Literarische Selbstgespräche

Von und mit Sarita Jenamani

[english version below]

in einem Labyrinth, einem Labyrinth meiner selbst

  Sarita Jenamani

Warum Gedichte? Und warum schreibe ich und warum habe ich ein literarisches Selbstgespräch zu führen? Tatsächlich ist für mich Poesie oder mein Schreibprozess selbst ein Selbstgespräch. Ich habe Literatur nicht studiert. Ich bin eine autodidaktische Autorin und es geht alles um Selbstgespräch. Aber ein Selbstgespräch vor dir! Ist das ein Selbstgespräch? Ich weiß es nicht. Ein Selbstgespräch ist etwas sehr Privates, aber jetzt gerade spreche ich vor dir. Aber es ist für mich wie – wenn ich einen Tag hinter mir lasse, endet ein Tag damit, mein Eindruck vom Tag, meine Empfindungen, meine Erlebnisse, meine Freude, meine Leidenschaft, alles endet, so als wären sie zu Asche geworden. Was tun mit so viel Asche? Daher denke ich mir manchmal, statt all diese Asche in mir anzusammeln, wird daraus ein kleiner Phönix. Und das bedeutet Schreiben für mich. Es gibt meine Funken, es gibt meine Erinnerungen, das sind meine Leiden. Pablo Neruda sagte einmal: „Ich suchte nicht nach Poesie, Poesie suchte nach mir.“ So ist es.

Ich bin kein sehr geduldiger Mensch; was auch immer ich sagen möchte, möchte ich in eher kleinen Stücken sammeln. Meine Freuden, meine Erinnerungen, meine Leiden hinterlassen alle einen tiefen Eindruck in mir. Poesie ist für mich als suchte man in einem alten Tempel nach einer enigmatischen Wahrheit. Aber welche Wahrheit? Was ist tatsächlich Wahrheit? Vielleicht ist meine Wahrheit keine Wahrheit für dich oder deine Wahrheit ist nicht die meine. Daher ist Poesie für mich ein Prozess des Suchens nach einem ultimativen Ideal, das die Leere in mir ausfüllt, in dir, rund um uns. Für mich spricht Poesie die Stille. Mozart sagte: „Musik ist nicht die Note, sondern die Stille zwischen den Noten.“ Genauso ist Poesie nicht die Worte, die auf der Seite stehen, sondern in den Spuren, die hinter den Zeilen versteckt sind. Nach so einer Empfindung zu suchen und deine Worte zu überarbeiten und wieder zu überarbeiten, deine Empfindungen, deine Gedanken, bis sie zu einem gereinigten Echo deines Seins werden, das ist Poesie für mich und das ist eine universelle Sprache.

Zugleich ist Poesie ein Medium für mich, das sich sehr oft, wenn nicht immer, von einem historischen Moment und einer bestimmten kulturellen Festlegung befreit. Es ist die Poesie die mit dir kommuniziert bevor du sie verstehst, um an die Worte Eliots zu erinnern. Hierzu kann man ergänzen, dass Poesie ein Medium ist, das über eine Kultur hinaus kommuniziert. Sie kann von einer bestimmten Kultur abstammen, geht aber über diese Kultur hinaus. Gute Poesie ist dicht, ein vielschichtiges, ein mehrdimensionales Stück, das mit jedem und allen kommunizieren kann. Ich liebe es mit Menschen zu kommunizieren und daher ist es für mich die Poesie als Medium.

Ich halte immer noch an der alten Methode mit Stift und Papier zu schreiben fest. Manchmal taucht eine Idee oder eine Zeile oder ein Wort plötzlich auf und Poesie manifestiert sich auf diese Weise. Und manchmal weigert sie sich stur geschrieben zu werden bis ich einige Verbesserungen vornehme. Es ist kein Geschenk Gottes. Es ist eine Kunst – wie Bildhauerei – so wie wenn man eine Skulptur aus einem Stein macht. Es ist ein Prozess, den man lernen muss. Man braucht eine gute Beobachtungsgabe und genaues Empfinden darüber, was rund um einen passiert. Für mich ist es auch ein Akt der Selbstverwirklichung  und eine Methode der Selbstverwirklichung. Des Weiteren ist mein Schreiben ein Zufluchtsort für mich. Oder eine Art des Laufens, in einem Labyrinth, einem Labyrinth meiner selbst. Es ist permanentes Suchen nach etwas, das nicht angesprochen werden kann. Eine endlose Suche ist meine Poesie, mein Schreiben für mich. Ich denke immer daran, dass in meiner Kultur – in den heiligen Schriften, die aber nichts mit der Hindu-Religion zu tun haben, der ich angehöre – gesagt wird, dass die Schöpfung immer noch im Werden ist, sie begann bevor der Gott oder die Götter selbst erschienen. Wer könnte also sagen, wann es beginnt und wann es enden wird? Ich fühle ständig diese Art der Bewegung in mir, daher weiß ich nicht, wann es passieren wird. Manchmal ist da fortwährendes Lichtrieseln in mir und das geht so weiter, irgendwo tief in mir, bis mein Bewusstsein versteht, dass etwas da ist und ich versuche, diese multidimensionale Energie einzufangen in einem Stück von dem, was man Poesie nennt.

Poesie ist keine Technik für mich; ich habe es nie als eine Technik gelernt, vielleicht betrachte ich es deswegen nicht als solche. Wenn du mich fragst kann ich es dir nicht erklären in der Fachsprache und mit den Werkzeugen der Literatur, die Menschen, die Literatur erlernt haben für gewöhnlich kennen. Für mich ist es etwas, das im Unterbewussten ist, im kollektiven Unterbewusstsein, wenn man so möchte. Im Grenzbereich zur Tradition und der Moderne und der Postmoderne, da bin ich zu finden. Tradition ist zweifelsohne wie der Grundstein des künstlerischen Schaffens ohne den man kein Fundament hat. Aber ich bin niemand der sich immer an die Tradition klammert, weil wenn man das tut wird man nie etwas Neues erschaffen. Wichtiger ist das Leben selbst, pulsierend und frisch mit neuen Ideen und neuen Empfindungen. Wenn wir an Liebe denken, so empfindet jeder gleich, also warum sollte meine Poesie, mein Schreiben sich von dem anderer unterscheiden? Da macht man eine Art Experiment und versucht, die Frische einzufangen, die noch nicht da ist oder du spürst, dass du es auf deine eigene Art und Weise sagen kannst – das macht mein Schreiben aus. Es ist immer ein Seilziehen eine Antwort zu finden. Ich würde mich wiederholen – wie ich bereits sagte, werde ich nicht „Wahrheit“ sagen, weil es ein Wort ist, das von Definition zu Definition variieren kann. In meiner Poesie versuche ich immer nach einer Antwort zu suchen, die irgendwo zwischen der Realität und der Illusion vergraben liegt.

Wenn ich einen anderen Gesichtspunkt einnehme, könnte ich von der Perspektive, ja, von der Position aus schauen, in der ich jetzt bin – meiner Migrationserfahrung. Es ist etwas Selbstgewähltes, aus dem einen oder anderen Grund heraus hast du beschlossen, dein Land zu verlassen und an einen neuen Ort auszuwandern. In meinem Fall bin ich in ein Land immigriert, dessen Sprache ich nicht konnte. Ich spreche die deutsche Sprache immer noch nicht sehr gut und ich weiß wenig über die Tradition. Jeder versucht die Tradition in seinem oder ihrem neuen Heimatland zu verstehen um im neuen Land Wurzeln schlagen zu können, aber in den meisten Fällen ist es ein oberflächliches Wissen – ziemlich wenig im Vergleich zu den Menschen, die hier seit Generationen leben. Wenn daher ein Schriftsteller migriert, findet er oder sie sich in einer sehr schwierigen Situation wieder. Da ich aus Indien komme, bin ich sehr vertraut mit den englischsprachigen Ländern und ihrer Literatur und ihren Kulturen. Aber in einem deutschsprachigen Land zu sein, in Österreich, bedeutet, sich in keiner leichten Situation zu befinden. Ich habe mich oft mit Kollegen ausgetauscht, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, und habe erkannt, dass man als Immigrant nach einigen Jahren überall zu Hause ist. Der Ort zu dem du gehörst, der Ort an dem du jetzt lebst. Irgendwo verschwimmt diese Idee einer politischen Grenze. Aber selbst dann, ab einem bestimmten Zeitpunkt, gehört man nirgendwo hin. Und man wird immer begleitet von einer Art Leere. Wenn du immigrierst bist du deines Landes beraubt, deiner Angehörigen und Freunde, deiner Tradition, deiner Kultur. Alles ist neu an dem Ort wo du landest. Und selbst wenn dein neuer Ort nicht ablehnend ist, ist er meistens distanziert. Du weißt nie, wo anfangen, wo aufhören, was du zu tun hast. Während dieses Prozesses baust du dir selbst ein prachtvolles Schloss der Einsamkeit in dem du fortwährend ein Selbstgespräch führst. Für mich als Autorin war der Prozess meines Schreibens für die letzten fünfzehn, sechzehn Jahre immer ein literarisches Selbstgespräch. Es kommt die Zeit, da du nicht mehr weißt, ob der Erwerb einer neuen Sprache erfreulicher, oder der Verlust deiner eigenen Sprache schmerzvoller ist. In dieser Zwiespältigkeit verstummt die innere Stimme, die zu dir spricht allmählich. Sehr oft habe ich das Gefühl in einer Sprachleere zu treiben; ich vergesse meine Muttersprache, meine Heimatsprachen und ich kann nicht mithalten mit den Schriftstellern des Ortes, an dem ich lebe, und ich leiste zweimal so viel harte Arbeit, zweimal so viel Schweiß und Blut um ein Stück Literatur zu erschaffen als meine Zeitgenossen, weil ich die Sprache nicht kann.

Aber gleichzeitig sehe ich mich selbst in einer privilegierten Position. Eine privilegierte Position aus diesem Grund: Vieles in deinem Leben, viele Ansichten während des Aufwachsens, hältst du für unveränderlich, unveränderlich in deinem Leben. Aber wenn du immigrierst sind plötzlich viele von ihnen – zum Beispiel deine Tradition, deine Sprache, die einen sehr, sehr konkreten Teil deiner Persönlichkeit bilden – verloren. Und dann findest du dich in einer anderen Position wieder. Aber das Beste daran ist, dass du dann für dich selbst wissen kannst: Schau! Es gibt nichts Unveränderliches. Ich habe eine andere  Perspektive, welche die Menschen, die ich zurück gelassen habe, nicht haben können, oder die Menschen, die hier leben, können diese Perspektive nicht haben. Ich habe mich neu positioniert. Daher habe ich eine andere Position, ich habe eine andere Perspektive; Ich blicke von einem anderen Winkel auf die Phänomene, die Dinge, aus einer doppelten Perspektive. Auch das bringt etwas Frische in mein Schreiben. Eine Art der Frische dem, was ich sage und wie ich es sage.

[Übersetzung: Astrid Nischkauer]

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inside a labyrinth, a labyrinth of myself

Why poems? And why do I write and why to have a literary monologue? Actually, for me, literature or poetry or my process of writing itself is a monologue. I have never been a regular student of literature. I am a self-taught writer and it is all about monologue. But a monologue in front of you! Is it a monologue? I don’t know. A monologue is something very private, but at the moment I’m talking before you. But it is for me like – as I leave a day, a day ends with that, my impression of the day, my feelings, my moments, my joy, my passion, everything ends, just like they turned into ashes. What to do with so much ash? So sometimes I think, instead of growing all this ash inside me, it makes a little phoenix. And this is what writing is for me. There are my sparks, there are my memories, these are my sorrows. Pablo Neruda had once said: “I have not searched for poetry, poetry came searching for me.” So it is like that.

I’m not a very patient person; whatever I wish to say, I want to collect that in rather small pieces. My joys, my memories, my sufferings, all leave a deep impact in me. Poetry for me is like searching for an enigmatic truth in some ancient temple. But, which truth? What actually is truth? Maybe my truth is not a truth for you or your truth is not mine. So, for me, poetry is a process of seeking an ultimate ideal that fills the void inside me, inside you, around us. To me, poetry speaks the silence. Mozart said: “Music is not the note, but the silence in between the notes”. Similarly, poetry is not the words that are on the page, but in the traces hidden behind the lines. Seeking such a feeling and editing, re-editing your words, your feelings, your thoughts, till they become a purified echo of your being, that is for me poetry and that is a universal language.

Poetry, at the same time, is a medium for me that very often, if not always, sets itself free from some historical moment and certain cultural specification. It is the poetry that communicates with you before you understand it, to remember the words of Eliot. To that one can add that poetry is a medium that communicates beyond culture. It might stem from a certain culture, but it transcends that culture. Good poetry is dense, a multilayered, a multidimensional piece, which can communicate to anyone and everyone. I love to communicate with people and that’s why for me it is the poetry as a medium.

I still stick to the old method of writing with pen and paper. Sometimes an idea or a line or word suddenly appears and poetry manifests in this way. Sometimes she stubbornly refuses to be written till I make some amendments. It is not something God gifted. It is an art – like sculpturing – like making a sculpture out of a stone. It is a process that you have to learn. You have to have a keen observation and fine feeling towards what is going on around you. For me it is also an act of self-realization and a method of self-realization. Furthermore, my writing is a refuge for me. Or, a kind of running, inside a labyrinth, a labyrinth of myself. It is constantly looking for something which cannot be addressed. An endless quest is my poetry, my writing for me. I always remember that in my culture – in the sacred Holy Scriptures, but it has nothing to do with the Hindu religion that I belong to – it is said that the creation is still in process, it has started before the God or the Gods themselves appeared. So who can say when it starts and when it is going to end? I constantly feel such kind of movement inside me, so I do not know when it is going to happen. Sometimes there are constant light-ripples inside me and it goes on like this, deep somewhere down inside me, till my consciousness understands that something is there and I try to capture this multidimensional energy into a piece of what you call poetry.

Poetry is not a technique for me; I have never learned it as a technique perhaps, therefore, I do not take it as such. If you ask me I can’t explain it to you in the jargons and with the tools of literature that usually the people who have learned literature are aware of. It is something for me which is there in the subconscious, collective subconscious if you like. At the border area to the tradition and the modernism and the postmodernism, I meet there. Tradition, no doubt, is just like the foundation stone of creation without which you don’t have a base. But I’m not someone who always sticks to the tradition because if you always do that you’ll never create something new. More important is the life itself, vibrant and fresh with new ideas new feelings. If we think of love, everyone feels the same way, so why should my poetry, my writing be different than others’? Here you do some kind of experiment and try to catch the freshness which is not yet there or you feel that you can say it in your own way – that makes my writing. It is always a tug o war between finding an answer. I would repeat – as I already said it, I will not say “truth” because it is a word which can vary from definition to definition. In my poetry, I always try to seek an answer that is buried somewhere between the reality and the illusion.

Taking another point of view, I may look from the perspective, yes, from the position where I am now – my state of migrancy. It is something that you have asked for, for some reason or other you chose to leave your country and immigrate to a new place. In my case I have immigrated to a country whose language I didn’t know. I still do not speak the German language very well and I do not know much of the tradition. Everybody tries to understand the tradition of his or her new homeland in order to strike root in the new land, but in most cases it is  a superficial knowledge – quite little in comparison with the persons who are living here since generations. So, when a writer migrates he or she finds himself or herself in an extremely difficult situation. Coming from India, I’m much acquainted with the English speaking countries and their literature and their cultures. But, to be in a German-speaking country, in Austria is not to be in an easy situation. I have often interacted with colleagues who find themselves in the similar situation and realized that as an immigrant after a couple of years you are at home everywhere. The place where you belong, the place you are living now. Somewhere this idea of political border blurs. But even then, at some point of time, you don’t belong to anywhere. And you are always accompanied by some kind of void. When you immigrate you are bereft of your country, your near and dear ones, your tradition, your culture. Everything is new in the place where you land in. And even if your new place is not hostile to you, it is mostly aloof. You never know where to start, where to end, what you have to do. In this process you build for yourself a magnificent castle of solitude where you have a soliloquy all the time. So as a writer, the process of my writing for the last fifteen, sixteen years was always a literary monologue. There come a time when you don’t understand if the joy of acquiring a new language, a new culture is more pleasurable, or the loss of your own language is more painful. In that ambivalence the inner voice that talks to you, falls silent gradually.  Very often I have the feeling as if I am floating in a void of language; I am forgetting my mother tongue, my native languages and I am not able to work at par with the writers of the place where I am living and I am doing twice more hard work, twice more sweat and blood to create a piece of literature than do my contemporaries because I don’t know the language.

But at the same time, I think myself in a privileged position. Privileged position because of this: A lot of things in your life, a lot of notions while growing up, you think they are constant, they are constant in your life. But when you immigrate suddenly many of them – for example, your tradition, your language which builds a very, very concrete part of your personality, a concrete part of your being or identity – are lost. And then you find yourself in another position. But the best thing is that then you can know for yourself: Look! There’s nothing constant. I have another perspective which the people whom I have left behind at home cannot have or the people who are living here they cannot have this perspective. I have repositioned myself. So I have a different position, I have a different perspective; I am looking at the phenomena, at the things from another angle, from a double perspective. This also brings some freshness to my writing. A sort of freshness to what I am saying and how I am saying it.

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