Rudolf Börsch (1895-1915)
Vor genau 100 Jahren, im Mai 1914, trafen sich in Frankfurt am Main bei einer Dichterlesung der Wiesbadener Wieland Herzfeld, die schon weithin bekannte und vernetzte Else Lasker-Schüler und der Frankfurter Rudolf Börsch (der in Berlin studierte). Die Lasker-Schüler in ihrer Codierungslust hängte dem Herzfeld ein „e“ an. Später als der Krieg losbricht ist Herzfelde mit Börsch (und so vielen anderen) einer Meinung – man müsse als Freiwilliger in den Krieg. Börsch war damals Schriftleiter einer Art Schülerzeitung, die sich „Neue Jugend“ nannte, herausgegeben von den Gymnasiasten Heinz Barger und Friedrich Holländer, die beide klar gegen den Krieg Stellung bezogen und 1914 auch eine Sonderausgabe zum Krieg und zwar gegen den Krieg herausbrachten. Rudolf Börsch fühlte sich gemüßigt, in der Ausgabe feststellen zu lassen, daß sie als Antikriegs-Ausgabe gegen seinen Willen erschien.
Wieland Herzfelde zog als Freiwilliger an die Front, aber die Kriegsrealität erschütterte ihn sehr bald so sehr, daß er 1916 beschloss zusammen mit seinem Bruder Helmut Herzfeld (= John Heartfield) eine Zeitschrift gegen den Krieg herauszubringen. Er erwarb er für 200 Mark von Barger & Holländer die Rechte an der Schülerzeitschrift Die neue Jugend (weil er auf diese Weise rechtliche Probleme beim Erwerb einer Konzession umgehen konnte) und schon im Juli desselben Jahres erschien die erste Ausgabe der Neuen Jugend in einer Auflage von 3000 Exemplaren und zu einem Preis von 50 Pfennigen, „RUDOLF. BÖRSCH. T. gewidmet …, der, zwanzigjährig, als dienstpflichtiger Soldat Anfang 1915 vor Przemysl in Galizien starb....“.
Die Herzfeld’sche Neue Jugend wurde aber bereits im folgenden Jahr von der Regierung verboten und der hinterbliebene Verlag Neue Jugend bildete die Keimzelle des Malik Verlags.
Die Todesumstände von Rudolf Börsch sind so klar nicht. Hans Jacob (der sich zur damaligen Zeit Jean Jacques nannte und Rudolf Börsch bei der Schriftleitung unterstützt hatte) erinnerte sich 1962 in seinen autobiographischen Aufzeichnungen „Kind meiner Zeit“: „Rudolf Börsch stürzte sich 1915 oder 1914 in sein eigenes Bajonett, weil er zwar dem Befehl zum Sturmangriff seiner Kompanie nicht Widerstand leisten, aber auch nicht der größeren Gefahr ausgesetzt sein wollte, einen seiner französischen Freunde zu töten." Ob er in Galizien oder in Frankreich den Tod suchte und fand, bleibt vorerst offen.
Weltuntergang
Straßen hasten in wirren Kreisen um Säule und Turm. Stürme werfen sich zwischen die Häuser, zerren alles Zerstreute zusammen, bringen von jedem Ding mein Teil zurück. Hinter mir zerfällt alles rasch zur Wüste und toten Staffage. ES wirft mich vorwärts von Platz zu Platz. Ich fühle mich schon Kosmos werden. Da stürzt sich jäh Sturm auf Sturm. Ich umklammere Dich. Du bist ja nicht mehr fremd, bist Ich. Ein Wirbel reißt uns jäh empor zwischen letzten Fetzen von Wolken. Zu höchster Steile spannt sich die Spirale über allem Untergang der Welt. In das zerbröckelnde, verfallende Graue unter uns jagen wir einen wilden Strahl. Eine kleine Flamme zischt auf und verglüht rasch ohne Asche. Es ist nicht oben und unten mehr. Kein Auge hebt über uns das Lid. Kein Ding ist irgendwo, an dem wir erwachten. Welt ging unter. Glühend sind wir einsam verschlungen in aller Unendlichkeit.
(Prosagedicht aus: Neue Jugend, 1, 1914, S. 16)
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