The More Loving One
Looking up at the stars, I know quite well
That, for all they care, I can go to hell,
But on earth indifference is the least
We have to dread from man or beast.
How should we like it were stars to burn
With a passion for us we could not return?
If equal affection cannot be,
Let the more loving one be me.
Admirer as I think I am
Of stars that do not give a damn,
I cannot, now I see them, say
I missed one terribly all day.
Were all stars to disappear or die,
I should learn to look at an empty sky
And feel its total darkness sublime,
Though this might take me a little time.
Der Liebendere
Den Sternen oben, das seh ich klar,
ist es egal, ob ich zur Hölle fahr;
wogegen sich unten mit Gleichgültigkeiten
Mensch und Tier nie Furcht bereiten.
Sollen uns die Sterne denn stärker brennen
als wir sie leidenschaftlich berennen?
Lässt sich ausgewogen Hingebender
nicht sein, werd ich Liebenderer!
Denn stumm bewundert hab ich sie immer,
die Sterne, die sich um mich nicht kümmern;
noch werd ihr abendliches Hissen
am Tag ich sehnsuchtsvoll vermissen...
Und stürben alle Sternlaternen,
würd ich die Himmelsleere lernen,
das Erhabene der großen Dunkelheit –
wenn auch mit Eingewöhnungszeit.
Übersetzung: Ute Eisinger
Audens Gestirn
Auf seinem Grabstein im niederösterreichischen Kirchstetten steht: „In the Prison of His Days / Teach the Free Man How to Praise“. In unsere Sprache ist die verhaltene Wucht dieser (Selbstauf-)Forderung kaum transponierbar: „Solang er sich in Ketten hänge / Lehr den Freien Preisgesänge“ oder „Den in seiner Zeit Gefangenen / lehre Freiheit zu besingen“ – im Deutschen klingt zu gewaltig und pathetisch, was sich im Englischen aus dem lakonisch-männlichen Gleichklang von „days“ und „praise“ gleichsam autogenetisch erschafft. Die beste Version stammt von Ernst Jandl: „in der Tage Kerker lehr / freien Mann das Wort: ich ehr“.
Die Zeilen bilden die Schlussverse von Audens berühmten Grabgesang auf William Butler Yeats, einer Hymne an die Unsterblichkeit des Dichtenden als auch einer Elegie an die ganze Welt, die sich im Entstehungsjahr 1939 den Krieg erklärte.
Yeats’ Grablegung wird darin zu seiner Auferstehung: „Da wurde er / seine Bewunderer.“ („He became his admirers.“) Der Trost in dieser Elegie beruht auf dem zutiefst in der abendländischen Kultur wurzelnden Gedanken der Wandlung (Metamorphose).
1957, in einer Phase, wo der Dichter sich mit geschichtsphilosophischen Überlegungen („Homage To Clio“) und dem Klassiker Goethe auseinandersetzt („Dichtung und Wahrheit“) erarbeitet Auden einen weiteren christlichen Grundgedanken neu: Im Bekenntnis des „Liebenderen“, um das es hier gehen soll, gibt er zu verstehen, das Menschsein selbstlos Lieben bedeutet; der Mensch zelebriere den Preisgesang der Schöpfung in jeder Neigung, d.h. uneigennütziger Hingabe, neu.
„The More Loving One“ findet sich in jeder Auden-Liebesgedichte-Anthologie, die zu seiner Renaissance bzw. Erstwahrnehmung anlässlich des sympathischen Films „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ rasch zusammengestellt und unter die Hellhörigen gebracht worden ist, den „Funeral Blues“ enthaltend, den ein homosexueller Mann, gespielt von John Hannah, am Sarg des Gefährten vorbringt. Die Liebeselegie ist ihrerseits eine Light-Version der Totenklage auf Yeats – erleichtert um Yeats. Auden, der gebildete Humanist und realistische Lehrer, gab sich wohl nicht der Illusion hin, die Jugend würde sich gestorbener Dichter erinnern...
Man kann sich das Gedicht zum gegebenen Zeitpunkt im Netz anhören: Auden selbst rezitiert es hier ganz unprätentiös und überhaupt nicht salbungsvoll, die den Zeilen innewohnenden Schwingungen mittels Understatement verhaltend. Darüber hinaus bekommt man einen Eindruck von seinem eindrucksvoll zerknittertem Gesicht und der tabakrauen Stimme.
Wie bei diesem Dichter stets – ur-poetisch zuallererst mit den Sinnen wahrnehmbar – bildet die Geworfenheit ins All die Grundbedingung des modernen Menschen: Weder Gott gibt es, noch Halt, auch keinen Trost für den Zustand der Ausgeliefertheit; außer – und hier kommt Audens gewaltige Bescheidenheit ins Spiel – dem Trost, den der Mensch sich selbst verschafft.
Erinnern wir uns an Goethes „Prometheus“-Gedicht – immerhin war Audens Deutsch ein am Goethe-Ton gebildetes, so wie Brodskys Englisch Auden-Englisch war –: Nachdem die kalten Götter keine Leidenschaft für ihre Untergebenen hegen, wird ihnen im Mythos das „Feuer“ – von Goethe mit Gefühl gleichgesetzt, mit der Fähigkeit, für jemanden oder etwas zu brennen – gestohlen und der Primus inter pares unter den Menschen, Proto-Messias Prometheus, überlässt es zur Nutzung den Seinen – die wohl ein Herz haben.
Goethe hat in diesem 1772 verfassten Manifest des Gefühlskults zu Beginn des „Sturm und Drang“ die irdischen Autoritäten durch Gott ersetzt und den wieder durch das Götteroberhaupt der antiken Griechen.
Als Auden im „Liebenderen“ sein Credo formuliert, ist Gott längst „tot“, vom Fortschrittsglauben der positivistisch denkenden Menschen des 19. Jahrhunderts verdrängt, denen sich im 20. Jahrhundert, veranlasst durch die historischen Erfahrungen, viele von Audens Zeitgenossen Nihilismus und Kulturpessimismus folgen ließen. In der Moderne wiederum sind Religion und Ideologie durch den Glauben an die Kunst ersetzt: Harold Bloom, der Theoretiker dichterischer Originalität, konstatiert, dass an die Stelle des Gottesdiensts ein Gang ins Museum oder zu einer Ausstellung getreten ist.
Auden denkt christlicher: Er ließ die Liebe eine Synthese aus Kunst- und Gottglauben schaffen – Menschenglauben, Humanismus.
Denn der 1907 im englischen York in ein Arzthaus mit etlichen Geistlichen unter den Groß- und Urgroßeltern Geborene war ein zutiefst gläubiger Mensch. Seine Familie gehörte nicht der protestantisch-anglikanischen, sondern der anglo-katholischen Kirche an. Wenn Auden auch zunächst als aktiver Linker in Erscheinung trat – er diente als Freiwilliger im Spanischen Bürgerkrieg – und seine Homosexualität nie verhehlte, hat er sich lebenslang mit dem Christentum seiner Kindheit auseinandergesetzt. Dass er letztlich zum Glauben zurück gefunden hat, bezeichnete er als großes Glück, und in seinen letzten vierzehn Jahren folgte er den katholischen Gottesdiensten in der Wahlheimat mit Rührung und hat manche von ihnen – „Auferstehungstag“, „Pfingstsonntag in Kirchstetten“ – beschrieben.
Doch zurück zu „Der Liebendere“, dessen ungeheure Bescheidenheit, die Audensche Meisterschaft schlechthin, sich nur holprig in unsere vergleichsweise klapprige Sprache bringen lässt. (So viele blendende Nachdichter haben sich Audens angenommen: Jandl und Hilde Spiel, Fried, Holthusen, Werle und nicht zuletzt der von mir am meisten geschätzte Johannes Wolfgang Paul, dessen deutsche Versionen der „Kirchstettner Gedichte“ längst vergriffen sind. Leider hat keiner den „Liebenderen“ übersetzt!)
Was in dem Gedicht „passiert“, ist rasch nacherzählt: Ein Mensch sieht zu den Sternen hoch, die er –heidnisch liebend bis aufgeklärt nach Erkenntnis strebend – anbetet und fragt sich, ob er von seiner Sehnsucht wohl geheilt wäre, träte der Fall ein, dass die unerreichbaren Gestirne ihn erhörten; falls nämlich die Leidenschaft, die ihn zu ihrem Untergebenen macht, im gleichen Maße von ihnen vergolten würde und sie sich zu ihm herabbeugten.
Konkreter muss Auden gar nicht werden: Dass die Sterne vom Himmel fallen, hat schon die Apokalypse im Weltende-Repertoire. Auch die Gefahr des Erdrückt- oder Verschlungenwerdens durch den Anderen braucht der Dichter nicht zu erwähnen: Dass der Liebesdienst schöner ist als die gewährte Erhörung, da die Freiheit des Anbetenden gewahrt und seine Fantasie unbegrenzt bleibt, hat Auden stets vorgelebt.
In dem Sinne heißt es hier: Um sich weiter selbstlos hingeben zu können, sei der Liebende lieber der Liebendere. Das entspricht dem mittelalterlichen Ideal der Hohen Minne, auf dem die Kunstliteratur unseres Kontinents gründet.
Selbst – in der letzten Strophe erspart Auden es uns nicht: –, wenn es dort oben nichts gibt: keinen Gott, nichts Bewundernswertes, noch Sterne (– mögen sie infolge der Luftverschmutzung verglüht sein –): selbst dann würden wir Menschen weiter lieben: dank der Vorstellungen, die wir uns von etwas oder jemandem machen. Er definiert also den Menschen idealistisch als: Wem es Bedürfnis ist, sich ein Bild zu machen; der liebt. Menschsein heißt: Vorstellungsvermögen – strebendes Bemühen – bei Gedankenfreiheit.
Eine herrliche Idee: Sie gilt für fast alle seit den Griechen bekannten Spielarten der Liebe und des freien Denkens. Auf der Suche nach dem Ideal des Seelenverwandten, seiner Ergänzung, personifiziert der mythische Eros Phanes die zutiefst menschliche Befähigung zur Phantasie. Zwar haben die Kirchenväter die Liebe zur Forderung nach religiöser Demut vereinheitlicht, ja ihre Vielfalt zusammengestutzt... Doch ob wir Gott, Autoritäten wie die Natur, geschätzte, bewunderte oder hilfsbedürftige Menschen lieben – genießend oder gehorchend, verherrlichend oder im Üben von Kritik – stets gilt: Wer Gegenliebe fordert, hat schon verloren: ist weniger Mensch.
Foto: W.H.Auden 1939. From the Library of Congress. Source: Wikipedia
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