Kritik

„Und träume mir das Messer in das Herz!” (Lenau)

Geschichte und Technik der Taschenmesser
Hamburg

Das Messer – quasi uranfänglich, archaisch, eines der ersten Werkzeuge, man könnte also sagen: Messer sind etwas, das heute, wenn man nicht in uranfänglich-archaischen Berufen wie dem des Forstmannes tätig ist, oder in der Küche, natürlich, nur mehr eine marginale Rolle im täglichen Leben spielt. Bloß ist unsere Welt ja schneller als gedacht aus den Fugen, dann will man den losen Faden, ehe die Naht weiteraufgeht, diskret kappen, das Butterbrot teilen oder sonst noch allerlei tun, um die Minimalkatastrophen einzudämmen; und wenn nicht, so kann man – insgeheim grunzend – sich mit einem Messer immerhin so fühlen, als wäre man für alles gewappnet, was nie passieren wird, inklusive Jurassic Park-Szenario. In den USA nennt man das Preparedness, wobei der Durchschnittsamerikaner für die diversen Apokalpysen wohl insofern besonders gerüstet ist, als er nicht allzu schnell verhungern würde. Ein Mann ist kurzum nichts ohne sein Messer – und wenn Frauen darauf bestehen, daß man diese oft sinnfreie Fetischisierung von Schneidwerkzeugen gendern möge, so möge man diesen Satz gerne gendern.

Ein Messer heute darf und soll aber elegant sein, fast ein immanenter Widerspruch, gäbe es nicht tatsächlich Messer, die schneiden und dazu schneidig aussehen. Sie funktionieren als Distinktionsmerkmal, sie sagen, der stolze Besitzer verfüge über eine ironisch gebrochene Männlichkeit (Nietzsche beschrieb sich selbst gar in einem Brief als „taschenmesserartig zusammengeknickt”, eine sonst eher auf andere gemünzte Metapher – ein Fall proto-postmoderne Maskulinität..?) und Geschmack, vielleicht so etwas wie den Habitus eines Landadeligen, der Franzose nennt solche Messer couteau de prestige, es sind Messer für den Gentleman.

Stefan Schmalhaus hat diesen feinen Schneideisen, die einerseits mitunter fast schon als moderne Plastiken aufgestellt werden könnten – „[f]unktionaler Schmuck”, schreibt er –, von deren Brauchbarkeit andererseits ein Goethe schwärmend schrieb (nämlich von der „Brauchbarkeit des Messers [...], das gar manche Gerätschaften in sich vereinigte”, in Dichtung und Wahrheit), ein Buch gewidmet. Dabei wird zunächst der Begriff des Gentleman-Taschenmessers erhellt, das wie schon gesagt Eleganz und Gerüstetheit verbindet, ironischer Verweis auf die feindliche Welt da draußen, der man freilich besser mit Anwalt, Steuerberater und gutem Internisten als selbst mit seinem Sebenza (einer der modernen Klassiker unter den Klappmessern, die nicht ganz billig sind) begegnet, ist, aber irgendwie dann doch nützlich und schließlich Ausdruck der Persönlichkeit sein könnte, mag man sich auch bei manchem diese unausgedrückt belassen wünschen.

Souverän führt hernach Schmalhaus durch die Geschichte des Messers, vom „Schweizer Taschenmesser aus der Römerzeit” über die Tischkultur, die erforderte, Gasthäuser mit dem eigenen Besteck und also auch Messer zu besuchen, und Sheffield wie hernach Solingen als Produktionsstätten, von denen nur eine noch den alten Glanz hat, bis zum Aufstieg der USA inklusive Case und dessen erfundener Firmenhistorie – eine von vielen Schnurren Schmalhaus’, der sich nie darin verliert, aber mit diesen kleinen Mäandern dem Buch Pfiff verleiht.

Dann geht es in die Gegenwart: Anatomie des Taschenmessers, Stähle und Phänomene wie Patina einerseits und andererseits Rost, Verfahrensweisen wie Damast, „geometrisch bis pschedelisch”, Griffmaterialien, Verriegelungsmechanismen, ... Schmalhaus weiß, wovon er spricht. Auch die lokalen Kulturen werden hier gewürdigt, als Geisteswissenschaftler, das zu sein kann der Autor des Bandes nicht verhehlen, werden historische Kontextualisierungen immer wieder einbezogen. Von hier kommt Schmalhaus zu Porträts einzelner Messer, zunächst die traditionellen, dann die womöglich zukünftigen Klassiker.

Photographisch wunderschön in Szene gesetzt werden die Messer mit pointierten Texten vorgestellt. Hier kann man nebenbei einen „Freund fürs Leben”, wie Schmalhaus das Compagnon, ein wunderbares Messer aus Frankreich, nennt. Manchmal neigt der Verfasser zu Euphemismen, etwa, wenn er vom Douk Douk schreibt, es habe „nicht immer nur friedlichen Zwecken” gedient: In der Tat war dieses primitiv konstruierte Messer als billige Waffe begehrt, wobei durch Eindrücken der Klingenführung das Messer arretiert wurde.

Besonders schön ist nicht nur das Épicurien, sondern auch, wie Schmalhaus es beschreibt – es wird darin als Synthese dessen kenntlich, was als Gentleman-Taschenmesser zunächst fast paradox anmutet, es verklammert, wie das Porträt akkurat ausdrückt, das Aggressiv-Anarchische des Messers, das wie aus einer fremden Zeit in der Postmoderne eben nur vermittelt Platz zu haben scheint, fast als Peinlichkeit, die immerhin auf die Pein der erwähnten losen Fäden zu reagieren hilft, mit der Kultur, deren Scheitern es eindämmen kann und zugleich fast ausdrückt. „Die Geburt des Taschenmessers aus dem Geiste des Füllfederhalters” sei dieses Messer, und damit ist es wohl Kultur par excellence – wenn nicht zu bedenken wäre, daß wie gesagt heute Anwälte Rettung vorm Scheitern von Kultur wie auch der Ausdruck dieses Scheiterns in einer Weise sind, die in einem Satz kulminiert: Lichtenbergs Hinweis, man müsse sich nicht allein den „den Gebrauch der Messer, [...], sondern auch der Federn künftig schlechtweg [...] versagen.”

Abschließend wird die Wartung eines Taschenmessers beschrieben und in einem Glossar alles erklärt, was zu erklären sein könnte. Dies rundet eine wirklich wunderbare Einführung ab, der man allenfalls eines vorwerfen könnte: daß Schmalhaus bei den Serienmessern und semi-customs bleibt; natürlich sprengte es den Rahmen, auf die Kunst der vielen Messermacher umfänglich einzugehen, die es da gäbe; die allerdings doch Schneidwerkzeuge oder doch Schneidkunstwerke bieten, welche schlicht sehenswert sind, und mit denen man ferner gerne arbeitet: etwa Allen Elishewitz’ Folder, deren Einen ich mir einst leistete...1 Sieht man hiervon ab, ist das Buch höchst gelungen; Interessierten, ebenso aber auch gerade auch jenen, denen sich die Ästhetik und der Reiz von Messern noch nicht erschlossen haben, was dieser Band ändern sollte, ist dieses Buch gleichermaßen ans Herz zu legen.

Stefan Schmalhaus
Gentleman-Taschenmesser
Geschichte, Technik und die schönsten Modelle der Welt
Wieland Verlag
2014 · 224 Seiten · 39,90 Euro
ISBN:
978-3-938711-72-9

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