Zeit für alle Lichter
Wer die wichtigen Lyrikanthologien der letzten Jahre aufmerksam gelesen hat, der ist der jungen Berliner Autorin Nadja Küchenmeister schon begegnet. Ihre Stimme gehört zu jenen, die immer wieder angenehm aus der schieren Masse zeitgenössischer Dichtung herausstechen und hängen bleiben. Für ihren nun bei Schöffling & Co. erschienenen Debütband „Alle Lichter“ hat sie sich Zeit gelassen. Das merkt man ihren Versen auf jeder Seite an.
„Alle Lichter“ ist ein Buch der leisen Töne. Der Klang von Nadja Küchenmeisters Gedichten gleicht der melancholischen Sanftheit fallender Blätter im Herbst oder dem von Wassertropfen, die eine Fensterscheibe hinabgleiten. Es ist ein angenehmer Klang, erzählt in einem eingängigen lyrischen Rhythmus, dem etwas Beruhigendes zu Eigen ist, trotz oder vielleicht auch aufgrund all der Nachdenklichkeit.
phönix
im fensterrahmen dämmert schon der morgen, deine scheu
und jene fotos tauchen auf, die ich am abend umgedreht
auf die kommode legte. wieder da sind: dein nacken, lieberdeine hände und auch die blaue ader, die sich seit jeher wie
ein ast am handgelenk verzweigt. und weil noch alle bilder
in dir schlafen und deine atemzüge leise in den morgen ebbenals wäre ruhe in dir, ruhe … wie sonst nur das verlorensein
will ich der flamme gleich die luft verzehren, deine stille
dass sie verwandelt immerfort in meinen lungen kreist …
Durch diese Gedichte streift ein Ich, das sich Zeit nimmt, den Blick auf kleine, nur scheinbar unbedeutende Details lenkt, ein Ich das in der Kommunikation mit dem Leser zum Du wird. „Alle Lichter“ – das sind vor allem die kleinen Lichter, die das erleuchten, was sonst unter der Oberfläche bleibt, die Schwingungen des Seins hinter der Alltäglichkeit. Der Stil bleibt dabei erstaunlich nüchtern, bodenständig und vor allem: klar. Die zahlreichen literarischen Anspielungen wie etwa auf Thomas Kling oder T.S. Eliot sind unaufdringlich und fügen sich symbiotisch in Küchenmeisters Gedichte ein. Obwohl hier und da die Germanistin durchklingt, ist das keine Germanistenlyrik, sondern gelebte Lyrik.
„im dachstuhl hängt ein bienenstock / auch jahre später noch man sieht sich / bei beerdigungen von stichen sprechen / ich habe dich ja fast nicht erkannt / jetzt ist das zimmer wieder hell“ – so beginnt das Gedicht „Blende“, das einen Erinnerungsschleier lüftet, Gedankenfetzen, Emotionen kurz aufleuchten lässt, um sie wieder erlöschen zu lassen. Ähnlich die vibrierende Einsamkeit der Innenwelt, die in „die stunden“ entfacht wird: „du hast dir die serviette auf die knie gelegt / und summst. wer kennt die melodie? du bist / allein.“
Oder, nur wenige Seiten darauf: „du stehst noch einmal hinterm haus, es sieht / dich niemand für den augenblick bist du / im sonnenlicht dir anvertraut“. Solche Gedichte brauchen Ruhe. Brauchen ein Glas Wein und, wenn man es schafft, das Lesen kurz zu unterbrechen, den Blick auf Grün und auf die Zwischenwelt im Licht einer untergehenden Sonne. Man kann viel entdecken in diesem Buch, nicht nur von der Autorin, die mit der eigenen Biographie spielt, sondern auch über sich selbst. Jeder dieser Verse ist ein Licht – das Buch ein leuchtendes Debüt.
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