Sätze, die lohnen wie Spiele - Aphorismen des Litauers Vytautas Karalius
Der Zweifel gehört dazu. Aber dort wo er die prinzipielle Existenz einer Außenwelt anlangt, ist er schamlos arrogant und alles andere als vernünftig. Skepsis verdient das Innere, nicht das Äußere. „Es ist unphilosophisch, zu viel von der Philosophie zu verlangen.” sagt Vytautas Karalius. Mit anderen Worten: es ist unphilosophisch, die Philosophie zu denken, um mit ihr das Heil der Wahrheit und Weisheit über die Welt auszuschütten (denn der einzelne Mensch reicht ja nicht) und – so Alexander Eilers in einem Beitrag auf der lesenwerten Seite amplificatio.net über genau diesen Aphorismus von Karalius - den Skandal der Philosophie wie Kant in der Nichtbeweisbarkeit der Außenwelt zu verorten. "Der Skandal der Philosophie besteht nicht darin, daß dieser Beweis bislang aussteht, sondern darin, daß solche Beweise immer wieder erwartet und versucht werden. [...] Nicht die Beweise sind unzureichend, sondern die Seinsart des beweisenden und beweisheischenden Seienden ist unterbestimmt.", antwortet Martin Heidegger1927 in seinem Buch “Sein und Zeit”. Was der Mensch nicht in seinem Schädel unterkriegt, gibt es schlechthin nicht. Das ist wirklich ein ziemlich enger Käfig, in dem so viele Menschen herumlaufen und dem sie mehr Natürlichkeit und Existenzberechtigung zusprechen als dem Außen, das diesen Käfig als Bühne eines handelnden Innen geformt hat. Die Philosophie ist etwas, das in uns geschehen darf, weil sich ihr Instrumentarium in uns entwickelt hat. Sehr viel mehr sollte man nicht von ihr verlangen.
Amplificatio.net ist eine Seite des wunderbaren deutschen Aphoristikers Tobias Grüterich, auf der man studieren kann, was einzelne Sätze auslösen und bewirken können, welche Tiefen und Komplizitäten sie ausloten, und wenn Alexander Eilers dort den oben zitierten Aphorismus von Vytautas Karalius (in übrigens vorgeschriebener Wortzahl) betrachtet, lebt er, was beim Lesen in uns stillschweigend geschieht: der Satz ist das Initial für inneren Text. Was ein Satz kann oder nicht kann, ist nicht nur darin begründet, was in ihn hineingepackt ist, sondern auch welche Art Entpacken er zuläßt und mit welcher Art Entpacken er rechnet.
“Zwischen den Zeilen kann man ein ganzes Buch verstecken”, sagt auch Karalius, 1931 in Klaipeda, dem ehemaligen Memel geboren und in der litauischen Sprache aufgewachsen. Durch das Hitlerreich dann mit dem Deutschen vertraut geworden, übersetzte er später so klangvolle Namen wie Bertolt Brecht, Else Lasker-Schüler, Kurt Tucholsky, Nelly Sachs, Karl Krolow, Hans Magnus Enzenberger und andere mehr ins Litauische. Auch Celans berühmten Band “Mohn und Gedächtnis” hat er übertragen und fand immer mehr Kontakte in die damalige DDR: Huchel, Czechowski, Volker Braun. Mit Aldona Gustas ist er jahrzehntelang befreundet. Nachdem er 1983 einen Gedichtband von ihr übersetzt hat, erscheint seine erste Buchveröffentlichung in der BRD. Unterstützt vom Literarischen Colloquium Berlin erscheint sein Aphorismenband “Flügel im Futteral”, ein schmales Heft von 48 ungezählten Seiten. 2002 wird in Vilnius der Band “Endspurt der Schnecken” mit schließlich 1920 Sinnsprüchen gedruckt, eine Sammlung aus Jahrzehnten in der Zwangsjacke der Sowjetunion betriebenen Schreibens und eine Lektüre, die wenigen Eingeweihten und Freunden vorbehalten bleibt. Gabriel Laub gehört dazu, Bodo Heimann, oder Hans-Horst Skupy, der ihm attestiert einer “der bedeutendsten Aphoristiker des ausgehenden 20. und frühen 21. Jahrhunderts” zu sein.
Alexander Eilers hat nun zum 80. Geburtstag von Vytautas Karalius unter dem Titel “Flöhe in der Zwangsjacke“ Aphorismen, Paradoxa und ironische Anspielungen seit dem Frühwerk bis zur Gegenwart versammelt und in einer limitierten Ausgabe von 250 Exemplaren herausgegeben. Ein Buch voller Geschenke, die man unverzagt annehmen kann – was man dort entpackt, sind Sätze, die lohnen wie Spiele und aus denen man genauso hervorgeht, bereichert um Wissen, das sich anfühlt wie das, was es ist, nämlich lebendig. Das Buch eines großartigen Aphoristikers.
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