Gen Himmel schauend greift, im Volksgedränge,
Der Barde fromm in seine Saiten ein.
Jetzt trösten, jetzt verletzen seine Klänge,
Und solcher Antwort kann er sich nicht freun.
Doch eine denkt er in dem Kreis der Menge,
Der die Gefühle seiner Brust sich weihn:
Sie hält den Preis in Händen, der ihm falle,
Und krönt ihn die, so krönen sie ihn alle.
Die hohe Kunst eines Verzweifelten
Die Widmung ist eine denkwürdige literarische Form. Anders als heute war sie in früheren Zeiten von großer Bedeutung für das literarische Leben. Die Autoren haben ihre Widmungstexte mit Aufwand und Sorgfalt verfasst. Sie haben das treffende und schöne Wort gesucht und den Adressaten in angemessenem Ton angesprochen. Nicht selten geschah das im Interesse des Eigennutzes. Georg Christoph Lichtenberg schreibt in einem seiner Sudelbuch-Einträge, dass die Widmung auch als Klingelbeutel bezeichnet werden könne. Das soll heißen: Mit der Widmung sammelt der Autor wie der Kirchenmann mit dem Klingelbeutel für einen guten Zweck, vor allem für den eigenen. Die Wendung ist abschätzig gemeint. Das Widmungswesen seiner Zeit war Lichtenberg suspekt. Keine Kunst hat er in ihm gesehen, sondern Geschäftssinn. Das Urteil ist ungenau. Nebenstehendes Widmungsgedicht, das Heinrich von Kleist seinem letzten Drama Prinz Friedrich von Homburg vorangestellt und im Herbst 1811 an die preußische Prinzessin Amalie Marie Anne gerichtet hat, verdient keine Geringschätzung.
Das ist ein knapp, konzentriert und würdevoll formuliertes Gedicht. Es lässt kaum die existentielle Erschütterung erkennen, mit der es geschrieben worden ist. Und doch ist sie in jedem Vers gegenwärtig.
Gewichtig ist das Gedicht schon wegen seiner Strophenform. Die Stanze hat seit ihrem Gebrauch in der italienischen Epik der Renaissance eine Affinität zu ernsten Themen und gewählter Sprache. Das hat auf die Lyrik abgefärbt. In lyrischen Stanzendichtungen werden vielfach Glückwünsche ausgesprochen, Huldigungen formuliert, Würdigungen artikuliert. Kleist hat das gewusst und mit diesem Wissen einige feierliche Gelegenheitsdichtungen in Stanzen geschrieben. Das Widmungsgedicht schließt daran an. Die gehobene Wortwahl und die anspruchsvollen Motive des singenden Barden und der Dichterkrönung sind der würdigen Form angepasst. Dass das Ganze nicht steif wirkt, sondern anmutig, beruht auf der rhythmischen Beweglichkeit der Verse.
Als Kleist dieses Gedicht schrieb, war er 33 Jahr alt, unverstanden von vielen, mit seinen publizistischen Projekten gescheitert, als Dichter kaum anerkannt, verschuldet und bei seiner Familie in Ungnade gefallen. In dieser Situation entstand der "Prinz Friedrich von Homburg". Die Wahl des preußischen Sujets für das Schauspiel dürfte auch von Kleists Wunsch gesteuert gewesen sein, wenigstens Wohlwollen am preußischen Hof zu gewinnen, wenn nicht sogar Förderung oder einen Posten durch ihn zu erhalten. Erst recht spricht dieser Wunsch aus dem Widmungsgedicht.
Der Wunsch blieb unerfüllt. Die Adressatin des Gedichts war hochschwanger, als das Widmungsexemplar des Dramas sie erreichte. Sie hat von dem Schauspiel Notiz nehmen können, es aber vermutlich nicht gelesen. Jedenfalls ist keine Reaktion auf das überreichte Drama bekannt. Kleists Hoffnung auf eine Anstellung in der preußischen Armee, die er in dieser Zeit hegte, hat sich rasch zerschlagen. Wenige Wochen nach diesem gescheiterten literarischen Versuch, Fuß zu fassen, hat sich Kleist durch einen Schuss ins Herz das Leben genommen. Das Widmungsgedicht ist die hohe Kunst eines Verzweifelten, ein wortmalender Klingelbeutel, eigentlich ein Wunschgedicht.
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