Drei Wege zur Heillosigkeit
Ein Triptychon ist ein dreiteiliges Bild, bei dessen Betrachtung der Blick von der Mitte aus auf zwei Seitenflügel fällt. Einer Tradition folgend durchwandert er dabei existentielle Grenzsituationen, dramatisch dargestellt in zahlreichen sakralen Altar- und Andachtsbildern. Hinter der in der Kunstwissenschaft geprägten Pathosformel verbirgt sich die freimütige Absicht dieser Kunstform, das allgemein gültige und wiederkehrende des menschlichen Lebens in magischen Erregungsbildern auszudrücken.
Es ist vorstellbar, dass ein derartiger Anspruch eine absolute und mitunter autoritäre Aura entfaltet. Ein Triptychon hat aber auch stets etwas Geheimnisvolles, das seiner Charakterstruktur von Ausschnitt und Geschlossenheit zugrundeliegt. Doch gerade in dem Dogma der Dreiteiligkeit liegt die Spannung zwischen den Kontrasten oder den Übergängen, die die Flügel voneinander abgrenzen oder miteinander verbinden.
Der Dichter René Steininger hat sich mit der Form des Triptychons auseinandergesetzt. Die "Übertragungen aus der Nähe" gliedern sich in drei Zyklen, wovon der Zyklus "Himmel oder Hölle" im Mittelteil etwas mehr Texte beinhaltet und daher die beiden Gedichtreihen "Hölle" und "Himmel" im Umfang stilgerecht dominiert.
Wer das Buch aufschlägt, erblickt hinter einem Gitter einen in der Nische hockenden und etwas ratlosen Jesus. Zweifelt er an dem Menschen, dem doch sein eigenes Opfer galt? Sieht sich der Autor selbst grübelnd über seinem Ansinnen wieder?
Jedenfalls steht der Zyklus "Hölle" am Beginn, und der Autor erweist sich als unerschrocken, wenn er sich archaischen biblischen Motiven und aktuellen religiösen Konflikten nähert. Er zeigt den modernen Menschen als Teil einer sozialen Kreuzigungsgruppe, in der er einer ist
der es nicht / vom Kreuz / schaffen / der sich selbst / nageln muss
oder den fanatischen Attentäter im Dialog mit einer besseren Welt von
Hyazinthen und Korallen
ohne das
leere Gerede
einer dichtgedrängten U-Bahn. Von der Hölle der Einsamkeit sprechen in diesem Zyklus viele Texte. So ist es die Zeit, welche die Münder der Liebenden schließt. Was bleibt, sind
leere, abwesende Köpfe, in denen sich unangekündigt Fantasien einloggen.
Selbst das freundliche Alltagsgespräch auf der Straße wirft nur noch den Schatten derer, die es führen und deren Leben sich wiederum schicksalhaft in 14 Stationen abspulen.
Der Zyklus "Himmel" bricht das Eis. Kurze Begegnungen und kleine Beobachtungen kommen zum Vorschein, die einem heute noch möglichen Paradies am nächsten kommen. Unverhohlen lesen sich leise Zweifel des Autors an einem eindeutigen Glück und viele der Texte zeigen, dass auch diese Momente unterm Himmelsdach ein Drahtseilakt sind.
Umso schöner und intensiver wirken dann die einzelnen Sequenzen einer überraschenden, nicht zu erwartenden Freude, in denen Momente des Alltags in verschiedenen Formen und Tönen festhalten sind. René Steininger erzählt von den Wonnen der Lust und er trifft den ironischen Ton in seinem "Psalm-Palimpsest" gut genug, um zwischen einer zu andächtigen und einer zu lüsternen Leseart eine heitere Brücke zu schlagen. Ein markantes Motiv des Himmelszyklus ist die Liebe in ihren diversen Umrissen und Erscheinungen. Er verleiht ihr ein charaktervolles Gesicht, in dem sich in den Augenblicken sinnlicher Umarmung in
ihrem Himmel
die Flügel der Liebe ebenso in ihrer Stärke abzeichnen wie in den tausend Malen
im Portrait der knabenhaften Muse mit grauem Haar.
Den Versuch,
den verborgenen Schmerz jeder Liebe, die Unvereinbares mit sich aussöhnen müsse,
auszudrücken, zeichnet der Text "Bucolica". Die Utopie eines paradiesischen Miteinanders von Katze und Vogel mildert nur noch ein blasses "Fliegengitter". Der Autor kennt die menschlichen Sehnsüchte. Seinen Blick schenkt er daher auch den Ereignissen, deren Schönheit sich wie nebensächlich ergibt. Ein Aufbrechen der Wolkendecke enthüllt dann
unverhofft / zwischen / einförmigen Sätzen / ein entrücktes / Largo cantabile.
Der Mittelteil "Himmel oder Hölle" führt nicht zur Synthese beider Antipoden, sondern erweist sich als Sammlung menschlicher Zwiespältigkeiten.
Das Leben zeigt sich als besonders paradox an seinen alltäglichen Bruchstellen, die in diesem Zyklus beschriebenen Momente verbergen ihren Sinn auf subtilen Wegen.
Es ist aufwühlend, das in ihnen gebundene Glück oder Unglück als Leserin zu ergründen, und es machen sich in den Unzulänglichkeiten des gewöhnlichen Lebens sowohl eine feine Trauer als auch eine deutliche Renitenz bemerkbar. Das grammatikalische Konzept in "Die Ausnahme" konjugiert die Regeln sozialer Gemeinschaft und fordert im Ausnahmefall zur Gegenwehr auf. Es gälte, an dieser Schnittstelle von Auftrieb und Schwerkraft die Form zu bewahren und die Haltung nicht zu verlieren, doch
Wo sich die Eiswürfel / sowieso zersetzen / dann warum nicht gleich / in Whiskey / Wo die alte Wäsche irgendwann / sowieso am Boden landet / dann warum nicht gleich / mit ihr zusammen.
Das Leben ist ein zweifelhaftes Vergnügen und mehr als einmal eine missliche Angelegenheit. Die Gleichzeitigkeit menschlicher schicksalhafter Windungen sowie individueller Versuch und Irrtum spiegeln viele Texte wider. Im "Stillleben mit Arnold Schwarzenegger" sitzt beispielsweise eine tote Alte in ihrem Lehnstuhl,
Die offenen Augen / noch immer / auf den flimmernden Bildschirm gerichtet.
Dennoch sprießt zwischen einzelnen Zeilen ein "Unerwartetes Zwischenhoch" und
zwischen dem Beton / stachen die bunten Beete / den Gästen noch heller ins Auge, / das sonst trüb geblieben wär.
Immer wieder vermag es der Autor, die überwältigende Schwere durch ein Augenblinzeln zu schwächen, indem er den
Schatten
von Bäumen testet oder über den
rätselhaften Abgang
von Socken nachdenkt.
In seiner Gedankenlyrik spannt René Steininger einen weiten Bogen, vom ernsten Wort über die amüsierte Wendung, von der formalen Strenge zur unbefangenen Neugier an der Polyphonie menschlicher Existenz. Es sind die einem Triptychon immanenten großen Gefühle, die auch in den "Übertragungen" den unscheinbaren Alltagsverrichtungen und Ereignissen am Rande eine Bedeutung einschreiben und sich vielleicht im Himmel eines Fußballaficionados fortschreiben:
Alles bewegt sich / immer im grünen Bereich / Niemand steht lange / im Abseits.
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