zwischenjahr des fibonacci
naht 2 macht 3 nach außen
hemd 5 gibt wieder 8
die 13 war gelaufen
plus minus Gänsehaut
der kragen 21
die ärmel 30/4
nun ist die 55
mir K L M N O
kann dir kein p mehr ändern
noch reichen aus der zeit
muß 89 hemden
schon tragen aufgereiht
den 144
die vor zweihundertdrei-
unddreißig zu den nächsten
dreihundertsiebenund-
O W S T Q: siebzig
stracks ausgezogen sind
nach strich und faden kreuzweis
einander unterm kinn
„von einem zu dem andern“ -
610 wird nie
987:
ist das U V W X?
X W V U das sausen
dieweil sie eben naht
in kröpfelnden zweitausend-
fünfhundertvierundacht-
zig alphabetpassagen
am tor zur guten nacht
entschraubt und deinem krausen
m c quadrat verdacht
Gute Nacht
Fremd bin ich eingezogen,
Fremd zieh´ ich wieder aus.
Der Mai war mir gewogen
Mit manchem Blumenstrauß.
Das Mädchen sprach von Liebe,
Die Mutter gar von Eh´ -
Nun ist die Welt so trübe,
Der Weg gehüllt in Schnee.
Ich kann zu meiner Reise
Nicht wählen mit der Zeit:
Muß selbst den Weg mir weisen
In dieser Dunkelheit.
Es zieht ein Mondenschatten
Als mein Gefährte mit,
Und auf den weißen Matten
Such' ich des Wildes Tritt.
Was soll ich länger weilen,
Daß man mich trieb hinaus?
Laß irre Hunde heulen
Vor ihres Herren Haus!
Die Liebe liebt das Wandern,
Gott hat sie so gemacht -
Von einem zu dem andern -
Fein Liebchen, gute Nacht!
Will dich im Traum nicht stören,
Wär' schad um deine Ruh',
Sollst meinen Tritt nicht hören -
Sacht, sacht die Türe zu!
Schreib' im Vorübergehen
Ans Tor dir gute Nacht,
Damit du mögest sehen,
An dich hab' ich gedacht.
(1823)
Unvermutet Sinn, wo Sägemehl rieselt
Alles klar? Wer diesen Text und seine Bewandtnis nicht kennt, ist nicht verpflichtet, vorschnell Bewunderung zu äußern für ein angeblich faszinierendes zeitgenössisches Gedicht mit seiner völlig von jedem Sinnzusammenhang befreiten, sympathisch verrückten Sprachspielerei. Ich denke, man darf ruhig zugeben, dass man Bahnhof versteht. Und dass man eigentlich gern mehr verstehen möchte.
Hier steckt nämlich ein Rätsel, und nur durch den Klang der gesprochenen Sprache führt ein Pfad zur Lösung. Es wäre ein reizvoller Versuch, einen musikalisch gebildeten Menschen mit feinem Gehör diesen Pfad ohne weitere Hinweise finden zu lassen. Wenn man das Buch von Oskar Pastior in der Hand hält, in dem diese Verse stehen, erübrigt sich die Suche, denn es heißt Gimpelschneise in die Winterreise-Texte von Wilhelm Müller. 24 Gedichte von Pastior sind in dem 1997 erschienen Band den 24 Winterreise-Texten von Wilhelm Müller (1794-1827) gegenübergestellt.
Es gibt sogar einen kommentierenden Mittelteil vom Autor. Wer allerdings glaubt, dieser biete eine gangbare Verständnis-Brücke, könnte bös einkrachen. Wir erfahren immerhin etwas über den Anlaß dieser Arbeit: die Anregung, für eine Grazer Herbstveranstaltung Schuberts Winterreise-Liedern "neue Texte" zu verpassen (was dann aber unterbrochen liegenblieb, bis Urs Engeler einen neuen Anstoß gab). Nun, mit der Winterreise ist schon allerhand angestellt worden, und auch dies verträgt sie.
Fast wie eine Warnung klingt Pastiors salopper Hinweis: "Wer vergleichen will, mag vergleichen". Denn der Vergleich, sei es per Gedächtnis, sei es durch Hin- und Herblättern, ist doch natürlich das erste, was uns Normallesern einfällt. Woran sonst soll man sich halten? Allerdings sind vier der Texte schon früher ohne Hinweis auf die Winterreise erschienen (in: Jalousien aufgemacht, 1987).
Daß es sich hier nicht um Parodien oder Kontrafakturen im herkömmlichen Sinn handelt, ist gleich klar. Vielmehr sind in gut Pastiorscher Manier der Sprache anscheinend sämtliche Zügel gelockert und Gelenke verdreht. Anscheinend, aber nur scheinbar. Denn wir befinden uns immer noch auf dem von der Vorlage angelegten Grundriß. Ein aufmerksames Gehör (und es ist eigentlich unerläßlich, sicher auch vom Autor vorausgesetzt, daß man Schuberts Vertonung im Ohr hat) registriert die metrische Übereinstimmung mit dem Original, die in 16 von den 24 Texten gegeben ist. Vergleichen Sie hier die erste Strophe mit Wilhelm Müllers Gute Nacht:
Fremd bin ich eingezogen,
Fremd zieh´ ich wieder aus.
Der Mai war mir gewogen
Mit manchem Blumenstrauß.
Das Mädchen sprach von Liebe,
Die Mutter gar von Eh´ -
Nun ist die Welt so trübe,
Der Weg gehüllt in Schnee.
Auch einzelne Wörter oder zumindest deutliche Assonanzen sowie grammatische Elemente der Vorlage lassen sich finden - aber ist die kriminalistische Suche der angemessene Umgang? Pastiors sparsame Hinweise bieten keineswegs einen Schlüssel im Sinne von Rätsellösungen, sondern schaffen neue Rätsel. Er hat seine ausgetüftelten Methoden, von denen er gelegentlich was verrät oder auch nicht. Zum Beispiel ist in dieses vierstrophige Gedicht die sogenannte Fibonacci-Zahlenreihe eingearbeitet. Hier der Originalkommentar von Oskar Pastior:
Die Fibonacci-Folge ist, ich zitiere Hanns Grössel in seinem Nachwort zu Inger Christensens Gedichtband alfabet/alphabet, „eine mathematische reihe mit der zahlenfolge 1,2,3,5,8,13,21..., in der jedes glied die summe der beiden vorausgegangenen glieder darstellt“. Wie aus „Gute Nacht“ „Gute Nacht“ wird – angesichts lawinenartig zu- und abnehmender Reihen an den Grenzwert, Hemd, siehe fremd. Metrum, siehe Müller.
Nun wissen wir wieder etwas. Aber sind wir weitergekommen? Muss man dies verstehen wollen? Ist es Sinn, Unsinn, Jux? Oder spricht hier die Sprache mit und von sich selbst? Diese Fragen begleiten seit jeher die Tradition der poetischen Sprachspiele. (Solche sind zum Beispiel in der Reclam-Ausgabe Poetische Sprachspiele vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 2002, zahlreich versammelt.)
Oskar Pastior, geboren 1927 im rumänischen Siebenbürgen, 1968 nach West-Berlin geflüchtet, gestorben 2006 wenige Wochen vor der Verleihung des Büchnerpreises, hat aktuell noch einmal Aufmerksamkeit erregt durch die aufgefundene Akte der rumänischen Securitate, die ihn zur Erschütterung seiner Freunde als zeitweiligen Informanten erweist. Wobei, wie von mehreren Seiten betont wurde, diese Nachricht mit Vorsicht zu bewerten ist. Pastior ist bekannt für seine intensiv-kreative Bearbeitung poetischer Texte. Zum Beispiel nahm er sich ein Gedicht von Baudelaire vor, um es mit Anagrammen, Akronymen, Silbengewichtungen und anderen Techniken 43 Mal von allen Seiten anzupeilen (o du roher iasmin, Urs Engeler Editor, 2002). Er selbst spricht im Winterreise-Band von seiner Tätigkeit mit ernst klingenden Worten wie Arbeitsgang, nominale Kontamination, Vokalfakultäten, Oberflächenabtastung, aber dann kommt mit polyglotte Gimpelei doch das Schlitzohr zum Vorschein (das Wort Gimpel schien er überhaupt zu lieben). Angesichts des schweren Lebens, das er hatte, mag man sich über solche Fähigkeit zur Gimpelei wundern. Seine langjährige Freundin Herta Müller sagt dazu in einem FAZ-Interview:
Er sagte, die Sprache sei ihm im Lager zerbrochen. Na ja, ich weiß heute, Pastior ist die Sprache nicht nur einmal, sondern noch ein zweites Mal zerbrochen. Die Engführung der Existenz spürt man aus den Texten heraus. Im Verkleiden und Nacktmachen der Worte hat er sein Ich zurückgeholt. Die Verletztheit des Pastiorschen Humor, das Amüsement mit dem traurigen Geschmack – jetzt weiß ich, dass daran zwei Gewichte hängen.
Die Aufnahme auf der CD der Winterreise-Ausgabe fügt durchaus der Lektüre etwas hinzu, nicht nur, weil der Autor als Sprecher beiläufig noch kleine Erläuterungen dreingibt. Seine Stimme verleiht diesen ganzen hochgradig verrückten Absurditäten etwas Vertrauliches, ja fast Gemütliches, eine menschlich-kommunikative Sprechhaltung, die man nicht erwartet hätte. Er nimmt seine Sprach-Spiel-Arbeiten wichtig, teilt sie manchmal nach Art sinnvoller Botschaften mit - und dann entwischt er uns listig doch wieder, ein ratlos kopfschüttelndes Publikum zurücklassend.
Ich habe ihn 2003 bei einer Lesung im Kölner Literaturhaus erlebt, zusammen mit der Jazzsängerin Gabriele Hasler, die seine Windungen und Findungen kongenial in eine vorsprachliche und vormusikalische Klangwelt übersetzte. Richtig banal, abgegriffen und stinknormal kam einem mit der Zeit unsere geregelte Alltagssprache vor. Und doch: Wenn das Publikum reagierte (mit verhaltenem Lachen), war es an den Stellen, die einen unvermuteten Sinn in all dem Unsinn erkennen ließen. Ach ja, unsere liebe Sprache, kostbare Errungenschaft der Evolution! Wir sind ihrer so sicher, daß wir sie spielerisch verrenken und verwurschteln können, ihr Kopf und Beine vertauschen und den Leib aufschlitzen können, bis das Sägemehl herausrieselt - am Ende ist sie doch noch da, lieblich und selbstverständlich. Quod erat demonstrandum, vielleicht.
Quelle: Oskar Pastior: Gimpelschneise in die Winterreise-Texte von Wilhelm Müller
Urs Engeler Editor, Weil am Rhein 1997
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