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Kritik

Riad Sattouf – Der Araber von morgen.

Eine Kindheit im Nahen Osten
Hamburg

Der gebürtige Franzose Riad Sattouf gehört bereits seit Jahren zu den bekanntesten, zeitgenössischen Comic-Künstlern Frankreichs. Er zeichnete 10 Jahre für die Satire Zeitung „Charlie Hebdo“ seine Reihe „Das geheime Leben der Jugend“, wurde 2004 mit „Meine Beschneidung“ ins Deutsche übersetzt und drehte 2009 seinen ersten Spielfilm „Les Beaux Gosses“ („Jungs bleiben Jungs“). Seine Arbeit ist preisgekrönt, voller Witz und Ironie und stets autobiografisch. So auch der erste Teil von „Der Araber von morgen“, einer Graphic Novel, übersetzt von FAZ Redakteur Andreas Platthaus.

Die Erzählung des heute 36-jährigen Riad Sattouf setzt im Jahr 1980 in Frankreich ein, als der kleine blonde Junge zwei Jahre alt ist. „Damals war die Welt ein Nebel, bevölkert von freundlichen Riesen.“ Er wurde von allen Seiten ob seiner blonden Locken bewundert, „Alles, was ich sagte, rief Erstaunen und Freude hervor.“ Die Bilder, deren Zeichenstil sich am in den 90er Jahren populär gewordenen Französischen Independent-Comic orientieren, harmonieren perfekt mit dem satirischen Inhalt. Weit weg von der Perfektion des realistischen Zeichnens fand Sattouf einen eigenen Stil, stattet seine Figuren mit einfachen, aber einprägsamen Merkmalen aus und schafft es trotz der vermeintlichen Einfachheit, Stimmungen und Gefühle in den Gesichtern zu spiegeln.

„Der Araber von morgen“ erzählt von Sattoufs Kindheit im Nahen Osten, denn, sein Vater Abdel-Razak Sattouf, der in den 60er Jahren als Stipendiat nach Frankreich kam, auch, um dem Militärdienst in seiner syrischen Heimat zu entkommen, konnte im Anschluss eine Dozentur in Tripolis in Lybien antreten. Als glühender Befürworter des Panarabismus, zu dem er sich aufgrund des vom 06. bis 25. Oktober 1973 ausgefochtenen Jom-Kippur-Kriegs, der von Ägypten, Syrien und weiteren arabischen Staaten gegen Israel geführt wurde, entwickelt hatte, verfolgte er den Zusammenschluss aller arabischen Völker gegen die westliche Übermacht sowie gegen die mit der Sunna konkurrierenden anderen islamischen Glaubensrichtungen. „Der Araber von morgen“ war dabei Abdel-Razak Sattoufs Leitspruch, denn um dies zu erreichen müssten sich die Araber „modernisieren“, um eine gebildete, ausschließlich männliche Zukunftselite im arabischen Raum herauszubilden. Da er diese mit gestalten wollte, entschied er sich schließlich gegen Oxford und für Tripolis, noch einmal vier Jahre später waren die Sattoufs zurück in der Heimat des Vaters: Syrien.

Für seine Frau Clémentine, eine Bretonin, eher Schock als große Freude, doch sie hält uneingeschränkt zu ihrem Mann, obwohl der sie keineswegs als gleichberechtigt ansah. In Libyen hatte sie zunächst eine Stelle, zwei Mal pro Woche als Sprecherin bei Radio Ramsin. Dort trug sie den Text vor, den ein Mitarbeiter des Regimes verfasst hatte und brach, als Gaddafi verkünden ließ er werde den Hundesohn Reagan töten, in schallendes Livegelächter aus. Der Direktor des Senders, der sie und ihren Mann anschließend vorlud, hatte jedoch nicht vor sie zu entlassen, nachdem sie versichert hatte, sie habe nicht über die Worte des Führers gelacht: „Wären Sie einverstanden, wenn Ihre Frau im Fernsehen aufträte? Sie sieht gut aus und ist lustig..“, der Führer habe eine Schwäche für Französinnen. Clémentie versteht kein Wort, also auch nicht als ihr Mann antwortet: „Äh … Nein … Keinesfalls … Aber vielen Dank! Ich möchte, dass meine Frau künftig zu Hause bleibt … sich um meinen Sohn kümmert.“

Ihr weiteres Dasein beschränkt sich also fortan auf Kochen, Putzen, Bügeln und Riad. Doch dies ist beinahe nur eine Randnotiz in Sattoufs vielschichtigem Werk. In beinahe jedem Bild finden sich ironische Anspielungen auf die Situation der arabischen Länder. Gleich zu Beginn in Libyen bekommen die Sattoufs ein Haus. Der arabische Sozialismus macht es möglich, dass sie nach ihrer Rückkehr von einem Spaziergang vor verschlossenen Türen stehen. Hier wohnt nun ein anderer, denn jedes Haus gehört jedem. Steht eines leer, kann der einziehen, der es findet. Ein auf die Spitze getriebener Running Gag, der sich durch die ganze Zeit der Sattoufs in Libyen zieht.

Überhaupt finden sich in der Graphic Novel zahllose Anspielungen und Offenlegungen von Missständen und Widersprüchen. Riad Sattouf gibt seinem Text zwei Ebenen, die, des naiven Kindes, das mit seinen Augen die Absurditäten des Lebens um ihn herum wahrnimmt und einer allwissenden Erzählinstanz, die Zusammenhänge erklärt, Geschichtswissen vermittelt und verdeutlicht, dass von der Aufbruchsstimmung eines arabischen Frühlings noch nichts zu spüren war. Diktatoren wie Gaddafi und Al-Assad herrschten nach Belieben, der erste Eindruck des 6-jährigen Riad am Syrischen Flughafen beispielsweise sind die endlosen Abbildungen des Staatsoberhauptes. Vater Abdel-Razak stört das nicht, er lebt die Parolen, nimmt alle Widrigkeiten als notwendig hin und glaubt an das propagandistische Ideal von Freiheit und Wohlstand. Doch zum tatsächlichen Leben der Bevölkerung, das von Armut, Unterdrückung und grenzenloser Korruption geprägt ist, klafft eine riesige Lücke. Ein Umstand, der durch Riad Sattouf schonungslos vor Augen geführt wird. Ohne falsche Rücksichten berichtet er auch von Rassismus und Israel-Hass.

„Alle Szenen aus, Der Araber von morgen‘ beruhen auf meinen Erinnerungen“, erklärt Riad Sattouf. Das Wissen darum, dass nichts erfunden, lediglich ironisch überspitzt ist, gibt der Geschichte eine besondere Brisanz. Der Zeichner vermittelt einen Eindruck dafür, wo die Wurzeln von radikalem Islamismus liegen könnten, zeichnet die „Tragödie“ der arabischen Welt zu Beginn der 80er Jahre nach und das stets mit viel Witz, (Selbst-)Ironie und inhaltlicher Tiefe.

Auch der ingeniöse Kunstgriff, die verschiedenen Handlungsorte durch wechselnde Leitfarben anzuzeigen, ist in Riad Sattoufs Biografie begründet: gelb sind die Seiten in Libyen, den sein stärkster kindlicher Eindruck ist das Gelb der Wüste, in Frankreich das Blau des Meeres und in Syrien das Rot des Bodens. Für ihn eine logische Konsequenz, für den Leser Ausdruck von Erfindungsreichtum und klare Abgrenzung der Länder. Gelegentlich werden im Comic andere Farben eingesetzt, wie Grün für Gaddafis oder Rot für Assads Propagandaauftritte im Fernsehen.

„Der Araber von morgen“ ist der Auftakt zu einer dreibändigen Reihe über Riad Sattoufs Kindheit im Nahen Osten, bis er im Alter von 13 Jahren endgültig nach Frankreich zurückkehrt. Eine Graphic Novel, die sich in Ton und Form wunderbar ergänzt, über die gesamten 160 Seiten witzig bleibt und den Leser dringend auf den nächsten Band wartend zurücklässt.

Riad Sattouf beherrscht Grammatik und Symbolsprache der Graphic Novel perfekt, mit Tiefe, Vielschichtigkeit und Humor.

 

 

 

 

 

 

Riad Sattouf
Der Araber von morgen
Eine Kindheit im Nahen Osten (1978-1984)
Aus dem Französischen von Andreas Platthaus
Knaus | Verlagsgruppe Random House
2015 · 160 Seiten · 19,99 Euro
ISBN:
978-3-8135-0666-2

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