste in Bern, ist er neben seiner Autorentätigkeit – Simeliberg ist nach Kurz vor der Erlösung seine zweite Buchpublikation im Verlag Der gesunde Menschenversand – auch Literaturvermittler, kuratiert das Lyrik-Netzwerk Babelsprech und kümmert sich um die Schweizer Seite des Open-Mike-Wettbewerbs.
Die abgehackte, radikal zerlegende, szenische Sprache des Vorgängerbandes findet sich auch in Simeliberg wieder. Das macht das Lesen erst anstrengend – fehlende Satzzeichen, scheinbar willkürliche Umbrüche – bringt dann aber nach einer gewissen Umstellungszeit den Lesefluss in ein gehöriges Tempo, eine Atemlosigkeit, die der unerhörten Geschichte, die hier wiedergegeben wird, sehr gut eignet.
„Brühe“
macht zu
dreht sich zurück
„bei Gefrörne graue
schwarze Kruste
bei Hitze graue
schwarze Sauce
dazwischen etwas dazwischen
Matsch
Schwarz, der einen abgelegenen Hof im Wald bewohnt, wird vom Gemeindeverwalter Griese aufgesucht. Offenbar ist, wie sich später herausstellt, die Frau des als Eigenbrötler Bekannten schon lange nicht mehr gesehen worden, also scheint es am besten, ihn erst einmal zur Befragung aufs Amt zu bringen. Tatsächlich gibt Schwarz allerhand Seltsamkeiten zu Protokoll, von Außerirdischen, der bevorstehenden Kolonisierung des Mars und den Vorzügen des Kommunismus, und ist generell von einer bedenklichen Endzeitstimmung umfangen. Griese, der teils ambitioniert, aber auch etwas nassforsch wirkt, kehrt in Schwarz’ Abwesenheit noch einmal zu dessen Haus zurück, wo er von merkwürdig uniformierten Jugendlichen ertappt wird, die schon länger bei Schwarz ein- und auszugehen scheinen. Es gibt eine große Explosion, einige Tote – und ein etwas zu offenes Ende, das die Handlungsfäden in der Luft hängen lässt.
Die auf Satzzeichen und erkennbar sinnhaften Umbruch verzichtende Notation des Textes, nach der Fehr verfährt, führt zu einer gewissen Trübung des Verständnisses, die aber sicher gewollt ist: So grau und wolkenverhangen die Bergwelt, so undurchsichtig erscheinen auch die Motive der Sprechenden, selbst Griese, der Detektiv dieses Kriminalromans der etwas anderen Sorte, kann die Sympathie des Lesers nicht gänzlich auf sich lenken. Gleichzeitig macht die Zerlegung der Sätze bis auf einzelne Worte – oft sind es nur zwei bis drei pro Zeile – auf die sprachliche Urwüchsigkeit des Schweizerdeutschen aufmerksam, mit der Fehr sehr gekonnt hantiert. Unterstützend (und dankenswerterweise) werden dann auch die oft dem Dialekt entnommenen Wendungen („pflotschen“, „trogeln“) in einem angehängten Glossar erklärt.
drinnen Schatten
er probiert die Türe
es ist offen
tritt hinein
macht die Lampe an
ein scharfer Strahl
wo der Kegel trifft
ist sauber weiss
sonst dunkel
Während also die Kombination von Sprach- und Inhaltsebene glänzend funktioniert, hapert es dann doch an der Durchführung der Handlungsidee, bei der arg viel im Dunkeln treibt: Weder wird die Rolle von Griese in seiner Funktion im Ort genauer erklärt – er scheint eine Zwischenposition zwischen der Bevölkerung, gegenüber welcher er sich in der Verantwortung sieht, und dem Amt, dem er Rechenschaft schuldet, einzunehmen – noch eine geheime Affäre mit einer gewissen Frau Wyss, die auch zufälligerweise die Mutter eines der jungen Männer ist, die sich um Schwarz’ Haus tummeln.
Auch hebt die strukturelle Anlage binärer Oppositionen (schwarz/weiß, Stadt/Land usw.) hebt den Text zwar aus einem reinen Lokalkolorit-Zusammenhang heraus – das intertextuelle Spiel mit dem titelgebenden Motiv des „Simeliberg“, das gleich auf zweierlei anspielt, nämlich auf ein für seine Melancholie berüchtigtes Schweizer Volkslied und ein Märchen der Gebrüder Grimm, führt dann aber eher in die Irre. Hier wirkt Fehr unentschieden, was dem Text eine gewisse Balance nimmt.
Dabei geht viel in die richtige Richtung: Selten ist die Schweiz so düster und kalt gezeigt worden, eine Schwarz-weiß-Schweiz, die an die stark suggestiven und auch angenehm un-folklorehaften Bilder des Fotografen Mäddel Fuchs erinnert, der in seinem Band Hag um Hag. Ein Requiem die überraschende Poesie der Appenzeller Weidelandschaft eingefangen hat. Es würde nicht wunder nehmen, wenn durch eines dieser Bilder plötzlich eine Figur wie Michael Fehrs Schwarz tappte.
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