Ächt weiblich
Vor langer Zeit lebte in einem deutschen Gau ein gewaltiger Ritter. Er hatte eine herrliche Burg; er hatte kühne und wehrhafte Knechte; er hatte weite Ländereien, die er alle selbst erobert, und große Reichtümer, die er alle selbst zusammengeraubt. Er hatte auch eine schöne und tugendsame Frau. Sie hieß Dina, die Erhabene, hätte aber eigentlich die Demütige heißen sollen. Still und fleißig waltete sie tagsüber am Herde und am Webstuhl, und wenn der Abend einbrach, stieg sie zum Söller empor und lugte aus nach ihrem riesigen Herrn.
Sobald sie ihn erblickte, ließ sie ihr goldbesticktes Taschenfähnlein wehen und eilte ihm entgegen in den Burghof. Dann geleiteten sie und ihr Page den Ritter in sein Gemach, wo er sich auf das mit einem Bärenfell bedeckte Lager warf, seinem holden Weibe die Beine entgegenstreckte und sprach „Stiefel!“
So beginnt Eine dumme Geschichte aus dem Band Erzählungen und Aphorismen von Marie Ebner-Eschenbach, Teil einer Leseausgabe der Werke der Autorin im Residenz Verlag. In den wenigen Zeilen ist bereits alles angelegt, was die ihrer Zeit vorausgeeilte Schriftstellerin in beinahe allen Texten umtreibt: mit den Mitteln geistreicher Ironie die Geschlechterverhältnisse aufs Korn zu nehmen, mal mehr mal weniger offen Kritik zu üben. Außerdem, wie man sieht, die herrschenden bürgerlichen Genrekonventionen und -erwartungen an Literatur zu unterlaufen. Ihre kurzen Erzählungen, Novellen und Aphorismen in diesem Band sind beinahe sämtlich von verlässlicher Brillanz. Obwohl, ihrer Zeit geschuldet, eine gewisse erzählerische Fettleibigkeit in der Generalprosa vorherrscht, paaren sich Schwulst, Genauigkeit und Komik zu einer eigenen Mischung, die man im Tonfall sofort erkennt.
Neben einer auffälligen Neigung zu Perspektivwechsel in Tiere, Hunde hinein, sind es neben Förster, Doktoren und Dialektalgeschichten hauptsächlich Protagonistinnen-Begebenheiten, die durchaus autobiographisch zu lesen wären. So trifft in der derb-intelligenten Screwball-Satire Die Visite die aufstrebende Schriftstellerin Cäsarine Denker ihr Autorinnenidol Charlotte Henriette Göthekleist, von der sie allerdings noch kein einziges Werk gelesen hat, die aber wiederum vom Werk der Cäsarine Denker begeistert ist und ihr einen Brief geschrieben hat:
„Göthekleist“, stammelte Cäsarine, „die berühmte Göthekleist – der weibliche deutsche Walter Scott, wie sie erst neulich in einer tonangebenden Zeitschrift genannt worden ... Die schreibt mir – die?“ ...
Nicht nur das, sie sucht sie auf, mit ihrem Schimpansen Entschocko in Portierkleidung und einer Meerkatze im Käfig, die sofort entflieht, sich an der Wohnungstechnik im Stile von Goofy zu schaffen macht, erfolglos von der erz-coolen Göthekleist zu hypnotisieren versucht wird, was ergebnislos bleibt.
Der zu Lebzeiten bereits einsetzende Ruhm Ebner-Eschenbachs allerdings beruhte nicht nur auf ihren reinen Prosa-Werken, obwohl viele Novellen ausgezeichnet wurden, es sind hauptsächlich ihre Aphorismen, die ihre Position zementierten. Völlig zu Recht, denn in ihnen schafft sich der hochintelligente, geistreiche Spott- und Kritikstil auf minimale Weise Raum. Zudem finden sich weltanschauliche Essenzen von absoluter Treffsicherheit, unverstellt und direkt, die wie Vergewisserungen Ebner-Eschenbachs eigener Lebensphilosphie und Haltung wirken.
Sag etwas, das sich von selbst versteht, zum erstenmal, und du bist unsterblich.
Es gibt eine nähere Verwandtschaft als die zwischen Mutter und Kind: die zwischen dem Künstler und seinem Werke.
Was wir unserem besten Freunde nicht anvertrauen würden, rufen wir ins Publikum.
Auch nicht geschriebene Briefe kommen manchmal an.
Eine gescheite Frau hat Millionen geborener Feinde: – alle dummen Männer.
Was du zu müssen glaubst, ist, was du willst.
Ein Mann, der sich im Gespräche mit seiner Frau widerlegt fühlt, fängt sogleich an, sie zu überschreien. Er will und kann beweisen, dass ihm immer, auch wenn er falsch singt, die erste Stimme gebührt.
Es ist schlimm, wenn zwei Eheleute einander langweilen; viel schlimmer jedoch ist es, wenn nur einer den anderen langweilt.
Hier sind viele Kerninformationen von Ebner-Eschenbachs erzählerischem Programm bereits abgelegt. Ihre je nach Erfordernis freche und genaue Erzählstimme setzt sich in die „bürgerlichen“ Interessensgebiete der Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts und parodiert oder fotografiert die Zustände, wie beispielsweise die durch Suizid der Gattin beendete Ehe in Das tägliche Leben. Eine ausgezeichnete Autorin in (noch immer) schwierigen Zeiten ist Marie Ebner-Eschenbach. Die neue Werkausgabe bei Residenz ist dementsprechend wichtig. Im lesenswerten Vorwort der HerausgeberInnen steht u.a. dieser bezeichnende Satz eines Kritikers ihrer Aphorismen: „Ächt weiblich und dadurch gemildert.“
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