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Kritik

Till Lindemann dichtet „Rohlinge“

„Ich bin ein riesiger Rammstein-Fan. Aber die Leute in den Konzerten wissen teilweise nicht mal wie man eine Banane öffnet.“ (Olli Schulz)
Hamburg

Auch der Erfolg von Jan Wagners Regentonnenvariationen kann nichts daran ändern, dass der derzeit meistverkaufte (und wahrscheinlich auch meistgelesene), lebende deutschsprachige Dichter Till Lindemann ist. Dabei kann man natürlich einwenden, dass es sich bei der neu editierten Doppelausgabe Die Gedichte, bestehend aus den bisherigen Lindemann-Gedichtbänden Messer (2002) und In stillen Nächten (2013), wohl in erster Linie um einen Rammstein-Fanartikel handelt. Lindemann selbst will seine Lyrik jedoch unabhängig von seinen Songtexten für Rammstein verstanden wissen. Ein Wunsch, der gleich in mehrfacher Hinsicht nur schwer zu erfüllen ist. Zu dominant und einprägsam ist Lindemanns Umgang mit der deutschen Sprache, die er als Sänger und Texter einer ikonisch gewordenen Industrial-Metal-Band im Ausland so populär machte wie kaum jemand vor ihm. Zu nah sind obendrein der sprachliche Duktus und vor allem die thematische Ausrichtung seiner Gedichte an den Inhalten der Rammstein-Songs.

Einwenden könnte man zudem, dass Till Lindemann ja gar kein richtiger Dichter sei und der Vergleich mit dem Erfolg Jan Wagners auch deshalb von vorn herein hinkt. Dass die Gefahr besteht, die Regentonnenvariationen könnten zu einer Art lyrischem Fanartikel des Bildungsbürgertums verkommen, lasse ich dabei außen vor. Doch wo Wagner, gerade auch wegen seines Erfolges, zu Recht breit rezipiert wird, wird der noch erfolgreichere Lindemann weitgehend ignoriert. Ernstzunehmende Besprechungen seiner Gedichte sucht man in den großen Feuilletons meist vergebens. Über seinen Status als Lyriker machten sich eigentlich nur Moritz von Uslar und (ausgerechnet) Georg Diez ein paar Gedanken. Für jemanden, dessen Lieder sogar in Nord- und Südamerika gesungen, in Skandinavien und Russland gar im Deutschunterricht behandelt werden, scheint das ziemlich wenig. Vielleicht ist das auch ein Indiz dafür, dass Lindemann nicht ohne Rammstein betrachtet werden kann. Da man über diese Band alles zu wissen scheint und sie auch niemanden mehr wirklich schockt, braucht man über die Lyrik ihres Frontmanns scheinbar kein Wort mehr zu verlieren.

Dabei wird oft unterschätzt, dass es Lindemann war, der mit seinen Texten Mitte der 1990er Jahre eine durchaus neue, poetische Qualität in die deutschsprachige Rockmusik gebracht hat, die sich in Songs wie Du riechst so gut, Spiel mit mir oder Mutter vor allem auf den ersten drei Rammstein-Alben zeigte. Zeitgleich, also vor etwa 20 Jahren, entstanden auch die ersten Gedichte. Aber schon 2002 kam mit dem ersten Band Messer die große Ernüchterung. So ähnlich die Begriffe auch sind, in Lindemanns Versen zeigt sich, dass „lyrics“ und „Lyrik“ mitunter meilenweit auseinanderklaffen. Zu plump, zu hölzern wirken die meisten der Texte, obwohl sie aus dem vertrauten Rammstein-Vokabular gehauen sind. Dass ihnen aber der harte Industrial-Sound fehlt, der die stilgebende Rohheit dann doch rhythmisiert und letztlich zusammenhält, wird an holprigen Versen wie diesen deutlich: „die Lerche mit der weißen Haube/ ich würde töten daß sie bei mir wäre/ doch hat sie Schnabel gleich dem Greif/ und Fänge scharf wie eine Schere“. Lindemann forciert oft Reime, zeigt dann aber für einen Musiker überraschend wenig Rhythmusgefühl. So verstopft er seine Verse leider viel zu oft mit Füllwörtern oder verknappt sie künstlich, worin das handwerkliche Hauptproblem seiner Lyrik liegt, das sich durch den gesamten Doppelband zieht.

Solche Mängel wundern spätestens dann nicht mehr, wenn man Lindemanns Aussage gegenüber von Uslar glaubt, die Gedichte „seien ihm über die Jahre nur so zugeflogen, auf Flughäfen, in Tourbussen und Hotelzimmern.“ Eine Beiläufigkeit, die sich rächt, denn an die scharf geschnittene, raffinierte Doppelbödigkeit der frühen Rammstein-Texte reichen die Gedichte einfach nicht heran. Eine weitere Schwäche seiner Lyrik ist zudem ihre thematische Redundanz. Nicht dass etwas dagegen spricht über Inzest, Nekrophilie, Sodomie und dergleichen zu dichten; und dann gerne auch im entsprechenden Vokabular. Der temporäre Schock über Oralverkehr mit abgeschlagenen Köpfen und aus Eiterbeulen herausgeschnittenen Schrapnellen, die zu Brieföffnern umfunktioniert werden, sei Lindemann gegönnt. Doch die auf 200 Seiten immer wiederkehrenden Sprechgesänge über sexuelle Demütigung, sexuelle Hörigkeit, sexuelle Gewalt in den bizarrsten Formen, kurz, sexuelle „Perversionen“ jeglicher Art, schocken dann nicht mehr, wenn sie zur Masche werden. Wenn Mutti spät zur Arbeit geht heißt ein Gedicht, dessen Titel im Kontext des Bandes leider schon alles vorwegnimmt. Natürlich geht es um eine Nutte, und natürlich wird sie gewaltsam sterben. Dass sich seine Themen „zugegebenermaßen gelegentlich wiederholen“ räumte Lindemann in einem anderen Interview ein. Dass der von ihm so sehr erwünschte Schock dadurch aber verpufft, müsste die logische Selbsterkenntnis sein.

Dennoch kann es unterhaltsam sein, Lindemanns Gedichte zu lesen, die aller Kritik zum Trotz eine sehr ehrliche, um nicht zu sagen schonungslose, eigene Ästhetik besitzen. Als „Rohlinge“ machen sie eine Gedankenwelt sichtbar, die – durch die „Schwarze Romantik“ und den „pathologischen Expressionismus“ geformt und gefiltert – sich in den Songs von Rammstein konzentriert. Dass dabei auch viel Gothic-Kitsch an- bzw. abfällt, lässt sich nur schwer leugnen. Dafür entschädigt Lindemanns im Wortsinne gnadenloser Humor, der auch Rammstein prägt und immer wieder zu Missverständnissen und Kontroversen führt. Man mag diesen Humor, oder eben nicht.

Big in Japan

Dies ist die traurige Geschicht,
von einem Mann der vor Gericht
steht, weil er unterm Lodenmantel
versteckte eine Hodenhantel
diese diente ihm zu Zwecken
kleine Kinder zu erschrecken
so stieg er vor den Kindergarten
die Rangen auf den Fremden starrten
er öffnete den Mantel weit
zu zeigen seine Fertigkeit
die Mädchen lachten ihm zur Schmach
da legte er drei Kilo nach
so schwer war das Gewicht noch nie
der Sack riß ab
der Künstler schrie

Am stärksten ist Lindemann jedoch dann, wenn er den ausladenden Schwermut oder sexuelle Witzeleien hinter sich lässt und es schafft einen kleinen, bösen Gedanken in eine ebenso knappe und geschliffene Form zu bringen. Wie etwa in dem lakonischen Gedicht mit dem etwas unglücklichen Titel Absicht?.

Ich habe ein Gewehr
ich habe es geladen
ein Knall
du hast kein Köpfchen mehr
das seh ich durch die Schwaden

Sie klopfen an die Tür
nun werden sie mich fangen
ich kann doch nichts dafür
ist einfach losgegangen

Natürlich liegt der Verkaufserfolg dieser Gedichte  am Status ihres Autors. Die fast durchweg positiven Bewertungen der Leser erklärt das jedoch nur unzureichend. Auch wegen der hier genannten Kritikpunkte wird Lindemann wohl nie als ernstzunehmender Lyriker vom Feuilleton anerkannt werden. Dass er als Dichter mit unbestechlichem Gestus den Finger massenwirksam in die Wunde gesellschaftlicher Randbezirke legt, ist indes nicht zu leugnen.

 

 

Till Lindemann
Die Gedichte
Messer | In stillen Nächten
Kiwi
2015 · 254 Seiten · 12,99 Euro
ISBN:
978-3-462-04777-6

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