»Würden Sie sich mit mir unterhalten?«
Die Frage, wie man angesichts von Melancholie, die auch heute noch und wieder faktenbasiert erscheint, die Sprachlust entwickeln könne, die Literatur schafft, ist nicht neu und berührt etwas in aller genuinen Dichtung:
„Das Trauerspiel erreicht ja seine Höhe nicht in den regelrechten Exemplaren sondern dort, wo mit spielhaften Übergängen es das Lustspiel in sich anklingen macht.”
Diese Frage stellt sich auch angesichts Nora Gomringers Schaffen, das die Tragödien sieht, sich ihnen aber weder hin- noch diese in ihrer Tragik preisgibt. Sie schreibt aus der Haltung einer „allen Apokalypsen zum Trotz immerfort ernstlich vergnügte(n) Selbstironie”, so Paul-Henri Campbell im Nachwort ihres neuen Bandes ach du je.
Wie eine Antwort auf diese schöne Formulierung liest sich sogleich Vorbei bin ich, ein innerer Monolog zur Kommunikation der Gegenwart, worin die SMS und das Handy Beziehungen gründlich transformieren, samt dieser unguten Kleinigkeit, daß Ping (& Co.) signalisieren, wann eine Antwort angekommen und wohl vernommen ist, aber keine Reaktion zeitigt. Watzlawicks eher irreführendes Postulat, man könne nicht nicht kommunizieren, mag hier gelten, genauer kommt es dem Wartenden so vor. „Dich nicht anrufen. Das kostet viel mehr Kraft als dich nicht anzurufen.” Alles ist heute Aufschub im Kommunizieren, Zeitnähe verlange, was wichtig ist…
Dabei ist Kommunikation doch immer auch irreal, wie das wunderbare Gespräch mit einem Hermelin zeigt, worin es ums (Nicht-)Vereinnahmen geht, darum, daß man manches nicht hören soll: „Tiere können nicht sprechen”, heißt es, worauf das possierliche Tier jedenfalls zuletzt erwidert: „Vielleicht sollten Sie mich nicht hören”. Das Tier, als Totem oder Objekt roher Naturliebe nur Projektionsfläche, muß das einmahnen, in einer märchenhaft realen Miniatur…
Sowieso herrlich sind die leicht verschobenen Narrative, wonach aus Hahn, Katze, Kund und Esel Songcontest-Teilnehmer werden, während alles andere, und so können nicht viele eine Kurzgeschichte offenlassen, vermutlich seinen Gang geht:
„Der Hof […] lag ganz ruhig in der Nacht. Die Kürbisse wuchsen heimlich. So kennt man die Kürbisse.”
Man könnte und müßte wie bei Nora Gomringer ewig weiterschreiben, von ihrer Musenanrufung an einen Odysseus, der von der Dialektik der Aufklärung ähnlich, bloß nicht so kompakt und mit soviel Witz beschrieben wird, wovon die Dichterin zu Ariadne und ihrem verräterischen Retter vordringt – und schließlich einem Norweger, dem noch die damnatio memoriae schmeichelte. Erwähnen müßte man ihre Gewandtheit und zugleich Tiefe, womit sie die Idyllik einer falschen Moderne schildert, worin das Kind bilingual (bestenfalls) ignoriert wird. Und immer wieder wichtig ist es, das Wort als solches zu zeigen: in seiner Resistenz und Fragilität. Schlegel schrieb von ihm als Igel, was im vollen Umfang im 20. Jahrhundert wahr wird, Derrida notiert: „Er kann sich überfahren lassen, mit Recht, genau deshalb, der Igel”… Ganz so düster formuliert Nora Gomringer es nicht:
„Ich könnte sagen: Ein Wort, das ist ein Igel.
Ein Igel in der Hecke, der eine Rolle macht,
die Stachel außen zeigt, den weichen Bauch
versteckt.”
Wenn etwas so märchenhaft und zugleich von Ambivalenz durchzogen daherkommt, so lieblich, tragisch und gefährlich, dann ist das ein wertvoller Fund, wie nachgerade erschreckend vieles in den Büchern und diesem Buch Gomringers. Großartig. Lesen.
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