Kritik

Ein großformatiges Kunstwerk, kalendarisch gegliedert.

Robert Voss spielt in seinem „Kalender für Pu“ mit den Geschichten um den Bären „mit sehr geringem Verstand“
Hamburg

Ein faltiger Fleischkloß mit rupfigen Borsten, fleckenübersät. Zusammengekauert hockt er auf seinen großen tiertischen Hinterpranken, seine Hände mit den rissigen Fingernägeln vor dem riesigen, ausladenden Unterkiefer gefaltet. Oh weh, wenn der sein Maul aufmacht, verschluckt er die Hälfte des Hundertmorgenwaldes. Und dann diese Augen: Das rechte bohrt sich selbstherrlich in den Betrachter, das linke fixiert das arme, kleine Flattergetier, das auf seiner herausgestreckten Chamäleonzunge zappelt. Haare sprießen aus der plattgedrückten feisten Nase, und die Ohren würden an etwas mitgenommene Flügel erinnern, säßen sie nicht in dieser hässlichen, warzengespickten Fratze mit dem überheblichen Politikerblick. Das ist ein Heffalump, wie ihn sich Ferkel vorstellt: In einer kecken Pose steht sie neben ihrer Chimäre, das Bäuchlein rausgestreckt, dass es leicht über die enge Hose schwappt, die Hufen gleichen hochhackigen Stiefelchen, und die Augen sind eine Mischung aus angstvoll aufgerissenen Glotzern und kessem Geplinker. So stellt sich zumindest Robert Voss Ferkel vor und wie sich Ferkel den Heffalump vorstellt.

Nach dem erfolgreichen Ringelnatz-Kalender für 2015 hat Voss auch für dieses Jahr einen besonderen Kalender kreiert. Und zwar einen „Kalender für Pu“, wobei sich die Zeichnungen „ausdrücklich auf die Neuübersetzung von Harry Rowohlt beziehen“, wie er in einer kleinen Notiz anmerkt. Das Wort Kalender ist allerdings maßlos untertrieben. Es ist vielmehr ein großformatiges Kunstwerk, kalendarisch gegliedert: Für jeden Monat hat Voss einen Aspekt aus einzelnen Geschichten des Kinderbuchklasssikers „Pu der Bär“ von A. A. Milne zeichnerisch herausgezoomt und schwarz-rot in Szene gesetzt. Mit dem ersten Monat beginnt auch die Geschichte um den Bären „mit sehr geringem Verstand“: Wie bei einer Puppenstube oder einer Theaterkulisse sieht man in das Innere des Hauses, in dem Christopher Robin wohnt, der in einem roten Pyjama und mit schlafzerzausten Haaren die roten Treppenstufen runtersaust, Pu im Schlepptau. „Rumpeldipumpel“ hört man da nur noch, dieses brummbärige Rumpeldipumpel von Harry Rowohlt.

Im September kann man Pu bei seinem Flug zu den Bienen beobachten: Das Schlemmermaul wollte natürlich an ihren Honig. Und man sieht, wie er an einem roten Ballon immer höher steigt… und höher… und höher… und weil er ein Bär „mit sehr geringem Verstand“ ist, ist er mal wieder auf die Hilfe von Christopher Robin angewiesen, der, von außerhalb des Kalenderblatts, peng, den Ballon mit seinem Gewehr zerschießt, dass Pu langsam zu Boden schweben kann.

Es gibt auch zwei Bastelblätter: Im Mai sitzt Känga in einem roten Kreis, in einen anderen hat Voss das Gesicht von Ferkel gezeichnet. Wenn man beide ausschneidet, aneinanderklebt, Gummis an den waagrecht gegenüberliegenden Seiten befestigt, sie verzwirbelt und sich wieder aufdrehen lässt, sieht es so aus, als würde Ferkel in Kängas Beutel sitzen. Das ist die Geschichte, in der Klein-Ruh entführt werden sollte und Ferkel dann das Nachsehen hatte. Auf das Augustblatt hat Voss drei „Pu’s Best“-Etikette gezeichnet, natürlich mit Pus Konterfei, die man ausschneiden und auf das eigene Honigglas kleben kann.

Mal sind die Zeichnungen grafischer wie im Februar, mal malerischer wie im März, wo I-Ah hilflos auf dem Rücken im Wasser rumdümpelt und seine Hundertmorgenwald-Freunde Steine werfen, damit er durch die entstehenden Wellen ans Ufer getrieben wird. Dann sind sie skurril wie im Oktober, als Kaninchen versucht, Känga zu sein, und die Kleinen vor lauter unkoordinierter Hopserei kotzen müssen, mal illustrativer, wie auf dem Juniblatt, das eine Schachtel mit „knusprigen Disteln“ zeigt (für I-Ah). Was sie alle sind, ist eigensinnig. Und sehr speziell. Und sie haben alle diese besondere, leichtfüßige Sicherheit im Duktus, den bizarren Ausdruck, das bärische Augenzwinkern. Voss versteht sich meisterlich im zeichnerischen Spiel mit Worten und Zwischentönen, und sie alle zeigen eine große Liebe zum verspielten Detail. Schön, dass man immer einen Monat hat, um die vielen Facetten und Kleinigkeiten und ironischen Finessen zu betrachten.

Anmerkung der Redaktion: Bestelladresse: per Mail bei Robert Voss

Robert Voss
Kalender für Pu 2016
2016 · 48 x 68 cm · 40,00 Euro

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