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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

„Alle möglichen Leute schreiben Sonette“

ein mittwoch der poesie im schwitter'schen hannover
Hamburg

Poesie und Kunst - Kunst und Poesie. Sylvia Geist und Arne Rautenberg nähern sich dem Werk Kurt Schwitters von zwei verschiedenen Seiten. "umverkehrte zertrümmerung" so der Titel von Sylvia Geists 15 Merzetten und "eine gute verdauung ist keine zeitverschwendung" heißt der Zyklus aus 16 Collagen von Arne Rautenberg - gemeinsam ergeben Texte und Bilder ein bibliophiles Büchlein von Carl-Walter Kottnik herausgegeben. Es reiht sich in eine Serie ähnlicher Wort-Bild-Kunstwerke ein, die zu sammeln sich lohnt. (Zu nennen wären da noch Peter Wawerzinek mit Collagen von Antonia Egert und Zeichnungen von Negin Shadloo oder Marcus Jensen mit Pastellen von Peter Fetthauer).

Auf der Buchpräsentation im Künstlerhaus in Hannover (am 7. 10. 2015) machen beide Künstler es spannend: sie beginnen mit ihrer Art, sich überhaupt der Kunst zu nähern, nicht nur Schwitters, und diese Art ist, wie wir im Folgenden sehen werden, sehr unterschiedlich.

Der aus Kiel stammende Maler und Dichter Rautenberg hat bereits seine Abschlussarbeit an der Kunsthochschule über Schwitters geschrieben, der ihn immer schon faszinierte: die Liebe zum Experiment, zur Erprobung der Form, das seien auch seine Motive, und dabei mag er sich nicht auf einer gut funktionierenden ausruhen. Oft findet Rautenberg sich in den seelischen Konflikten der Künstler wieder, zu denen er etwas arbeitet

Er tut das mit Traummaterial, Stimmungen, die er ausdrücken will, er sammelt Namen, die gut klingen und komponiert etwas aus ihnen. Im Falle der „Merzette“ sind es getrocknete Zeitungsteile, seltsame Pflanzenausschnitte, pastellfarbene Rätselmandalas - die puzzleteilförmigen Collagen fügen sich zu einem ähnlich offenen und zugleich hermetischen Bild wie die Gedichte von Sylvia Geist.

Schwitters ist in Hannover geboren; Geist hat lange in Hannover gelebt und verläuft sich immer noch gern hierher. Ihr Zugriff auf das Schwittersche Werk betrifft mehr das Handwerkliche als das Biografische. Das Spiel mit der Form liebt auch sie. Und so kennt man sie. Wenn sie Gedichte zu Kunstwerken schreibt (wie „die Zitrone in einem Bild von Twombly“ in: „Gordisches Paradies“) verschwinden irgendwann die Kunstwerke und die Sprache sprießt umso mehr, umgarnt den Leser; Sonette schrieb sie auch, doch "alle möglichen Leute schreiben Sonette", sie wollte etwas aufbrechen, die Form nur als Gerüst benutzen, löchrige Sonette schreiben. Schließlich sei Schwitters auch immer wieder unterbrochen worden, gerade mit seinem Merz-Bau. Ganz abgesehen davon, dass er Zeit seines Lebens an Epilepsie und Depressionen litt. In Hannover zerstörten die Bomben des zweiten Weltkriegs das Projekt, in Norwegen, wo Schwitters nach seiner Flucht erneut mit dem Bau begann, erst Verwitterung, dann Brand. In England starb er während des vierten Versuchs.

Natürlich ist der Merz-Bau mit seinem Assemblage-Charakter von Anfang an nicht auf Vollendung angelegt. Das ist bei den Merzetten etwas anders. Hier ist das Unvollkommene nicht das Ende, vielmehr die Lücken, die in eine andere Dimension verweisen.

14

(hier sollte lösung stehen oder losung
doch es fügt sich nicht drein kann nicht
schlüpfen und verschwunden sein
ist nicht suffix genug eher zum beispiel

anhanglos aus der fille gezogen (nicht
der fülle aber falle). auch abhangwiese.
es ist im freien sagen die umgekehrten
besucher schwerer als sie dachten.)

[...]

und so geht es uns Lesern auch im Labyrinth der Verse, erst fühlen wir uns frei, im Spiel der Form, dann suchen wir Halt, finden etwas bekanntes, das sich uns aber gleich wieder entzieht, spiegelverkehrt ist oder ein Rest, ins Unwirtliche verzerrt, oder ein Geist, der uns ins Unwirkliche zieht.

5

[...]

einfach alle wären
er nicht. der jubilar
stünde benommen

[...]

Geist liest die Texte nacheinander, ohne Pause, das geht, seltsamerweise, Merz, diese Kunstfigur, im Wortrausch, ein Wortbaustein, ein Nachhall von Ausmerzen, ein Frühling mit Rechtschreibfehler, "Ich bin Merz", wer oder was, nur in der Kunst selbst nachspürbar, Sylvia Geist lässt diese Lebensstationen und Zerstörungen vorkommen, Zitate aus Briefen, alles kleingeschrieben, auch die Namen: bete anna komme, silbernitratgewölk, merz liegt zuhauf in der luft an diesem Dienstag der Zwecke, auch an diesem Mittwoch der Poesie im Schwitter'schen Hannover.

Sylvia Geist · Arne Rautenberg · Walter Kottnik (Hg.)
umverkehrte zertrümmerung
Arne Rautenberg eine gute verdauung ist keine zeitverschwendung 16 Collagen
Carl-Walter Kottnik
2015

Fixpoetry 2015
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