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Kritik

Die vielen zufälligen Dinge. Richard David Precht Erkenne die Welt.

Hamburg

Precht ist der vermutlich friktionsfreieste Philosoph Deutschlands. Mit den Friktionen ist es jedoch so, daß man bei Prechts Ausführungen mitunter an einen Satz Baudrillards aus Kool Killer denken darf: Es seien Medien das, was „die Antwort für immer versagt” – das, was als Störung des Codes in sich Inhalt zulassen könnte, aber jedenfalls gefährdet ist, sich auch dem hinzugeben, daß irritierender content lieber gar nicht riskiert wird. Precht ist also mitunter eher ein Kommunikator dessen, was dann auch nicht mehr Philosophie ist, als ein Philosoph.

Seine Philosophiegeschichte leidet daran: Precht erzählt, als müsse man einfach anekdotisch heruntererzählen, was es so gab, die fragwürdige Quasi-Übersetzung, wonach Philosophie dem Imperativ „ERKENNE DIE WELT” entspreche, ist Programm. Wo Philosophen auf deren Unerkennbarkeit weisen – oder darauf, daß die Welt womöglich dadurch verliere, daß man sich zu genau mit ihr befasse –, suggeriert Precht: Die wollten es doch auch. Der „Spott für die braveren Kollegen” seitens der Kyniker wird da schnell zum Mini-Exkurs, daß auch Derrida, Nietzsche und Bakunin doch bloß dies betrieben, wo sie Übertreibungen gebrauchten. Was, wenn es nicht so ist? Und: Übertreibung? Nach welchem Maße? Dem Prechts, der alles moderiert, was nicht bei drei auf den Bäumen ist?

Alles aber ist irgendwie vergleichbar für Precht. Kurz darauf sind etwa die skeptischen Philosophen – Pyrrhon, Sextus Empiricus und Arkesilaos – mit dem Poststrukturalismus fast ident, wo es ja auch um Arbitrarität gehe.

Es gibt Ausnahmen, so die historische Herangehensweise an den Tod Jesu als eben auch Interpretament der Feudalzeit, die sich wie andere Auslegungen vor den biblischen Text schob, doch schon bei der Scholastik, die an die Realität von Begriffen glaube, während ein „moderner Realist […] »die Liebe« und »die Menschheit« nicht für etwas, das real vorhanden ist”, hält, wird es wieder recht unscharf – schon da, denn wenngleich Liebe eine Erfindung ist, ist sie eben dies so wie Alkohol auch: wirksam nämlich. Performanz als Form des Realen wäre anzudenken, jedenfalls, wenn man wie Precht drauflos fabuliert. Er aber zieht die Notbremse und behauptet stattdessen, mittelalterliche Kleriker hätten das Diesseits als „Qualifikationsrunde für das Jenseits” betrachtet, eine gleichfalls kühne Deutung.

Dort, wo Precht Vorsicht relativiert, ist es oft so, daß man sagen möchte: doch, doch. Die historische Meinung, „dass man Aristoteles nur richtig verstehen könne, wenn man ihn auf Griechisch lese”, zweimal Konjunktiv, ist nicht so sehr Meinung und nicht so sehr historisch; auch dann, wenn man nicht des Griechischen mächtig ist, wird man bei Aristoteles-Lektüren instruktiven Kommentaren von Altphilologen zu folgen gut beraten sein, die sprachliche Feinheiten, die sich in der Übersetzung verlören oder überlesen würden, erläutern, also einen – indirekt – doch das Griechische lesen lassen. Aber das wäre eben eine Irritation, wie sie Precht ausblendet.

Er versteht sich mit allen und widmet das Buch den „weltklugen und gebildeten iranischen Taxifahrern in Köln”, die, sollten sie davon erfahren, sicherlich über diese Geste gerührt sein werden; und denen man, wenn an der Widmung was dran ist, womöglich lieber zuhörte, als Precht, dessen opus magnum sich in seiner mutmaßlichen Notwendigkeit jedenfalls im ersten Band noch nicht erschließt. Damit freilich ist das Buch oft ein Exempel auf Prechts Thomas-Exegese: „Woher kommen die vielen zufälligen Dinge in die Welt?”

Richard David Precht
Erkenne die Welt
Geschichte der Philosophie 1
Goldmann
2015 · 576 Seiten · 22,90 Euro
ISBN:
978-3-442-31262-7

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