Im Rahmen karger Reize
Der Peter-Huchel-Preis 2012 geht an Nora Bossong.
Die Jury begründete ihre Entscheidung unter anderem mit Bossongs großer Beobachtungsgabe und ihrem präzisen Stil. Mit ihrem „neugierigem und erfahrungshungrigem Blick“ spüre sie „literarische Szenen in der Wirklichkeit auf und verleihe ihnen auf meisterhafte Weise sprachliche Form“. Zudem verfüge sie über ein breites Repertoire poetischer Mittel. Dabei spanne sich ihr Horizont vom Heimatgedicht über das Liebesgedicht bis zur Reise- und Bildbeschreibung. Mit Witz und Sensibilität lasse Nora Bossong in „Sommer vor den Mauern“ Gefühl sprechen, ohne sich in weltabgewandte Innerlichkeit zurückzuziehen. (Anmerkung der Redaktion)
Ein wenig enttäuscht bin ich schon vom neuen Gedichtband Nora Bossongs, zumal er in der Presse überschwänglich gelobt wurde. Vielleicht hat das und die Aufnahme des ersten Bandes die Latte auch so hoch gelegt, dass sie problemlos zu unterlaufen ist. Durch „souveräne Leichtfüßigkeit“ vielleicht, wie Tobias Lehmkuhl der Autorin in der Süddeutschen Zeitung bescheinigt.
Mit „Sommer vor den Mauern" legt Nora Bossong geboren 1982, eine Sammlung eher konventioneller Texte vor, die ihren zweiten Gedichtband bildet. Debütiert hatte sie seinerzeit in der nicht hoch genug zu preisenden Reihe, die durch die Stiftung Niedersachsen und den zu Klampen Verlag besorgt wurde.
Auch dieser zweite Gedichtband erscheint in einer Reihe, die schon von sich reden machte und so illustren und disparaten Autoren wie Ranjit Hoskote und Jan Volker Roehnert ein Forum bietet.
Mich überkam bei der Lektüre des Bandes ein gewisses Unbehagen, das ich zunächst nicht lokalisieren konnte.
Vielleicht rührt es ja aus jener jugendlichen Unbekümmertheit her, dachte ich zuerst, die neben Bossong im übrigen auch Roehnert in seinem Band „Metropolen“ teilt. Aber das konnte es nicht sein, da Unbekümmertheit ja im Grunde auch keinen Makel darstellt - man sollte Jahreszahlen ohnehin misstrauen - und die Texte bei näherem hinsehen auch gar nicht unbekümmert sind. Im Gegenteil. Vielleicht sind die Autoren in einem sehr herkömmlichen Sinne einfach übergebildet und zu viel gereist, bekümmert also eher, zugekümmert, und vielleicht sind es die vielen Stipendienaufenthalte, die eine Stipendiatenliteratur hervorbringen, die vor allem von Metropolen und Kulturgegenden aus zweiter Hand spricht.
Es ist Sache der Literatur, dass sie aus Literatur entsteht, und Authentizität sollte kein Argument sein, zumal sie ohnehin kaum zu beweisen wäre. Aber der Grund der Dichtung ist eben auch nicht Bildung an sich, zumindest nicht jene, die sich in den Enzyklopädien bereits manifestiert hat.
Man nenne mich altmodisch, denn ich bin auf der Suche nach etwas, was den Kanon übersteigt. Eindeutig springt mir das Missverhältnis aus Kanon, Zitat und nennen wir es Schöpfermut in vor allem zwei Gedichten ins Auge, die sich auf einer Doppelseite auch noch gegenüberstehen. „Ikarus“ (28) und „Neunundachtzig“ (29). Zwei bis zum Abgestumpften bearbeitete Stoffe. Der eine europäisch, der andere national. Schulstoffe. Schreibübungsstoffe für die elfte Klasse. Und Bossong hat dem hier nichts zuzusetzen. Bleibt im Rahmen karger Reize. „... wir bissen/ in die grünen Beerenlampions/ und sprachen über kältere Zeiten.“ (Ikarus)
Vielleicht braucht es doch so etwas wie Authentizität. Eine zweite, eine hergestellte, eine die den Bildungskanon übersteigt,die ihn verletzt, so wie sie in den besseren Gedichten des Bandes anklingt, die vor allem in dem Kapitel „Neue Alte Welten“ zu finden sind, wenn das fremde Vertraute Verständnis verweigert. „Es ist so still, seitdem der Laden liquidiert.“ (Liquidation Sale, Broadway)
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