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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

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Holger greift zur Axt
Hamburg

Lars Ruppel hat in diesem Jahr die deutsprachigen Poetry Slam Meisterschaften in Dresden gewonnen, und zwar mit Texten, die nun auch gedruckt vorliegen. Es sind gereimte Geschichten über Redensarten. Daß die Texte durchaus für die Bühne taugen, unbenommen. Ich saß in Dresden im Publikum und war froh, nicht gegen ihn antreten zu müssen. Ein freundlicher und sehr uneitler junger Mann, gegen so jemanden kann man auch menschlich nur verlieren. Mal ganz davon abgesehen, daß er seine Texte auswendig kann. Meine größte Gedächtnisleistung auf der Bühne bestand einmal darin, einen Haiku komplett aus dem Kopf hersagen zu können.

So. Und nun liegt ein Rezensionsexemplar in meinem Postkasten und ich darf mich der Frage widmen, ob Lars Ruppels Texte auch ihre Wirkung entfalten, wenn ich sie still und leise vor mich hin lese. Würde ich Lars Ruppel persönlich kennen, was, bis auf eine flüchtige Begegnung in Dresden, nicht der Fall ist, könnte ich jetzt eine Gefälligkeitsrezension schreiben. Sie wäre wie das Lob von liebenden Müttern. Da fällt mir ein, daß wir damals, im Kindergarten, ein Tier malen sollten. Als ich das Bild meiner Mutter schenkte, sagte sie nach einer kleinen Verzögerung, das sei aber eine schöne Kuh. In diesem Moment wußte ich, daß die Kuh nicht schön war. Außerdem sollte sie ein Hund sein. Also keine Gefälligkeiten. Ich könnte erst mal rein formal vorgehen. Dann stellte ich fest, daß alle Texte in dem Band strophisch und in einem metrischen Korsett gehalten sind. Meist vierhebige Verse, mal alternierend, mal daktylisch. Das Formvorbild dürfte die Ballade sein. Das erzählende Gedicht, das eine dramatische Zuspitzung ermöglicht. Ich würde wohlwollend feststellen, daß Lars Ruppel Ahnung vom Versmaß hat, sich allerdings hier und da Füllungsfreiheiten erlaubt, also auch mal vom Versmaß abweicht, was in einer Ballade nicht unüblich ist. Ich hätte es aber besser gefunden, wenn er strenger geblieben wäre.

Ein weiterer Kritikpunkt, es sind fast immer Fünfminutentexte, was ihrem Ursprung als Slamtext geschuldet ist, und da gibt es dann manchmal doch kleine Langatmigkeiten. Der Bühnenvortrag überspielt sie, selber gelesen fallen sie auf. Zieht man Robert Gernhardts Poetik des komischen Gedichtes zu Rate, läge auch hier wie immer die Würze in der Kürze. Leider walzt Lars Ruppel manchen Einfall zu sehr aus. Und statt der satirischen Übertreibung zu vertrauen, erhebt sich am Schluß der Gedichte nicht selten der moralische Zeigefinger.

Manche Rezensenten würden jetzt eine kleine Inhaltsangabe des Buches bieten. Das erste, titelgebende Gedicht, Holger, die Waldfee, läßt unschwer die Redensart Holla, die Waldfee erkennen, aus der im Verfahren des kalauernden Verhörens ein Holger wurde. Wer ist nun dieser Holger? Und da setzt die Fantasie von Lars Ruppel ein und erfindet eine Legende in Reimen, in der des Waldes treuester Geist gar nicht mehr gebraucht wird für die Pflege des Waldes, denn das hat längst das Forstamt übernommen. So schaut Holger, anstatt Bäume zu pflanzen, RTL2 und säuft vor sich hin. Bis, ja bis der Wald für IKEA gefällt werden soll. Da greift Holger zur Axt und wirft die Spekulanten aus dem Wald. Über Holgers geschlechtliche Identität erfahren wir indes nichts weiter. Ist der/die/das Holger nun eine Sie oder ein Er oder eins von sechzig gendertheoretisch möglichen Geschlechtern? Darüber schweigt der Dichter. Dafür erfährt man im Gedicht Donnerlitchen endlich, wie das Wetter entsteht. Durch Marktwirtschaft. Wettermogule kämpfen um die Vorherrschaft im Himmel, die globalisierten Firmen Donnerlittchen und Pott’s Blitz. Es treibt sie nur ein Interesse: Wer kann am effektivsten Regen und Sturm herstellen, damit der größte Gewinn abfällt. Ein ähnliches Thema findet sich im Gedicht Nicht schlecht, Herr Specht, in dem das Schicksal eines klassenkämpferischen Spechtes namens Bertold Specht verhandelt wird. Fast jedes Gedicht von Lars Ruppel hat diesen sozialkritischen Unterton.

Ich würde sagen, es ist gute Kabarettlyrik. Immer wieder pointiert. Immer wieder ein toller Reim. Bleibt mir nur noch, die Empfehlung auszusprechen: Lesen Sie selbst!

Lars Ruppel
HOLGER, DIE WALDFEE
10 Gedichte über Redensarten
Satyr Verlag
2014 · 96 · 10,90 Euro
ISBN:
978-3-94403537-6

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