Anzeige
Heimat verhandeln V&R böhlau
x
Heimat verhandeln V&R böhlau
Kritik

Die Poesie der Konsequenz ist lebensnah

Es ist sehr erstaunlich: da hat man alle Möglichkeiten, alle Chancen, jede Freiheit und trotzdem klingt vieles in der aktuellen Lyrik verkrampft und gekünstelt und auf andere Art schablonenhaft. Dieses oder jenes darf man nicht, das eine soll, das andere kann man nicht - schließlich hat das moderne Gedicht ja einen eigenen Chic und möglichst nichts am Hut, das an ein Gedicht von gestern erinnert, sondern nur Wimpel in vermeintlich eigenen Farben. Die Lyrikschreibenden werden von Vermeidungsstrategien gefesselt und stoßen sich den Kopf an frisch betonierten Tabus. Eine Rose hat nicht schön zu sein und daß sie wundervoll duftet, wird besser verschwiegen. A rose isn’t a rose. Das ist ja alles Käse.

Wirklich frei ist nur der, der keine Schablonen braucht, in keine passt und die Dinge so tut, wie es wirklich zu ihm passt.  Derjenige, der sein Gedicht schreibt, nicht das erzwungene, erwartete, nicht das veranstaltete und inszenierte, wird auch Leser erreichen, die das tiefenwirksame Glücksmoment der Poesie mit ihm an einem Ort teilen, an dem man Begrenzungen, Verbote, Einhausungen vergeblich sucht, weil dieser Ort seiner Natur nach ganz entgegengesetzt beschaffen ist als Entwurf und Preisgabe, eine offene Schaltung im Beziehungsreich der Welt, von dem uns gerade die Poesie schon immer erzählt. Beziehungen sind es, die seit je alles entstehen lassen. Da ist das Abkapseln und Einsperren ein Rückzug und was sich „retromodern“ nennt zu oft nicht mehr als ein zurechtgestutztes Gebilde. Jedenfalls kein lebendiges Gedicht, das fähig wäre an einem Ort in Beziehung zu treten mit dem Leser, den beide aufsuchen können, Schreibender wie Leser, und nicht nur der vor sich hin dichtende Kapselbewohner, der von semantischen Proteinpillen lebt.

Es gibt gottseidank (wenn auch zu oft hinter den literaturbetrieblich bevorzugt ausgebeuteten flachen Sprach- und Sprech-Plakativen leider erst in der Kulisse auffindbar) wunderbare Dichter in Deutschland, die sich um Tabus und Schablonen und Zulassungsbeschränkungen und no-go’s, um Anbiederung, Demutsgebärden und ästhetische blow-jobs nicht kümmern, sondern einfach gute Lyrik schreiben. Dichter/innen, die Mann und Frau genug sind, einfach ihr Gedicht zu schreiben, so wie jemand sich sein Instrument schnappt und spielt, was zu ihm, zu seinem Moment, zu seinem Ort passt – und zwar sehr kunstfertig und handwerklich reif obendrein.

Michael Wildenhain beispielsweise. Während er im Literaturbetrieb seit seinem Erstlingsroman bei Rotbuch über die Berliner Hausbesetzerszene als „politischer Autor“ gilt, ist er für mich spätestens seit seinem völlig zu Unrecht kaum beachteten Gedichtband „Die Zeit als Wolf“ (1997 in der Landpresse in Weilerswist) einer der stärksten Lyriker die wir haben. Was nicht an irgendwelchen besonderen Techniken und ausgefeilten Chiffrierungsmodellen liegt, sondern an der klaren Linie und dem genauen Satz, am passenden Wort am richtigen Platz.

Celan kann man heraushören, so melodisch ist das. Brecht sowieso. Liedhaftes mit Refrain.

Vom Wunder ist die Rede, von der Liebe, vom Wind und vielen sanften Sachen, von Grau und Schweigen, von Rändern und von Bettelei, von Tod und Schleifstein, vom letzten Tango und dem Duft der Nacht. Alle großen Themen sind im Prinzip lapidar, sie verstecken sich meist nur hinter Argumenten. Aber Michael Wildenhain lässt sich nicht täuschen, Gerede findet nicht statt. Es gibt die Erscheinung und sie ist lebendig. Das Leben ist da und verlässlich auch jenseits der Worte. Auch in den Erinnerungen, an Portugal, an die Momente der Liebe, an die Zahnspangenzeit, an Bruce Lee und Rollkragen aus Trevira. Das Leben hat immer zu tun. Auch mit dem Gedicht. Zumindest bei Michael Wildenhain. Viel wird gereimt, klingt rund und mühelos (das ist viel eher ein Zeichen für gute Lyrik als die plakative Anstrengung und der explizite Aufwand des Hermetischen). Auch das Ungereimte findet ausreichend Platz. Gedichte direkt aus dem Leben und dennoch, nein: deswegen verzaubernd.

„Die schönen scharfen Zähne der Koralle“ ist als Band 3 in der Reihe der Bamberger Bände, in denen herausragende Stipendiaten des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia dort oder im Nachhall zum Aufenthalt dort Entstandenes präsentieren können, im Jahr 2007 erschienen. Ein wundervolles, aber leider sehr entlegenes Buch, das viel weitere Verbreitung finden sollte. Hier schreibt einer Gedichte, für den Konsequenz nicht das Resultat einer zusammengepuzzelten, erdachten, argumentativen Kette ist, sondern das, worin die eigenen Wahrheiten ihr Drehbuch als Lebensfilm umsetzen, und er schreibt sie so, daß das Lesen Freude, Glück bereiten und nachdenklich machen über die Zeit in der Welt, die vom Wunder noch hat, was im Leben gewollt ist.

Michael Wildenhain · Bernd Goldmann (Hg.)
Die schönen scharfen Zähne der Koralle
Edition Villa Concordia
2007 · 88 Seiten
ISBN:
978-3-936897456

Fixpoetry 2009
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge