Ein Anarchist vom Petersberg
Anlässe, die Dichter zu feiern, mag es genug geben – Geburtstage, Todestage. Bei dem Delinquenten, um den es in Olaf Veltes im Axel Dielmann Verlag erschienenen Reuter-Büchern geht, ist beides nicht sicher, lediglich ein Taufdatum, das sich im letzten Jahr zum 300. Mal jährte, ist bekannt. Über den Verbleib des seinerzeit wohl größten Possenreißers des barocken Literaturbetriebs ist nichts publik, vorwitzige Geister behaupten, der Frechling vom Petersberg sei noch immer am Leben. Schön wäre das ja: In Zeiten der Hypergeschmeidigkeit täte ein solcher des Öfteren wohl.
Viel mitteldeutscher geht es nicht: Gebürtig in Kütten, einer Häuserschlange seithalb des gewaltigsten Erdhügels bis zum Ural, hat Christian Reuter als Student und Karzer-Insasse sein Unwesen in Leipzig getrieben, eine Reihe Prozesse gegen seine Zimmerwirtin, als „Schlampampe“ in seinen Romanen und Schwänken verewigt und noch zu Lebzeiten mit düsteren Aussichten belegt, verloren. Und hat, wenn man der Überschneidung von Literatur und Leben einmal glauben darf, mancher Holden die gierige Zunge in den Hals gesteckt, und sich mit Klebebier angehübscht, wie sich’s gehört.
Wenn man seinen Possen Glauben schenken darf, ist es ihm dazu gelungen, sich eine Menge Wachteln und Hühnchen einzuverleiben und seinen verlorenen Prozessen gegen die Rosine Müllerin immer noch einen gehörig draufzusetzen, gipfelnd in Nachrufen auf die noch Lebende, Schmähungen gegen die selig Abgeschiedene. In seiner Phantasie reisend an die unmöglichsten Orte, bleibt doch immer die Not ein Freund Reuters, und man fragt sich zuweilen, ob er nicht besser daran getan hätte, zu Hause zu bleiben. Aber Kneifen ist so feige wie Schweigen, heißt es. Und also wird aus dem Küttener das Sinnbild des fröhlichen Anarchisten, dessen Nimbus bis heute anhält und – zum Vorbild gereicht: flirrende Wortkunst, keinen Abgrund auslassend, mit gesplitterten Bierseideln durchwirkt.
Gegen 1712 in der märkischen Steppe verlorengegangen, ist sein Treiben bis heute, nun in Näherung an seinen 301. Geburtstag, hoch geheimnisvoll. Seinem Verbleib und eben der Erkenntnis, daß es um Reuters Ableben nicht allzu realistisch bestellt ist, geht das erste der Bücher Veltes, „Reuters Kiste“, auf eine Weise nach, dass versucht ist zu fragen, ob sich hier nicht eine Reinkarnation des Altvorderen an der Erklärung der Welt um den Petersberg versucht. In der Tat: Hier haben sich zwei liebenswerte Erzschlawiner gefunden – Christian Reuter, weiland Küttens Exportgut in Sachen Welthumor, und der profunde Dichter, Journalist und Landwirt aus Wehrheim im Hochtaunus.
Velte geht dabei in ähnlich lind-rustikaler Manier vor, so dass mancher in Ehrfurcht Ergrauter lieber nachsieht, ob in den alten Kirchenakten nicht doch eine Seite fehlt … Alles in allem aber ist „Reuters Kiste“ ein so knurriger wie Riesenspaß der Sorte, von der man nicht genug bekommen mag. In seiner zweiten Schrift zum Thema, „Ein gewisser Christian Reuter aus Kütten“, geht der Hesse dem Hallodri, dem es gefiel, manch Schöner diesseits und jenseits von Schelmerode Küsse „aus der Fresse zu knaupeln“ und seiner ersoffenen Frau Charmante nachzuweinen, geschichtlich ans Leder. Von der Herkunft über die Örtlichkeiten bis zum heute weit in der Welt verstreuten Reuter-Clan wird schier alles gelistet und beleuchtet, was zur Kenntnis des Schelmuffsky-Erfinders nötig erscheint. Einer der Nachfahren des Meisters, Wolfram Reuter, ist an diesem Bändlein beteiligt.
Und Velte, im Kuriosen wie Dokumentarischen, tut recht daran: Christian Reuters Werk, das in „Der ehrlichen Frau Schlampampe Leben, Krankheit und Tod“ (1696) und dem Weltroman „Schelmuffskys warhafftige curiöse und sehr gefährliche Reisebeschreibung zu Wasser und Lande“ (1697) entfesselte Urständ’ feierte, kann, nein, muss schlicht dazu verlocken, sich diesem Aufwiegler schaudrig verwandt zu fühlen. Zugleich gerät man in den Genuss eines frühen Stücks abendländischer Hochliteratur. Die Küttener wissen das längst, ehren sie ihren großen Sohn doch mit einem Denkmal und seit neuestem mit einer Straße, die den Heldennamen Schelmuffskys trägt.
Zwei herrliche Bücher, sapperment. So zärtlich ist lange nicht mehr über die verlorenen Landstriche zwischen Halle, Köthen und Bitterfeld geschrieben worden. Einzig die Reuter-Arbeit Simone Trieders, die zudem für das Jubiläum einen dann auch mächtig bejubelnden Schwank verfasste, ist damit zu vergleichen. Kombiniert mit der von ihr betreuten Festschrift zum 300. Tauf-Fest, ergeben die Velte-Bände das ideale Kompendium dafür, was in den zum Blühen überredeten Landschaften alles möglich war und ist. Und der Weitgereiste, fast wünscht man, er möge am Leben geblieben sein und sein wüstes Wesen treiben, sei es in Kütten, auf den Schiffen, in den irrwitzigen Häfen dieser taumelnden Welt. „Der Tebel hohl mer!“: Schelmenbelebung auf höchstem Niveau.
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