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Kritik

Dichter am Hammer

Ein Buch, mit dem man sehr viel mehr machen kann, als es nur zu lesen.
Hamburg

Ute Eisinger hat in ihrem neuesten Gedichtband die Skulptur beklopft. Ob ‚Dichte Kerne‘ ein glücklicher Titel ist (und jetzt bitte keinen Spott über meinen eigenen zart ziselierten Titel)? Er ließ bei mir eine Art Wesensschau befürchten, den Anspruch, in der Dichtung den Kern, die Essenz einer Skulptur offenlegen zu können. Darum geht es nicht, obwohl tatsächlich jedes der Gedichte als klassisches ‚Ding-Gedicht‘ entweder ein zugeordnetes Werk oder einen bildenden Künstler hat, das gilt indirekt sogar für den Eingangstext, der in programmatischer Anlehnung Bezug nimmt auf Rilkes (ein österreichischer Dichter, lebt nicht mehr) ‚Archaischer Torso Apollos‘.

Ute Eisinger ist Österreicherin (ein unauffälliges, aber erstaunlich bergreiches Land zwischen D und HU), dort ist Stein ein komparativer Konkurrenzvorteil, kein Wunder, dass die österreichischen Stein- und Zeichenkünstler ein gewisses Übergewicht in dem Buch haben, das, Gedichte-Leser sind Entbehrungen gewöhnt, keine Bilder (also im Sinn von Fotos, Zeichnungen, sie wissen schon) enthält, weil bei einem Lyrik-Verleger vermutlich schon der stumme Gedanke des Ding-Dichters an illustrative Beigabe der Bezüge Schnapp-Atmung auslöst, der Leser muss sich also mit dem immerhin auf den Einband gedruckten Bild der ‚Rastenden‘ von Franz Rosei (Österreichischer Bildhauer, Bruder von Peter Rosei, lebt noch) zunächst zufrieden geben. Er darf / kann / muss sich ganz auf die Texte einlassen, zumindest wenn er nicht über umfassendes Bildgedächtnis der Entwicklung der Skulptur von der Venus von Willendorf (eine bekannte Österreicherin, lebt nicht mehr) bis zur Gegenwart verfügt. Viele große Namen sind dabei, viele waren mir unbekannt.

Die explizit angegebenen Beziehungs-Fäden an jedem Gedicht lassen den Gedanken gleich losspringen, ob nun Reihen von Besuchen bei Wikipedia anstünden, Fäden in Online-Kunstarchive oder gar österreichische Skulpturenparke zu spinnen seien, um die Relation von Text zu Vorlage mit aufnehmen zu können - aber wie so oft bei kurz springenden Gedanken, das täuscht.

Man muss nicht.

Man kann aber und wird sich dann zusätzlich zur literarischen Anregung auf einer faszinierenden Reise in die Bildhauer-Szene wieder finden, einerseits große Namen wie Giacometti wieder in die Erinnerung rufen oder, so ihn jemand noch nicht kennte, Constantin Brâncuși entdecken, einen kantig-bärtigen Schrat von Mann (Rumäne, lebt nicht mehr), der vor allem durch sein ‚Weltenanfang‘ genanntes Werk bekannt wurde, ein Ei, glatt wie ein Avocadokern.

Solche Kerne inspirieren auch zu Spaziergängen nach draußen, ins Assoziative oder gar Narrative, eine Variante, der Eisinger nur selten nachging.

Das schwarze Haus
zu Behruz Heschmat II

Das schwarze Haus
haben andere angefackelt
als seine Bewohner

es haben andere errichtet
als seine Bewohner

andere haben es
hinter ihren Dörfern ausgesetzt

um seinen Bewohnern
nicht begegnen zu müssen
nicht vom Pech angesteckt zu werden

und mitten im schwarzen Haus
leuchtet eine Kinderstimme
erzählt eine Blumenwiese.

(Behruz Heschmat klingt persisch, pfeilgrad, ist es auch; aber der iranische Bildhauer hat immerhin in Wien studiert).

Will man diese Reise in Kunstgeschichte und aktuelle Skulptur nicht, so stehen in den Texten einerseits meist Beschreibungen der Gegenstände zur Verfügung – dem illustrativen Zugriff hat sich Eisinger nicht verschlossen, ein paar der schwächeren Texte leiden sogar etwas an dem in Notate gefassten Umschreiten ihrer Vorlagen - aber Eisinger zeigt sich vor allem als sachkundige, empfindsame Betrachterin von Werken, die auch im Spiegel ihrer Texte den räumlichen Hintergrund nicht verleugnen, ein sehr elaborierte Setzung nimmt diese Achtung vor der Form in die Texte auf.

Das  wäre Variante zwei, sich dem Büchlein zu nähern, nicht nur das langweilige, immer gleiche Buchstaben verschlingende Lesen, man könnte die innere Aktivität, die ein Gedichte-Leser-Schreiber ebenso verrichtet, das Kneten einiger Sinneseindrücke, anrühren mit Emotionen, ein paar Gedanken, nun ja, seien wir realistisch, Gedankenbruchstücke durch stecken – hält das schon? stimmt die Balance? – man könnte das alles überschreiten und sich anregen lassen, die Eisingerschen Arbeiten zu zeichnen, sie zu hämmern oder gar zu plastizieren, wenn der Steinbeitel zu schwer ist - die Idee zu einem Zugriff, die sich beim Lesen der Texte fast von allein ergibt.

Luftschrift
zu Robert Schad

Mit dem
Zeigefinger im Hulareifen
schreibt dieser schwere Hephaist
Manifeste der Leichtigkeit
in offene Räume

ein Rudel Strumpfhosen das
über neblichte Wiesen tanzt

ein un-
sichtbares Elfenstöckchen
das die Kringel bezeichnet

er-
zieht
Stahlkanten zu Luftschrift
damit die Musik
sich nicht mehr verflüchtigt.

Skulptur haftet (wie dem Gedicht) im ersten Zugriff manchmal etwas statisch-monolithisches an. Im Kern, scheint es bei der Lektüre, sind die Werke aber doch aus der Bewegung entstanden, die in beiden Fällen wesentlich in ihrer Formsprache leben. Aus dieser Verwandtschaft lebt Eisingers literarische Reflektion und Anverwandlung: wie in der Lyrik hatte der Bildhauer sein Material zum Sprechen zu bringen und wie in der Lyrik ging die Bewegung auch in der Skulptur spätestens seit dem Anfang des 20 Jahrhunderts weg: zunächst vom illustrativen Nachbau der Natur, dann vom Darstellen von Sentiment und bewegte sich schließlich hin zur Gestik, dem Wechselspiel zwischen rohem (dem Material) und behauenem (dem Geformten), nahm diesen Prozess dann selbst in die Formgebung auf und überschritt ihn am Ende in der Installation, der Collage. Diese Verwandtschaft nachvollziehbar und fruchtbar zu machen, das ist keine kleine Leistung – speziell die Beweglichkeit, die lyrisch so viel leichter umzusetzen ist auch an der besprochenen Skulptur nachvollziehbar zu machen, das ist Eisinger oft geglückt.

Gelegentlich hatte ich den Eindruck, dass eine noch weitergehende Befreiung von der Deskription einigen Texten gut getan hätte – das Zurückdrängen von manchmal Substantiv - lastigen Reihen, dass in einigen Fällen die Rückbindung an das dichte Material des Steins das Gedicht am Fliegen hinderte. Doch andererseits ist der Versuch literarisch spannender, mit dem Text der Gestik des Kunstwerks nah zu bleiben und sich wie alte Verwandtschaft daneben zu stellen.

In jedem Fall hat Eisinger ein Buch mit vielfältigen Anregungen vorgelegt, eines, mit dem man sehr viel mehr machen kann, als es nur zu lesen. Selten, selten und schön.

Ute Eisinger
Dichte Kerne
edition art science
2014 · 126 Seiten · 11,00 Euro
ISBN:
978-3-902864-32-1

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