bin fisch im all
Mit bin fisch im all legt Oskar Pfenninger, geboren 1930 in Winterthur, seinen vierten Band beim Waldgut Verlag vor. Erschienen ist er in der Reihe lektur.
Die Gedichte handeln vorwiegend von Natur und Alltäglichkeiten. Unter den Gedichten finden sich sehr zarte, feine und stille Gedichte, die man gar nicht laut vorlesen möchte, sondern ganz vorsichtig und leise:
[...] das weiß zweier
schwäne im dämmer
ich schalte
das radlicht an
mein dynamo singt
Sehr oft werden Abendstimmungen beschrieben, wie Vögel, die in ihre Nachtquartiere fliegen:
[...] über die dächer der
nachbarhäuser ziehen
krähen westwärts zu ihren
schlafbäumen im friedhof
sihlfeld
Auch wenn im Titel des Gedichtbandes ein Fisch auftaucht, sind es doch gerade Vögel, die besonders häufig in den Gedichten von Oskar Pfenninger vorkommen:
[...] am himmel
ein krähenpaar
schwarz auf grau
piktogramm
hieroglyphe [...]
Alltag und Alltagsgegenstände sind Themen vieler Gedichte, beispielsweise zwei Küchenuhren: in einem Gedicht geht es um die alte Uhr, welche hoffnungslos nachgeht, ein anderes widmet sich ganz der neuen, heiter tickenden:
die küchenuhr
jetzt haben wir wieder
eine küchenuhr
eine neue küchenuhr
an der küchenwand
und sie tickt [...]
Das Gedicht endet dann augenzwinkernd, indem das Klischee der Schweizer Sparsamkeit aufs Korn genommen wird:
[...] sie tickt so heiter
und hat so wenig gekostet
was wollen wir mehr
Einige der Gedichte spielen mit leichten Verdrehungen der Welt bis hin zu völligen Umkehrungen der gewohnten Verhältnisse, beispielsweise, wenn es zu einem Unfall kommt, nicht weil ein Auto, sondern weil eine Pappel von ihrem Weg abkommt:
zwischen agarn und turtmann
im oberwallis ist aus noch
unbekannten gründen eine
pappel von ihrem weg abgekommen [...]
Einerseits schlägt Oskar Pfenninger immer wieder sehr hohe Töne an, nimmt große Worte, wie beispielsweise „Weltschmerz“ in den Mund, was von vorne herein immer schwierig ist:
fichten wimmern
weltschmerz hat sie erfasst [...]
Andererseits steuert er selbst gegen diese, leicht in die Nähe von Klischeehaftem geratende, Tendenz an, indem andere Gedichte wieder sehr selbstironische und unverhüllt offene und humorvolle Zeilen enthalten:
ich habe ein gedicht
geschrieben und es
sofort wieder ausradiert
es war mist [...]
Es lohnt sich, genau hinzuhören, bei den Gedichten von Oskar Pfenninger: auf feine Klangwiederholungen und –ähnlichkeiten zwischen den Worten. Besonders augen- und ohrenfällig sind dabei natürlich Alliterationen:
specht klopft sporadisch
Aber Klangwiederholungen sind auch sonst leicht zu entdecken, beispielsweise das „zw“ in den folgenden beiden Zeilen:
im gezweig zwitschern spatzen
Gerne spiegelt Oskar Pfenninger ganze Zeilen:
zeit ist der weg
der weg ist zeit
oder auch nur einzelne Worte ineinander:
vogelschatten schattenvögel lautlos
Dabei lässt sich immer eine Dualität beobachten. Ebenso in Wiederholungen und Dopplungen von Zeilen oder Worten, die nochmals aufgegriffen werden:
es regnet
regnet in die zeit
Als eine besondere Form der Verdopplung kann man auch noch Verneinungen bezeichnen:
es eilt und es eilt nicht
bin fisch im all verwendet durchgehend Kleinschreibung. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine generelle Entscheidung, die Kleinschreibung wird nicht als Mittel der Verunsicherung (Subsantiv oder doch Verb?) eingesetzt.
Die Gedichte kommen ohne Punkt und Komma aus. Auf gelegentliche Rufzeichen:
o möwen!
und Fragezeichen bei den überwiegend sehr großen und schwerwiegenden Fragen:
was ist das: zeit?
wird aber nicht verzichtet.
Der Gedichtband ist bewusst heterogen, die einzelnen Kapitel versammeln jeweils Gedichte, welche thematisch, von der räumlichen oder zeitlichen Verortung, oder formal gut zusammen passen. Die Kapitel selbst unterscheiden sich aber teilweise sehr stark voneinander. Den Beginn und das Ende bilden zwei Einzelgedichte, die sich thematisch aber je einem der Kapitel zuordnen lassen und damit je eine Art Prolog und Epilog bilden. Es gibt keine Kapitelüberschriften, stattdessen werden die einzelnen Kapitel nur von einer leeren Seite
voneinander getrennt. Die ersten beiden Kapitel können als durchwegs singend bezeichnet werden, die Gedichte sind leicht, ruhig und lyrisch. Die Gedichte unterscheiden sich nicht formal oder von ihrer Stimmung her, sondern nur in der Verortung – das erste Kapitel befasst sich mit Japan, das zweite mit der Schweiz. Völlig anders jedoch ist das dritte Kapitel. Der Bruch zum dritten Kapitel, welches mit den Zeilen:
er sitzt in der tinte
die kann er nicht trinken [...]
beginnt, ist so stark, dass es einige Überwindung kostet sich nach 27 Seiten nochmals ganz umzustellen und die ersten beiden Kapitel hinter sich zu lassen. Doch es hat auch seinen Reiz, mit ganz Neuem konfrontiert zu werden, gerade wenn man geglaubt hatte, jetzt endlich etwas vertraut mit dem Autor zu sein. Die Gedichte in diesem Kapitel sind teilweise humoristisch oder spielen mit dem Wort und Klangmaterial der Gedichte:
möwen löwen möwen löwen möwen
lieben fliegen lieben fliegen lieben
flügel mähne flügel mähne flügel [...]
Am Schluss dieses Kapitels finden sich einige Listengedichte, eines davon versammelt „feier- & andere tage“ in alphabetischer Ordnung. Es beginnt mit dem „auffahrts- od. himmelfahrtstag“, geht dann weiter mit dem „binnenschifffahrtstag“ und im weiteren Verlauf finden sich so wunderbare Tage wie der dämmertag, gurkentag, pfirsichsonntag oder auch der yamswurzeltag.
Das vierte Kapitel lässt sich zeitlich fassen – September, November, Ende November, Anfang Dezember bis Mittwinters:
ende november
neblig
auf dem verlassenen
kinderspielplatz
ein weißer ball
vergessen [...]
Das fünfte Kapitel wiederum zelebriert Langeweile und Nichtstun.In einem Gedicht geht es darum, wie ein Buch nicht gelesen wird: es wird aus dem Regal genommen, auf den Tisch gelegt und nach einiger Zeit doch wieder ungelesen zurück ins Regal gestellt. Es wird gegähnt und gewartet, gewartet auf gar nichts, höchstens auf das Vergehen der Zeit:
ich gähne
gähne vor langeweile
langeweile ist ein
offenes tor
ich trete ein [...]
Dieses Warten führt dann wie selbstverständlich auf den Friedhof, wo nur ein Vogel vorbeifliegt. Und damit taucht ein neues Thema in den Gedichten auf: Tod und Vergänglichkeit. Die Verstorbenen, nach denen am Friedhof vergeblich gefragt worden war, begrüßen einen dann herzlich bei der Heimkehr ins eigene Haus.
Im letzten Kapitel treten dann das Schreiben und die eigene Vergänglichkeit als Themen in den Vordergrund. Dabei wird darüber nachgedacht, wie der Schreiber sich wünschen würde, dass man seiner gedenkt:
wer dies liest lache
nicht lächle nicht was
da steht ist kein scherz
[...]
wer dies liest
gedenke des schreibers
gedenke seiner mit empathie [...]
Das letzte Gedicht endet gar mit den Zeilen:
[...] es wird heller
leichter
es geht in den
himmel
Und den Epilog bildet dann ein Gedicht im Rückblick:
der spielmann
sein leben lang hat er gespielt
ein spielmann war er
ohne instrument
sänger ohne stimme
maler ohne farbe und pinsel [...]
Eine Stärke von Oskar Pfenninger sind sicherlich seine Naturgedichte, die sich durch ihre Skizzenhaftigkeit auszeichnen – wenige Striche genügen ihm um die Szenerie einzufangen. Der Band bin fisch im all enthält Gedichte, die einen innehalten und ganz still werden lassen. Einige der Gedichte möchte man einfach mitnehmen, in sein Leben, als Ruhepol und Anker, um sie immer wieder zu lesen: in einer anderen Tages- und Lebensverfassung und auch noch in vielen Jahren.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Gedichte in bin fisch im all unterschiedlich stark sind, nicht alle sind gleichermaßen überzeugend. Bemerkenswert ist dabei jedoch der Mut zur Vielstimmigkeit. bin fisch im all ist damit als Ganzes eine
kreuzung
mehrerer waldwege
aufwärts abwärts [...]
Die einzelnen Kapitel sind gleich Waldwegen und der Gedichtband selbst ist die Kreuzung dieser Waldwege, welche dann wieder in verschiedene Richtungen führen.
es dämmert
ein baum geht vorüber
ein mensch steht stumm
welten vergehen werden geboren
und alles so wunderbar krumm
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