Dirindina la malcontenta
Dirindina machts niemandem recht
Papa ist glücklich und der Mama geht’s schlecht
Hutschi hin und Hutschi her
Der Mama geht’s schlecht, sie kann nicht mehr
Papa ißt nur, was er mag
Der Mama geht’s schlechter jeden Tag
Papa ißt und trinkt viel Wein
Die Mama bleibt bei den Kindern daheim
Und die Mama macht ihm Knödel
Papa ißt sie alle auf
Und die Mama sagt nur „Halt“
und schon kriegt sie eine geknallt
Mama bringt die Nachspeise rein
Der Papa haut ihr eine rein
Und die Mama heult herum
Und der Papa bringt sie um.
Altes Schlaflied aus der Toskana
Ein Lied wie ein Gedicht
Schräge Songtexte liegen vor mir. Thomas Meinecke hat sie für die Freiwillige Selbstkontrolle geschrieben und suhrkamp hat ein Buch daraus gemacht. So werden lyrics zur Lyrik. Aber mir fällt nichts zu dem Buch ein und als ich es im Stapel nach unten sortiere, rutscht schräg ein Taschenbuch vom Flohmarkt heraus und droht auf den Boden zu fallen:
„Hexen-Musik“ von Meri Franco-Lao. Es ist 1979 im Verlag Frauenoffensive erschienen. Ich blättere darin – der Titel spricht mich an. Erste Daten. Die in Italien geborene und in Lateinamerika aufgewachsene Meri Franco-Lao war 17 Jahre als Konzertpianistin durch die Welt gereist und hatte dann von der Buhlschaft um Sympathien, Beziehungen und Geld die Nase voll. Sie wollte fortan Bücher schreiben und Tanz und Musik unterrichten. In der Hexen-Musik versucht sie eine Rekonstruktion typisch weiblicher Aspekte in einer mitteleuropäischen Musik, die über Jahrhunderte immer mehr misogyn geworden war. Im Kapitel „Die Frau in der Volksmusik“ referiert sie über archaische Ausdrucksformen im Volkslied und entführt zu alten italienischen Einschlafliedern. Eines davon, in zugegeben wohl nicht ganz authentischer Übertragung, fraß sich in mir fest und ließ mich nicht mehr los. Ich postete es in der lyrikzeitung von Michael Gratz – es las sich wie ein Gedicht.
Schon Plato wußte, „wenn die Mütter ihre Kinder, die keinen Schlaf finden, zum Einschlummern bringen wollen, so wenden sie nicht das Mittel der Ruhe bei ihnen an, sondern im Gegenteil das Mittel der Bewegung, schaukeln sie immerfort in ihren Armen und schweigen nicht, sondern trällern irgendein Liedchen...“ Auf diese Weise säugen sie das Kind mit Vertrauen, sind bei ihnen, wenn alles ins Wanken gerät. Welt und Dasein. Und es ist seltsam egal, welchen Text sie dabei singen. Die Melodie macht das Lied und das Lied macht die Musik der Seele. Dieses toskanische nini nana nutzen die Frauen, um den versinnten Moment, der eigentlich dem Kind gehört, zu einem gemeinsamen zu machen: ich verlasse und belüge dich nicht.
Denn die Lüge ist allgegenwärtig. Noch heute wird jungen Mädchen von Kindesbeinen an gepredigt, von Kanzeln herab und mit elterlichem Gekreisch und Gezeter, manchmal mit Schlägen und Hieben, wie die Rollen verteilt sind: dass sie in die Kirche zu gehen haben, gut kochen und Kinder kriegen sollen. Auch heute noch gibt es im Frauenbild vieler Männer in Italien nur zwei Schablonen – die Mutter, die gleichzeitig Madonna ist, und die Hure.
Dirindina la malcontenta ist kein Einschlaflied. Es ist ein Aufwachlied, das die Mutter sich selbst singt, mit dem sie gewahr wird, was für ein beschissenes Leben sie führt. Die Fakten, auf die sie stürzt, sind alte bleischwere Bilder und von noch älteren Bildern träumt sie, Archetypen, die weit vor den patriarchalischen Arrangements entstanden.
"Die Götter sind Spatzen, ich bin ein Falke." singt Inanna, die sumerische Göttin der Liebe und des Krieges und stellt uns ratlos vor eine anscheinende Gegensätzlichkeit ihres Wesens: Morgenstern ist sie und späterhin Abendstern. Eine mächtige Spanne weit über den Himmel hin. Inanna erhebt sich über das von Männern zugeteilte Los der Höhle, des Schoßes, der Fruchtbarkeit aus der Horizontalen in die Vertikale und stürzt angstfrei durch die Welt. Die Wahrheit darf nicht untergehen, in der Höhle vergammeln, vor der die Männer patrouillieren. Da ist die eine Frau, die sich nimmt, was sie braucht und im Licht ihrer Wahrheit lebt, Inanna, der Morgenstern – aber da ist auch die andere: weil es das Kind gibt, bleibt sie im Dunkel und singt und schließt ihren Schmerz auf, um authentisch zu sein, ohne zu weinen. Sie kocht vor sich hin, knödelt wie Ereshkigal in den finsteren Küchen und Inanna hängt derweil wie ein Stück Fleisch vom Haken.
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