Nachrichten aus der Luft

Gedichte

Autor:
Nora Gomringer
Besprechung:
Kristoffer Cornils
 

Gedichte

EXKLUSIV auf FIXPOETRY: Lyrik - jede Woche eine Kritik. Beiwerk von Beiwerk - Nora Gomringers Nachrichten aus der Luft

Inmitten eines weißen Kreises ist die Silhouette eines Hundes auf einem roten Dreieck mit geschwungenen Seiten zu sehen. Enigmatischer noch: Die zwei zackigen Pfeile, die kreuz und quer über das Cover des Bandes verlaufen und deren zugespitzte Enden in Richtung des Ausgangspunktes zeigen. „Nachrichten aus der Luft“ steht links im unteren Viertel – mit diesen Nachrichten, die Nora Gomringer in ihrem fünften Gedichtband abschickt, verhält es sich ähnlich wie mit diesen beiden Vektoren: Sie verweisen höchstens noch auf sich selbst, sind Ausschmückung, die etwas ergänzen, das an sich schon nur noch ästhetischen Wert hat.

Das liegt sicherlich auch in der Konzeption des Bandes begründet – beim Schlagwort Luft ist man schnell in einer poetologischen Dimension angekommen. Die drei Kapitel „Luftbrücke“, „Luftwege“ und „Luftspiegelung“ sind eingebettet in ein theoretisches Gesamtkonzept. Aus der Luft, aus der diese Nachrichten kommen sollen, aus eben dieser Luft werden sie gemacht. Die drei vorherrschenden Themen, das Zwischenmenschliche beziehungsweise die Liebe, die Reiseerfahrungen aus Island und Russland, und die poetologischen und kritischen Gedanken des letzten Kapitels – sie alle sind wie Luft einerseits präsent und doch nicht mit den Händen greifbar. Und sie werden in Sprache verwandelt, die ebenfalls zwar vorhanden ist und doch ebenso wenig zum Anfassen gereicht. 

Um die dahinterliegende Theorie in die Praxis umzusetzen bedarf es eigentlich keines Buches. Tatsächlich ist das Buch als Medium der große Widerspruch, der der Sammlung von Anfang an gegenübersteht. Denn was Luft sein soll, das kann schlecht schwarz auf weiß daherkommen, auf Papier gedruckt. Und es braucht nicht einmal die 80 Seiten, um deutlich zu machen, welches Prinzip die Lyrik Gomringers verfolgt. Das ist schon nach nur wenigen Gedichten klar. Der kitschige Auftakt, der sich mit Beziehungsfragen (und vor allem –enden) auseinandersetzt, langweilt schnell mit Texten, die nur noch auf sich selbst verweisen. Die sich selbst überflüssig machen und von so banalen Sachen sprechen wie einem Du, das gegangen ist. Und den Hund mitgenommen hat. „Hoffentlich hat der dann Flöhe.“ Lyrik, die mit ihren lahmen Pointen nicht mal Unterhaltungswert aufkommen lassen, weder sprachlich noch inhaltlich den Witz, die überraschenden Wendungen erreichen, auf den sie es anlegen.
 
Was das mit der an Gomringer oft gelobten Sprachexperimentalität zu tun hat, ist ebenfalls fraglich. Was ist experimentell an einem Kurzgedicht wie „Bauernidylle“: „Vater / Mutter / Rind“? Mithilfe einer Verschiebung die Leserschaft zum semantischen Trugschluss zu verleiten ist kein Novum. Das mag zwar keiner Konventionalität geschuldet sein, befördert sie aber. So wird jegliche mögliche Überraschung im Keim erstickt, zur Reflexion über Sprache wird das wohl niemanden bewegen. Verse wie „Als nichts mehr ging / Ging ich“ sind nur noch wohlige Effekthascherei, die nicht mal ein gefälliges Schmunzeln bewirken dürften. Selbst, wenn man das verzweifelte Ringen um Pfiffigkeit als Konsequenz der zugrundeliegenden Poetologie werten mag, es hilft nichts: Was die Texte wollen, das spielen sie nun mal bis zur Übersättigung durch und sprechen sich ihren experimentellen Charakter schon wieder ab. Da wird nichts erprobt, da werden keine sprachlichen Möglichkeiten ausgereizt. Der Ausgang, die Nichtigkeit dieser „Nachrichten aus der Luft“ steht von Anfang an fest. Spannend ist das ebenso wenig wie unterhaltsam oder gar lyrisch ansprechend. Bleibt höchstens noch der ästhetische Wert, und auch der hält sich ebenfalls in den selbstgesteckten in Grenzen.
 
Da helfen leider die abwechslungsreiche Typographie und die eingestreuten Piktogramme reichlich wenig. Höchstens die Audio-CD mit insgesamt 31 eindringlich rezitierten Gedichten wird Gomringers Ansatz gerecht, denn die Flüchtigkeit der Poesie verdeutlicht sich noch am ehesten im mündlichen Vortrag – der tilgt auch die Holprigkeit, mit der sich viele der Verse lesen. Selbst die schwachen Pointen sitzen da etwas fester. Trotzdem: Alles andere ist nur schmuckes Beiwerk, Beiwerk von Beiwerk sogar. Wie zum Beispiel auch das Ich, das in so vielen Texten auftritt und sich im ersten Kapitel nur über das – oftmals als männlich markierte – Du definiert. „Ohne dich bin ich schrecklich. / Mit dir war ich schrecklich. / Wenn alles nichts mit dir zu tun hat, / Bin ich tadellos.“ – selbst in Abwesenheit definiert das Gegenüber das eigene Selbst. „Von einem Mann lasse ich mich einstellen / Auf ein Leben allein in Weiblichkeit.“, heißt es gegen Ende hin. Die so offenkundig mitschwingende Kritik schmeckt säuerlich, hat sie doch schon eingangs ihre Widerlegung erfahren.
 
Herausstechend sind einige wenige Texte, die nicht so recht aus der Luft gegriffen sind, auch mal über sich selbst hinausweisen und damit zwar wie so vieles einen Widerspruch zur Gesamtkonzeption des Bandes aufklaffen lassen, dafür immerhin interessant werden. Vor allem die Texte aus Gomringers Zeit in Russland, namentlich das Langgedicht „Tscheljukinzew Komma“ weisen mal ein paar gelungene Verse, spannende Gedanken auf. Sie verlieren sich jedoch zwischen dem belang- und wahllosen Rest, den Gedichten, die wie die Pfeile auf dem Cover nur auf sich selbst verweisen, als identitätsloses Nebenprodukt. Wenn man also diese „Nachrichten aus der Luft“ als Experiment gelten lassen will, so höchstens als eines, das in der Praxis seinen theoretischen Ausgangspunkt widerlegt, seine eigene Überflüssigkeit überdeutlich beweist. Was nach dieser Erkenntnis von den Texten nachhaltig zurückbleibt, ist vielleicht ein Trivialfund wie „inniglich tippt sich honiglich mit / Worterkennung“. Aber selbst das ist nur fades Beiwerk von Beiwerk.
 
 
Originalbeitrag
 
Nora Gomringer: Nachrichten aus der Luft, Voland & Quist, Dresden und Leipzig 2010.