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Kritik

Die Sichtbarmachung des unsichtbaren Geschlechts

Mithu M. Sanyal enthüllt die Vulva

Wenn Jean Baudrillard oder Roland Barthes schreiben, dass Frauen, die sich entkleiden, etwa bei einem Striptease, nicht ihr Geschlecht, sondern allein ihren Mangel enthüllen würden, sprich: das Fehlen eines Phallus, dann wird das nicht nur Feministinnen empören. Mithu M Sanyal hat sich in vorliegendem Kompendium zur Geschichte der Vulva mehr als nur empört und spart nicht mit Vorwürfen an die patriarchale Geschichtsschreibung der europäischen Kulturgeschichte. Was manchen als „Tor zur Hölle, Quelle allen Zwists und Ärgers auf der Welt und möglicher Untergang des Mannes“ erscheint, wird von der Autorin in den Mittelpunkt einer Abhandlung gestellt, die weit ausholt und auch nicht auf nicht-europäische Kulturen verzichtet. „Bau“ hieß etwa die sumerische Göttin der Quellen, Höhlen und Eingänge und in Japan heißt dieselbe Ame no Uzume. Selbst auf der Kaaba (!) befinde sich laut dem arabischen Philosophen al Kindi eine Vulva, nämlich diejenige der Mondgöttin Al`Uzza. Bei den Indern wiederum gibt es die Schlangenmutter Ananta, die durch Kundalini-Yoga auch die weibliche Seite des Mannes erwecken könne. Kali und Kunda wären die dazugehörigen indischen Gottheiten, die für aggressive weibliche Sexualität stehen, vor der die englischen Kolonialherren die Inder gerne befreit hätten, die männlichen, wohlgemerkt. Denn die weiblichen wurden als männermordende Kalis gesehen. Unter dem Deckmantel moralischer Entrüstung, schreibt Sanyal, habe hier eine Gesellschaft ihre unterdrückten Triebe befriedigt. Soweit die Kulturkritik. Danach wird’s etymologisch.

Aber zurück ins Abendland, into the belly of the beast: Sigmund Freud hatte im Haupt der Medusa die Vulva erkannt und erklärt, man erstarre deswegen zu Stein, weil darin die Abwesenheit des Penis zutage trete. Das Herz als Piktogramm der Feige spiele sogar auch im religiösen Kontext eine große Rolle, nicht zuletzt weil Adam und Eva sich ja damit im Paradies bedeckten, als sie erkannten, dass sie nackt waren. Im Altgriechischen und Lateinischen bedeute „fica“ also eigentlich gar nicht Feige, sondern Vulva, so wie das heute im Italienischen noch gebraucht wird, etwa für „geile Braut“. Aus der Etymologie des Wortes „fica“ leitet die Autorin auch die englischen Ausdrücke „fuck“ oder deutsch „ficken“ ab, sowie das Adjektiv „feige“, das im Mittelhochdeutschen eigentlich noch „lüstern, geil und unverschämt“ bedeutet habe. Im Grimmschen Wörterbuch wurden die „ficarii“ (die Feigenmänner) als jene welche definiert, „die keine Arbeit frei antreten, viel weniger austauren (sic!)“ würden, lieber „die Feigen ihrer Frauen fickten (sic!), als für Krone und Vaterland in den Krieg zu ziehen“. Wer also „feige“ ist, fickt gerne und wird damit zu einem unbrauchbaren Staatsbürger. Selbst das Gähnen (englisch: yawn) leitet die Autorin von der Vulva ab: das mittelenglische Wort „yonen“ komme von dem Sanskritwort „yoni“: Vulva! Irgendwie hat also alles mit der Vulva zu tun, oder wie? Selbst der „honeymoon“ stammt aus einem Hindu-Heiratsritual, dass nämlich der Bräutigam die Frau mit Honig beschmierte, um danach vor ihrer yoni zu knien und ihr (der yoni) zu huldigen.

Auch andere Herleitungen im ersten Kapitel können den Leser überraschen, etwa wenn die Mandel zum Aphrodisiakum erklärt wird, weil sie der Form des weiblichen Geschlechts so ähnlich sei. Die Autorin versteht es, Verbindungen aufzuzeigen, wo zunächst scheinbar keine sind. Warum sich die frühen Christen „vesica piscis“ nannten, was übersetzt nichts anderes als „Fischblase“ bedeute? Das Akronym für Fisch, griechisch IXTYS, bedeute Iesous Christos Theos Hyios Soter, Gottes Sohn Erlöser, gleichzeitig bedeute Fisch (delphos) aber auch weiblicher Schoß. Verstanden sich die ersten Christen als Schoß der Menschheit oder waren etwa Feministen? Hat die Katholische Kirche dieses Erbe mit Absicht vernichtet? Die synkretistischen Christen haben sich bekannterweise auf viele alte Religionen und Kulte draufgesetzt und sie vorerst integriert, um sie anschließend in ihrem eigenen Schoße auszumerzen, räumt Sanyal ein.

In einem anderen Kapitel, „Stripping und Teasing“, kommt Mithu M Sanyal dann von der Etymologie weg und beschreibt heldenhafte Frauen, die sich der männlichen Dominanz widersetzten und ihrer Sexualität eine eigene Prägung verleihten. Diese gab es nämlich auch schon vor dem 20. Jahrhundert und es ist wohl wichtig daran erinnert zu werden, dass dieser Kampf gegen das Patriarchat allzu oft große Opfer erforderte. Auch die Neuinterpretation Grimmscher Märchen gehört hier dazu, etwa wenn der „Froschkönig“ als „Übergang von der Masturbation zu Penetration“ des jungen Mädchens interpretiert wird, indem nur der Frosch die im Brunnen verlorene Kugel (Synonym für die Libido) wieder zurückholen kann. Die „Fretsche“, wie der Frosch im Märchen genannt wird, wird akzeptiert, um ihre Libido und ihren eigenen Widerspruchsgeist wieder leben zu können. Im letzten Kapitel „Nackt und Akt“ geht die Autorin noch genauer auf „Punkpiratinnen“ und „Riot Girrrls“ ein, die in einer Art „vulva figata“ (sic!) jene Strategien beschreibe, mit denen Künstlerinnen, Schriftstellerinnen und Musikerinnen die Pudica-Geste Ende des 20. Jahrhunderts endlich aufgebrochen hätten.

Manche in dem Buch beschriebenen Dinge mögen verstörend wirken. Wie es die Autorin ausdrückt, ist weibliche Sexualität für die meisten Männer ja auch immer noch ein „erschreckendes Thema, weil es Kastrationsängste heraufbeschwöre“. Wichtig und erhellend ist Sanyals Beitrag für Männer und Frauen gleichermaßen. Unter anderem wenn sie erklärt, daß Frauen vor allem an der Abwesenheit von Tradition leiden würden. Sie hätten keine Vorbilder und keine Bilder auf die sie sich beziehen könnten, da die Norm der Mann sei, an der sich der kreative Ausdruck der Frauen orientieren müsse. Was in diesem Fall auf Künstlerinnen und den Bewegungsraum der Kunst bezogen gilt, kann man übertragen: es braucht eine weibliche Geschichtsschreibung, „her“story statt „his“story. Dazu hat Mithu M Sanyal mit ihrem Buch einen ungemein wertvollen und/weil manchmal provokativen Beitrag geleistet, auf den sich hoffentlich nicht nur die Generationen von „Piratinnen und Riot Grrrls“ beziehen werden. Zerschlagt die Bilder und lebt Euer eigenes Leben! ein Satz als Credo – den man bei genauer Betrachtung beiden Geschlechtern zurufen könnte.

Mithu M. Sanya
Vulva
Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts
Wagenbach
2009 · 240 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978-3-803136299

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