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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Sonettisten und Klassizisten

Hamburg

Zwei Publikationen in letzter Zeit bezeugen, wie tauglich das Sonett immer noch für den Dialog ist, und zwar nicht nur zwischen dem Dichter und seinem Publikum, sondern auch zwischen den Dichtern selbst. Im Band „Hieb und Stichfest“, 2012 erschienen bei Reinecke & Voß, geben sich gleich sieben Dichter die Ehre, hauptsächlich aber Lothar Klünner und Klaus M. Rarisch. Und im Band „Sonette bei den Brombeeren“, 2013 im Mitteldeutschen Verlag, dichten Werner Makowski und Ralf Meyer im Duett.

In „Hieb und Stichfest“ geraten Lothar Klünner und Klaus M. Rarisch heftig aneinander, in der Art eines Streitgesanges, den sie traditionsbewußt als Tenzone bezeichnen, und in dem es mal wieder darum geht, was das eigentlich soll, mit dem Sonett. Dergleichen selbstbezügliches Dichten hat einen langen, metareflexiven Bart. Erinnert sei nur an August Wilhelm Schlegels Sonett aus dem Jahr 1800, das ganz in poetologischer Manier den Titel „Das Sonett“ trägt oder Robert Gernhards ironisches Anti-Sonett mit der Schlußzeile „Ich find Sonette unheimlich beschissen“. Klünner hielt nämlich die Idee, sich in einer Reihe von Abendveranstaltungen gegenseitig Sonette vorzulesen, für ziemlich bescheu… altmodisch und teilte dies prompt dem Veranstalter HEL, ebenfalls Dichter, am 12. März 1995 in einem Sonett mit. HEL leitete dieses Sonettabsagesonett an Herrn Rarisch weiter, der sich selber als Sonettist bezeichnet und sich dementsprechend zu einer Antwort herausgefordert fühlte. Dann ging es Schlag auf Schlag und hin und her mit den Sonetten, in denen der eine dem anderen den Unsinn bzw. Sinn des Sonettschreibens um die Ohren haute. Spiegelfechterei möchte man meinen und doch amüsant anzusehen. Ich will nicht verhehlen, daß mir ein Sonettist wie Rarisch – und so ein vermeintlicher Sonettablehner wie Klünner noch viel mehr – in seinem Ton und Tun schon beinah wie ein Hobbyfunker vorkommt, der mit nerdhafter Freude Alpha-Bravo-Charlie in den Äther spricht und auf die Antwort eines Kollegen hofft. Da ist diese putzige Verschrobenheit, der Ernst bei allem Unernst, wenn es darum geht, die Form zu erfüllen und auf die Formerfüllung zu pochen. Der fachgesimpelte Streit, bei aller Ironie. Als ob Sonette besonders was für verhinderte Bastler seien, die lieber mit der Sprache hantieren als mit Kleber und Holz. Und wie die meisten Modellbauer sind auch die Sonettverfasser überwiegend männlich. Habe ich früher nicht auch Panzermodelle gebastelt? Zum Glück gibt es ein zweites Kapitel in dem Buch, Coda genannt, in dem sich weitere Dichter und, ja, tatsächlich, Dichterinnen in den Streit einmischen. Wunderbar ein Sonett von Gisela Kraft an Klünner. Es soll hier in Gänze zitiert sein.

VOM TITTENTIEF

während du an einer dänenschäre
deine lenden wälzt im kühlen meere
hängen meine titten noch ins leere,
ohne daß ich ein sonett gebäre.

wie ich hier auch mit novalis mähre,
statt daß schlegelschelling und der hehre
goethe gäben sich im park die ehre,
seh ich zu, daß ich mich fett ernähre.

träge drängen sich touristenheere,
als wenn betty nicht verblichen wäre.
pferde kacken ärschen in die quere.

daß ihr tittentief nicht länger währe,
pack die kraft und zieh sie aus der schwere:
laß die schären! Nimm die nächste fähre!

Wiepersdorf, 24. Juni 1995

In dem Band „Sonette bei den Brombeeren“ geht es nicht um das Sonett als solches, sondern um das Wichtigste, die Liebe. Und um die Kunst natürlich. Hier treffen ebenfalls zwei Dichter aufeinander, jedoch streiten sie nicht herum, sondern fühlen sich ästhetisch wie freundschaftlich verbunden. Ralf Meyer und Werner Makowski diagnostizieren: die Liebe hat es schwer und die Kunst noch mehr in Zeiten des allumfassenden Rentabilitätskriteriums. Zweiundzwanzig Sonette schrieb jeder und Frank Hauptvogel malte Aquarelle dazu. So ist es ein Buch von dreien geworden, worin man aufs Schönste sieht, daß das Sonett eine sprachliche Handwerkskunst ist, die von ihren Gesellen und Meistern Einsicht in Regel und Gattung abverlangt und sie gerade dadurch weniger einschränkt als gemeinhin gedacht. „Wenn Poeten meinen, die Gattungen taugen nicht mehr für die Welt, so liegt die Vermutung nahe, daß die Poeten nichts taugen“, schreibt Ralf Meyer in seinem Vorwort. Die Welt erscheint für einen Moment begreifbar, in vierzehn Zeilen, zwei Quartetten und zwei Terzetten, oder wie beim Englischen Sonett, das Ralf Meyer oft bevorzugt, in drei Quartetten und einem Couplet, in aller Kürze also und in strenger formaler Engführung, die zu einer inhaltlichen Zuspitzung nötig, wenn nicht gar zu einer inzwischen so verpönten Pointe, zu einem schließenden Aphorismus. So neigt der ältere Makowski dazu, im Sonett von der Mannigfaltigkeit des Besonderen das Allgemeine abzuleiten und seine Lebens- und Liebeserfahrung melancholisch heiter zu bilanzieren. Formal unterstrichen wird diese Geste klassischer Gesetztheit durch die umgekehrte Anordnung der Sonettstrophen, es wird vom Ende aus gedacht. Die Terzette stehen zu Anfang und wurden obendrein zu einer Strophe zusammengezogen. Dann folgen die Quartette, die ebenso zu einer Strophe vereint wurden. Der Effekt ist eine starke Zäsur dazwischen. Das Sonett zerfällt in zwei Teile. Wird in dem ersten eine Frage gestellt oder eine Szenerie eröffnet, so findet sich im zweiten eine Konkretisierung oder Schlußfolgerung.

Beim jüngeren Meyer, der die Formerfüllung etwas weniger streng befolgt, geht es humorvoller, aber auch unmittelbar persönlicher zu. Die Geliebte wird direkt angesprochen. Und Zeilen wie: „Zum Beispiel fordern wir das Glück für alle!“, das „wir“ bezogen auf die Frau an seiner Seite, springen einem so einfach und klar auf den Punkt gebracht entgegen, als ein trotziges Bekenntnis zur Menschheitsemanzipation, bevor die beiden dann engumschlungen aufs Bett fallen. Jenseits davon, die Sprache so originell zerbrochen wie möglich auf ein weißes Blatt zu gruppieren, gelingen ihm Sonette, bei denen ich schlucken muß, die mich ergreifen. Eins davon soll hier zum Abschluß zitiert sein.

Der Wunsch nach einem Kind kam tief von innen,
Als träte jemand gegen deinen Bauch.
Die Lügen halfen kaum beim Zeit-Gewinnen:
Was du in meinen Zügen sahst, das sah ich auch.

Bevor du schwanger wurdest, warst du glücklich.
Bedenklich sprachen Ärzte vor in großer Schar
Und schnitten ein Kind aus dem Leib, dann augenblicklich
Das zweite, sprachen Trost uns zu: dem Paar.

Und seither warst du krank. In grauen Massen
Zogen die Wolken finster über diesen Riß.
Ein Kinderlachen vor dem Fenster, auf den Gassen
Brachte mir Zorn, warf dich in Bitternis.

Wir schlafen viel, wir können nichts verpassen,
Seit wir die Finger voneinander lassen.

Ralf Meyer · Werner Makowski
Sonette bei den Brombeeren
Mitteldeutscher Verlag Halle
2012 · 80 Seiten · 14,95 Euro
ISBN:
978-3-89812-994-7
Lothar Klünner · Klaus M. Rarisch
Hieb- und Stichfest
Eine Tenzone in Sonetten
Ernst-Jürgen Dreyer, HEL, Joachim Klünner, Gisela Kraft, Brigitte Lange und Robert Wohlleben
Reinecke & Voß
2012 · 60 Seiten · 8,00 Euro
ISBN:
978-3-942901-06-2

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