Lesart
Mririda N'ait Attik

Der üble Geliebte

Geh mir fort du tumber Soldat ohne Manieren!
Ich spüre wie deine Verachtung von den Lippen tropft,
wie Beleidigungen, und sehe deine erhobene Hand,
jetzt, da du alles hast, was du von mir wolltest.
Und du gehst und nennst mich einen Hund!
Satt von meinen Wundern stehst du blök
und ich werde rot für mein eigenes Tun.
Und du? Warst du beschämt
als du dich zahm an meine Tür drängtest,
dumm, brünftig wie ein Bulle?
Für ein Kartenspiel etwa? Mit welchen Karten?
Du warst so demütig und verbückt,
hast prompt meine Forderungen abgenickt,
zahltest im Voraus, was du zu zahlen hattest.
Und je mehr deine Augen mir geil die Kleider abwarfen,
umso mehr geriet dein Verlangen unter mein’ Rock.

Und als du mich endlich nackt vor dir hattest,
mit einem einzigen Satz hätte ich von dir
deine Seele kassieren können und deine Mutter
verfluchen vor dir, deinen Vater und deine Ahnen!
Zu welchem Paradies warst du unterwegs wie im Flug?

Jetzt liegst du ruhig und entspannt
und bist zurück auf der Erde,
arrogant, rauh und grob wie deine Djellaba.

Gast meines Momentes und mein Sklave,
fühlst du meinen Ekel nicht und meinen Hass?

Irgendwann bald
bringt dich die Erinnerung an heut Nacht zu mir zurück,
von mir bezwungen und unterwürfig wie eh,
lässt du wieder deine Ehre vor meiner Tür
und ich lache über dein Geblicke und dein Begehrn.
Und diesmal zahlst du mir dreimal!
Für Beschimpfung und hochmütiges Tun.

Deine Umarmung fühl ich
kaum mehr
als der Fluß einen Tropfen  
vom Regen.
 

aus dem Englischen übertragen
von Frank Milautzcki

Gesänge aus Tassaout

Sie war noch keine zwanzig als er ihr begegnet, auf zwei Eseln hat er seine Habe dabei und trabt mit ihnen durch das aufgrünende Tal den rotbraunen Bergwänden zu. Davor sind Lehmkästen wie auf eine Geröllhalde aufgeschachtelt, mit weißgerandeten, dunklen Augen, eckig wie Fenster und flachen Deckeln aus lehmverbackenem Gras über der Stirn. Tassaout.  Er ist Franzose und als Verwaltungsbeamter in die Kolonie Marokko abkommandiert in den Hohen Atlas. Er ist der erste Europäer überhaupt, der in das Tal kommt. Es ist 1927. Lindbergh hat den Atlantik überquert und Heisenberg die Unschärferelation formuliert. Frankreich und Spanien haben gerade gemeinsam den Aufstand der Rif-Kabylen endgültig niedergeschlagen und Marokko erstmals einigermaßen im Joch. Man hat mit Giftgasbomben vom Flugzeug aus ganze Landstriche verseucht, mit deutschem Know How: die Fabriken dazu auf afrikanischem Boden leiteten deutsche Lieferanten und Instrukteure. Die Rebellen sind besiegt, jetzt schickt man seine Leute weit ins Land hinein. Auch René Euloge, er ist 27 Jahre alt, schreibt und malt, ist Lehrer von Beruf und soll französische Kultur verbreiten. Aber er ist auch: interessiert und hellwach und fasziniert von diesem fremden Land. Er absorbiert.

Und natürlich verliebt er sich. Als er für Besorgungen in Azilal weilt und die junge Kurtisane in Begleitung von anderen Mädchen durch die Gassen der Altstadt kichern sieht. Er folgt ihnen unauffällig und verliert sie. Später bekennt er: „Es war sofort eine spirituelle Verbindung zwischen uns. Ich entdeckte in diesem wilden Mädchen eine großzügige und begeisterte Seele, wie sie nur in der Größe des Hohen Atlas blühen kann. Ich spürte ihre Liebe zu diesem Land, die Inspiration der Berge. Und mußte bis zum Abend warten, um sie zu finden: gekleidet in prächtiges Brokat, ihr Körper mit  feinen Ornamenten aus Henna verziert und nach Jasmin duftend, bereit ihre feurige Lyrik auf der irdenen Melancholie tanzen zu lassen wie Kerzenlichter und Blüten.“ Zugegeben, manche Teil der Sätze sind von mir erfunden – aber René Euloge hat sie  gedacht.

Mririda improvisiert ihre Gesänge und trägt sie vor in den Souks von Azilal und, da sie nur diese Sprache kennt, in „Tachelhait“ dem Berberdialekt des Hohen Atlas. Meistens handeln sie von ihrem Beruf als Hure und wie die Männer das mit der Liebe sehen, wenn es keine Liebe gibt. Wie sie neben allem Hochmut und Pfauenradschlag doch nur erbärmliche Möchtegernficker sind. Sie sagt das nicht mit demselben Wort, aber sie singt davon, von Brutalität und viehischer Begierde, aber auch von Schönheit und Liebe und den seltsamen Zuständen, wenn sich die Kräfte während der Liebe zermahlen zu Frieden und Sanftmut und zugelassener Ohnmacht.

Der improvisierte Gesang, den man öffentlich aus den eigenen Welten hervorzaubert, war Frauen in Marokko zu dieser Zeit eigentlich nicht erlaubt. Obgleich über Jahrhunderte hauptsächlich die Berberfrauen des Lesens und Schreibens kundig waren. Sie beherrschten ein spezielles Alphabet, genannt Tifinagh, welches auf die altlibysche Schrift zurückgeht, aber das zur Niederschrift von längeren Texten nicht genutzt wurde. Bestenfalls für kleine Segenssprüche auf Schmuckbändern oder Leder, irgendwie ähnlich den Hennazeichnungen auf Armen und Hand, die als ein Amulett gegen das Böse standen, Muster aus Punkten und Linien und Dreiecken und Kreuzen. Literatur indes gab man mündlich weiter.

“Die Literatur der Berber ist vor allem Erzähl- und Rezitierkunst. Wanderpoeten folgen auch heute noch den Nomaden durch die Wüste und tragen deren Geschichten wiederum in die Oasen und zu den Seßhaften in die Städte. Dabei wollen sie nicht nur erzählen. Ihre Zuhörer sollen auch die magische Kraft der Worte zu spüren bekommen. Für den Berber ist der Dichter nämlich ein Magier, ein Beschwörer, ein Sänger. Er dringt in den Klang des Wortes ein und enthüllt dessen "innere Seite". Darum ist jedes dichterische Sprechen für die Berber eine rituelle Handlung.“ So beschreibt Nahimana LaLoba die Erzähltradition der Berber, die vor der Arabisierung ganz Nordafrika mit ihrer Kultur prägten. Und die Berberkultur ist eigentlich eine matriarchalische. Alles Leben kommt aus der Frau.

Also duldete, nein respektierte man Mririda in den Souks, umgeben von den hohen roten Mauern mit den Schießscharten und Türmen. Hier war noch eine andere Zeit, die daran glaubte, hinter Mauern könnte man Kriege überleben - man wußte nichts von Giftgas und nichts von Unschärfe im Innern des Atoms. Die Lieder von Mririda wußten aber so viel vom Leben, daß man ihr Geld fürs Singen zahlte und sie nicht ausschließlich von der Prostitution leben mußte. Eines Tages aber, irgendwann in den dreißiger Jahren, war sie verschwunden und weder in ihrem Dorf Tassaout noch auf ihrem Platz in Azilal jemals wieder gesehen. Man sagt, sie sei keine dreißig Jahre alt gewesen und niemand weiß, wohin sie ging.

René Euloge konnte diese Frau niemals vergessen. Er blieb in Marokko, übertrug die Lieder von Mririda N'ait Attik ins Französische und machte daraus ein Büchlein, das 1959 in Marrakesch erschien: "Les Chants de la Tassaout". Der mit Paul Bowles befreundete und ebenfalls in Tanger lebende Verleger Daniel Halpern entdeckte das Buch in Marokko und übersetzte es zusammen mit Paula Pale ins Englische: „Songs of Mririda, Courtesan of the High Atlas” erschien 1974 in der Unicorn Press.  1986 gab es eine weitere englischsprachige  Ausgabe in Casablanca. 1999 hat die norwegische Lyrikerin Hanne Bramnes die Lieder unter dem Titel „Froskens Sanger“ ins Norwegische übersetzt. Der Titel entstammt einer Liedzeile und heißt übersetzt soviel wie „Lieder des Frosches“. Deutsche Fassungen gibt es bislang nicht.

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