Lyrische Ausflüge in Zeit und Räume
Er fand ihn auf einem Markt in London. Mit dieser Zeile eröffnet Susanne Stephan ihren neuen Lyrikband, dessen erster Zyklus Komponisten (Bach, Schubert, Beethoven, Grieg, Chopin und -überraschend – Amy Winehouse) gewidmet ist. Gemeint ist ein Papagei, den Haydn tatsächlich besessen haben soll, ein Papageienvogel grau in grau, / doch mit leuchtend rotem Schweif. Der Vogel wird also erst einmal beschrieben, aber schon in der zweiten Strophe wird der Papagei zum Zeugen von Haydns Befindlichkeit: Dazu das Auge, von dem er ahnte, / dass es alles sah: in dem der Markt / war, die große Stadt und was hinter ihm lag, / seine Einsamkeit bei den Esterházys. Weiter wird ausgeführt, dass für Haydn und seine Frau nur in der Musik ein gütiges Bei-sich Sein möglich war. Haydn nachgerufen lautet der Titel des Gedichtes und nachrufen könnte man in unterschiedlichen Variationen über vieler der Gedichte schreiben. Bei all den vielen Personen, Orten – und bei allen autobiografischen Versen, die der Band enthält, bleibt die Autorin nicht bei äußerlichen – teilweise prosaischen Beschreibungen, sondern findet Bilder für grundsätzliche Fragen. So zeigt sie in Schubert zweihändig anhand des Klavierspiels die Zerrissenheit eines Menschen:
Wenn der eine Lauf
aus der Welt will, der andere
zurück, zum Tanzen.Wenn der eine Takt
das Elend streift, der andere
mit einem Lied kommt.Wenn die eine Hand
den Jammer malt, die andere
schon darüber ist.
Auch das Gedicht Discount lebt von Widersprüchen. Es handelt davon, wie ein Song von Amy Winehouse als Hintergrundmusik in einem Supermarkt läuft, unterbrochen von Werbedurchsagen. Auch hier spannt Susanne Stephan einen großen Bogen, rückt die Sängerin in die Reihe der Künstler, die
Siebenundzwanzig wie Trakl, wie Joplin, Hendrix
………..verunglückt
abgestürzt, meint man, nicht am schwersten Berg,
aus dem Blick geraten an einer schattigen Flanke
auf dem Weg zurück nach dem harten Entzug;
Weg zurück vom Grauen auf dem Schlachtfeld von Grodek,
alles scheinbar im Lot, sanft, in Maßen betäubt.
Siebenundzwanzig, Amy, und diese gewaltige Stimme,
die mich findet und greift, Lied aus dunklem Gewölk
nahe der Instant-Suppen, dem luftdicht einzeln Foliertem
Instantsuppen und der Tod, oft bringt die Autorin Unvereinbares zusammen und verweist durch diesen Blickwinkel auf Widersprüchlichkeiten. Diesen inhaltlichen Ansatz unterstreicht sie durch ihre Sprache. They tried to make me go to rehab but I said, steht neben Haben Sie’s gewusst, Backpulver wäscht schneeweiß. Susanne Stephan nennt das Gedicht eine Elegie, der Ironie zum Trotz, die in einer Zeile die Küche mit der Hölle vergleicht.
Eine weitere Elegie findet man in dem Zyklus Italienische Suite, der Gedichte aus Italien beinhaltet. Das Kraftwerk der Götter handelt von der Centrale Montemartini (das erste Kraftwerk in Rom) und nicht nur bei diesem Gedicht ist es gut, dass es am Ende des Buches Anmerkungen zu einzelnen Orten und Personen gibt. So erfahren wir, dass dieser Ort heute von den Kapitolinischen Museen als Dependance genutzt wird. Dort teilen sich die Götter den Raum mit den alten Maschinen.
Wieder ans Licht geholt, rundum weiß wie nie,
weiß wie die Möwen stehen sie gereiht vor den schwarzen
Kesseln: versehrter Archill, Marmorkopf an –bein
Der in Discount bereits erwähnte Trakl wird in dem Kapitel Tombeau zum Thema eines Gedichtes. Es steht neben mehreren anderen, die sich mit getöteten Künstlern aus dem Ersten Weltkrieg befassen. Der Titel Tombeau bezieht sich auf die Trauermusik Le Tombeau de Couperin von Maurice Ravel. Jedes dieser Gedichte ist in einem dem jeweiligen Künstler entsprechenden, ihn charakterisierenden Ton geschrieben und dadurch wird deutlich, wie Maler, Musiker und Schriftsteller mit ihren Schicksalen umgegangen sind. Um dies zu verdeutlichen fließen in den Gedichten immer wieder Originalzitate ein, aus Briefen und aus Büchern der Künstler. Gott sei Dank, dass ich so viel Rohheit in mir habe, wird beispielsweise August Stramm zitiert und Susanne Stephan ergänzt ein paar Zeilen weiter mit Sonne Halde blumet knosper Tod. Im Zusammenhang mit Joseph Roth, der später als Jude nach Paris emigrierte, wird sowohl der Liftknabe aus Hotel Savoy zitiert, als auch die Worte schluchzende Gestalt aus dem Roman Spinnennetz.
Jetzt alter Liftknabe
im verschlissenen Grand Hotel,
und was kann einen noch retten -
wenn nicht das genaue Adjektiv,
wenn nicht das am Rand des Rauschs
klar abgemessene Leid -
von der auf Erden schluchzenden Gestalt.
Auch das Kapitel Musica Funebre beschäftigt sich mit Toten, bzw. mit ihren letzten Ruhestätten, die immer von der Geschichte eines Landes erzählen. So liegt im Cimiterio monumentale di Staglieno in Genua ein Kämpfer für Italiens Einheit, neben dem Heer der kleinen Gräber /, Lebensgeschichten mit letzten Orten wie: / El Alamein, Salerno, Mauthausen, es gibt einen jüdischen Friedhof, Grabsteine der Alliierten und neben einem katholischen Teil im Schattendunkel die protestantische Zone: / heiligenbildfrei mahnenden Schildern nach.
In Sarajewo, Niemandsland hingegen kann man erst nach der Minenräumung wieder fotografieren, stehen die alten Grabsteine / am steilen Hang eingelassen / wie Wachposten / das kleine Schriftgesicht zum Tal, / zu Kuppeln und Türmen, /. Antennen der Religionen. Sollte ich mir ein Lieblingsgedicht aus dem Band aussuchen, würde ich dieses wählen, nicht nur wegen dem kleinen Schriftgesicht, sondern auch, weil es ein gutes Beispiel dafür ist, wie Susanne Stephan in ihren Gedichten über das eigentliche Thema hinaus so viel mehr erzählt.
Mehrere längere Texte handeln von der eigenen Jugend, dem Aufwachsen in der Bundesrepublik mit Alltag (Sprühsahne! Zement / des schönen Lebens.) und eigener Entwicklung (Ich war Helen Keller, / zeichnete taubblind). Sehr bildhaft in diesem Zusammenhang: Die kontinentalen Grabenbrüche / des Körpers, / trockenfallende Täler / des Schlafs. Diese Zitate stammen aus Warmzeit, dem letzten, ein ganzes Kapitel umfassendes Gedicht, das den Band abschließt. Wie überhaupt ist es auch hier das Zusammenspiel von eher prosaischen Textstellen mit vielen einzelnen Bildern (Auf jedem Foto die Strickjacke verknöpft), wodurch in unterschiedlich langen Strophen ein Gesamtbild evoziert wird. In einem anderen autobiografischen Gedicht wird es politisch, es geht es um die RAF.
In die Nachrichten hämmert Wehner
auf das Rednerpult,
neigt der Sprecher sich uns besorgt zu:
…zuletzt gesehen in einem weißen Opel,
er könnte sein Aussehen verändert haben,
Vorsicht Schusswaffen!
rauchen Helmut Schmidt im Interview,
meine Mutter im Sessel
die Friedenspfeife der Realpolitik.
Susanne Stephans Gedichte bleiben nicht im Ungefähren. Sie sind bildhaft poetisch und gleichzeitig sehr konkret, setzen sich mit unserer Geschichte auseinander und thematisieren, was diese mit uns macht.
Fixpoetry 2015
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben