Nachzufolgen ist nicht genug
Eigentlich ist es für mich als 1986-, und damit Nach-Nach-Geborenen fast unmöglich, Uwe Kolbes neues Buch über Bertolt Brecht angemessen zu besprechen. Es sei denn, ich wäre absolut sattelfest in Sachen DDR-Literatur, -betrieb und -geschichte. Ich bin es nicht, um das gleich vorweg zu nehmen. Und ich bin es auch nicht in Uwe Kolbes Werk, geschweige denn seiner Biografie. Ich interessiere mich einfach nur für Brecht. Ob ich damit wirklich zur Zielgruppe dieses Buches gehöre, kann ich auch nach dem Lesen nicht endgültig beantworten.
Das liegt unter anderem daran, dass es in Kolbes Essay nur bedingt um Bertolt Brecht geht. Natürlich ist der große, vielleicht größte deutsche Dichter des 20. Jahrhunderts zunächst der Protagonist dieses Textes. Kolbe liefert einen Abriss von Brechts Biografie, erzählt wie es zur Übersiedlung in die DDR, zur Gründung des Berliner Ensembles kam, wer seine Mitarbeiter waren und vor allem dass er, Brecht, ein gegen alle moralischen Bedenken überzeugter Stalinist war. Das heißt, Brecht hatte hinsichtlich der Verwirklichung des Kommunismus nach sowjetischem Vorbild keinerlei moralische Bedenken. Seine Rolle bei der Etablierung der DDR schätzt Kolbe als überaus gewichtig ein.
Brecht, der große Brecht, war der Dichter von Weltrang, der erste namhafte Intellektuelle, der den sozialistischen Staat auf deutschen Boden legitimierte.
Auch infolge dessen charakterisiert Kolbe Brecht als eine schwer zu fassende Figur der Literaturgeschichte, einen schwer zu fassenden Menschen, einen, in dessen Schubladen verschiedene Masken liegen, die ihm alle gleich gut passen. Vor allem die „Luther-Maske“ scheint Kolbe hier zu interessieren,
primär seine[r] radikalen Arbeit an der Sprache
wegen. Schließlich kommt es zu einer Parallelisierung mit Ezra Pound, einen anderen Dichtergiganten des gleichen Jahrhunderts, über dem ebenfalls der Schatten einer totalitären Weltanschauung liegt.
Das Meiste davon ist nicht neu und in unzähligen Büchern und Dokumentarfilmen über Brecht nachzulesen und zu sehen. Und Kolbe liegt es auch fern mit seinem Essay einen Beitrag zur literaturhistorischen Forschung zu liefern.
Ich werde nicht in die Archive vordringen. Diese Rede ist die eines Betroffenen, eines von Brecht Betroffenen.
Dass Kolbe ein Betroffener ist, glaube ich gern. Dass es hier um seine Betroffenheit von Brecht geht weniger. Sätze wie der folgende offenbaren die eigentliche Problematik dieses Buches.
Es hätte ohne Brechts Anpassung an die Verhältnisse der DDR die Anpassung so vieler Intellektueller an dieselben so lange und so geschmeidig nicht gegeben.
Dementsprechend wendet Kolbe über die Hälfte des Textes dafür auf vor allem Volker Braun, Wolf Biermann, Thomas Brasch und Heiner Müller anzuklagen, sich zwar in die direkte Brecht-Nachfolge gestellt zu haben, nicht aber darüber hinaus gekommen zu sein.
In Sachen Analytik und Argumentation kann man Kolbe dabei zunächst nicht viel vorwerfen. Wenn seitenweise Analysen von Volker-Braun-Gedichten aber letztlich vor allem die Erkenntnis bringen, dass „die Gedichte veralten“, ist das recht wenig. Zu lesen, warum Kolbe Braun langweilig findet, ist selbst schlichtweg langweilig. Wesentlich amüsanter liest sich da Kolbes Abrechnung mit Wolf Biermann, den er im Text auch mehrfach direkt anspricht und sogar zugibt, dass ein offener Brief vielleicht angebrachter gewesen wäre. („Amüsant“ ist hier vielleicht nicht das richtige Wort, doch für den Nach-Nach-Geborenen, dem Wolf Biermann nun wirklich überhaupt nichts mehr zu sagen hat, ist die Distanz zu den Konflikten früherer DDR-Autoren [die ich weder bewerten kann noch will] einfach zu groß.)
Brecht, den Sie als Dichter selbstverständlich … hoch- und höherleben lassen, den Sie in Ihrer berühmten lockeren Art ausdrücklich als den „größeren“ Kopf in einem Atemzug mit Hans Sahl oder Artur Koesteler oder Manès Sperber nennen, so als gehörte Brecht nur irgendwo zu denen, die den notwendigen nächsten – den schwierigsten! – Schritt der Aufklärung in ihrer Zeit gegangen sind. Aber eben der Brecht hat das ebenso wenig wie Sie geschafft, auch nicht gekonnt, nicht einmal gewollt zu den Zeiten, als es wichtig gewesen wäre, als es die Dinge hätte ändern können. Brecht hat die große Lüge, die er als die Große Ordnung bezeichnete, also wohl die gemeinste, jedenfalls folgenreichste Lüge des 20. Jahrhunderts mitgetragen. Und Sie, ausdrücklich Nachgeborener seiner Rechnung nach, lieber, verehrter Wolf Biermann, wie war es mit Ihnen?
Gegen Thomas Brasch hat Kolbe zwar keine literarischen Einwände, macht ihm aber, um es verkürzt darzustellen, einen Vorwurf daraus, als Dissident auf dem Sprung noch eben Erich Honecker die Hand geschüttelt zu haben. Dass Heiner Müller als „begeisterter Grenzgänger zwischen Ost und West“, als jemand, der bis zum Schluss in der DDR geblieben ist, von Kolbe fast schon als Brecht-Kopie karikiert wird (Brille, Lederjacke, Zigarre), wundert da nicht mehr. Zu seinen literarischen Qualitäten als Lyriker und vor allem Dramatiker indes kaum ein Wort. Gewichtiger ist hingegen Kolbes Fazit.
Die Fron in den Ketten, die Brecht zwar nicht geschmiedet, aber in seiner Werkstatt gehärtet hat, zuletzt verrichteten sie ein paar alte Männer. Ohne ihre Treue hätte es die DDR überhaupt nicht so lange gegeben.
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