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Sachbuch
Mathematik ist nicht die Welt – wie Physiker Realitäten verwechseln
Dieter Lüst gehört nur bedingt dazu. Was seine Leistung ein Buch geschrieben zu haben, das einen wunderbaren, ausreichend detaillierten und doch verständlichen, kompletten Rundumscan durchführt - wie man zu den Stringtheorien kommt, wie man sie weiterentwickelt, wie man ihre mathematischen Implikationen auslotet, nicht mindert. Lüst bewegt sich dabei – und das muß er als etablierter Wissenschaftler - entlang der Lehrmeinungen, allerdings auch mit einiger poetischer Fantasie. So ist seine Fabel von den Quantenfischen (das Wort allein ist von unglaublicher Poesie) absolut lesenswert.
Ein Beispiel, um das zuvor gesagte, zu unterstreichen. Strings verortet man zunächst in zehn- oder elfdimensionalen Räumen. Auweia! ZEHN DIMENSIONEN! Lüst schildert uns, wie der Wissenschaftler zu diesen Extradimensionen, die vollkommen unserer Alltagswahrheit widersprechen, kommt. Das funktioniert recht einfach und kennt streng genommen kein Ende. Nehmen wir ein Objekt der Dimension 1 und stellen senkrecht dazu, als Achse, an jedem seiner Punkte weitere Objekte der Dimension 1 darauf, so haben wir irgendwann aus der Dimension 1 eine Fläche der Dimension 2 erzeugt. Nehmen wir jetzt dieses Objekt der Dimension 2 und stellen senkrecht darauf wieder auf jeden Punkt eine Linie der Dimension 1, dann haben wir irgendwann ein Objekt der Dimension 3 erzeugt. Nehmen wir jetzt ein Objekt der Dimension 3 und stellen – mathematisch - auf jeden dort bekannten dreidimensionalen Punkt eine weitere senkrechte Achse, dann haben wir irgendwann ein Objekt der Dimension 4 erzeugt und so weiter und so fort, das kann man endlos fortführen. Mehr Hexenwerk ist das nicht. Im Prinzip ist es eine Definitionssache – wenn man die Gültigkeit eines Bereiches, seine Handlungsebenen oder -räume fertig definiert hat und setzt dann einfach eine weitere Achse, eine neue zusätzliche Ausbreitungsrichtung, einen weiteren Freiheitsgrad obendrauf, erzeugt man eine um eins erweiterte neue Dimension. Was mathematisch sehr einfach ist, geht in der Realität leider nicht. D.h. eigentlich doch, denn unsere Wirklichkeit ist längst n-dimensional, auch wenn wir sie als „nur 3-dimensional“ beschreiben (weil wir unbedingt Senkrechten aufeinander setzen müssen – schon jede kleinste Winkelabweichung ist in der Realität eine andere Ausbreitungsrichtung). Unsere Welt setzt sich völlig natürlich aus verschiedendimensionalen Gültigkeitsbereichen zusammen, die als Möglichkeitsangebot zu weiteren neuen Gültigkeitsbereichen führen können, die dann in eine nächste Dimension überführt werden, in der neue stabile Prozesse entstehen. Die Schichtenstruktur der Welt ist unverkennbar, das ist Realität pur. Dazwischen wimmelt es von emergenten Phänomenen, die im jeweils vorhergehenden Gültigeitsbereich nicht vorhanden waren. Die Welt baut sich quasi ihre Räume aus lauter kleinen Unterräumen bis hin zum Großraum Kosmos, aber auch dazwischen und wo immer Lücken sind, in denen dimensionserzeugende Informationen Möglichkeiten zu weiteren neuen Phänomenen liefert. Und die Schichten verzahnen ineinander, immer neue Emergenz entsteht, sobald auch nur ein Gültigkeitsbereich seine Möglichkeitspotenz um einen Hauch verändert. Chaosforscher haben das längst verstanden. Teilchenphysiker noch nicht.
Wenn also Lüst erzählt, wie er zusammen mit einigen Kollegen beschloß rechnerisch die hochdimensionalen Calabi-Yau-Mannifaltigkeiten, in denen man die Strings verortete, herunter zu kompaktifizieren auf die bekannten vier Raum-Zeit-Dimensionen, also mit den String-Gleichungen in die Realität (oder was wir mit „vierdimensionaler Mathematik“ dafür halten) zurückzurechnen und sich dabei zeigte, daß dann die Stringgleichungen eine unvorstellbar große Zahl an Lösungen erlaubten, und so völlig überrascht vor einem multipotenten Geltungsbereich stand , dann erinnert diese Überraschung doch sehr daran, daß man zu oft vergißt, was die Beschreibungshilfe „Stringgleichung“, was das Beschreiben mithilfe von Mathematik ganz allgemein, in realiter ist, nämlich ein von uns Menschen gemachter Formalismus für „quantitative“ Beziehungen ( der nur sehr begrenzt dafür geeignet ist, das mannifaltige Treiben elementarer Geschehnisse 1:1 mit Begrifflichkeit zu belegen).
Für die Attribute, die wir glauben mit den Stringgleichungen abbilden zu können, entwirft die von uns gewählte Mathematik ein Bild. Je nachdem, was der String tut, wechselt die Gleichung den Hut. Daß Strings unglaublich viel tun können, in ihrem eigenen Geltungsbereich, aber nur einiges davon qualitative Möglichkeiten für einen ganz anderen und neuen stabilen Geltungsbereich eröffnet, ist das, was Emergenz ausmacht, und das ist für alle Prozesse auf der Welt ein wichtiges Stichwort. Es fällt in diesem Buch – so weit ich erinnere - kein einziges Mal.
Im Übrigen: alles andere als ein emsiges, vielfach verschlungenes Treiben auf elementare Ebene (das mathematisch wahrscheinlich nur mit solch schweren Kalibern wie Strings in Calabi Yau-Mannigfaltigkeiten etc. zu beschreiben ist) wäre verwunderlich: wenn die elementaren Bestandteile unserer Welt, als simple Punkte vor sich hindümpelten, könnten sie keine Möglichkeitsräume erzeugen, aus denen mehr als sie selbst erwachsen kann. Sie müssen schon hin und her wackeln, vielleicht rotieren, dabei Räume definieren oder Platzverbote aussprechen, weil niemand ihrer Rotation nahe kommen kann, sie müssen schon einiges anstellen, damit sie eine fruchtbare Grundlage für weitere emergente Phänomene abgeben. Mit starren Punkten geht das nicht. Vielleicht mit Punkten, die trudeln, die sich Hals über Kopf überwerfen, weil sie nach anderen schauen, oder die sich in jedem Moment ihres Daseins gegen das Nichts vergewissern müssen, wo sie sind und das sie sind. Die sich strecken und recken, verziehen und biegen und dabei mal so mal so aussehen. Alles das ist vielleicht auch Physik – aber so weit sind wir lange nicht. Die Physik lernt gerade das Laufen -wenn sie dabei lernt, alte überlieferte Axiome in Zusammenhänge zu stellen, die mit den idealisierten Reservaten von früher nichts mehr zu tun haben, sondern mit den Mannigfaltigkeiten der Realität, die uns außerhalb der Labors das Leben tatsächlich bestimmen.
Versucht man Lüsts Buch so zu lesen, daß man sich nicht unterkriegen läßt, von den reichlich vorhandenen sehr speziellen Darlegungen zu den Ideen hinter den Theorien, kann man ein recht konkretes Bild gewinnen, auf welche Art und Weise wir Menschen versuchen uns der Natur in den schwierigsten Themen zu nähern. Das ist bei extrem kritischer Hinsicht teilweise schon auch blamabel. Wie leicht verführbar wir sind, aus mathematisch formulierbaren Bezügen großes Theater zu inszenieren, das - wie hier bei Lüst - zu phantastischen Weltlösungen wie dem Multiversum führt. Wenn – dann. Das alte Physikerstück. Aber eigentlich ist das bloß noch Mathematik mit dem Satz: Dann – wenn. Und Mathematik ist nicht die Welt. Sie handelt von ihr auf eine Weise, die wir festlegen.
Originalbeitrag
Dieter Lüst: Quantenfische – Die Stringtheorie und die Suche nach der Weltformel. C.H. Beck, München 2011.
Ein Beispiel, um das zuvor gesagte, zu unterstreichen. Strings verortet man zunächst in zehn- oder elfdimensionalen Räumen. Auweia! ZEHN DIMENSIONEN! Lüst schildert uns, wie der Wissenschaftler zu diesen Extradimensionen, die vollkommen unserer Alltagswahrheit widersprechen, kommt. Das funktioniert recht einfach und kennt streng genommen kein Ende. Nehmen wir ein Objekt der Dimension 1 und stellen senkrecht dazu, als Achse, an jedem seiner Punkte weitere Objekte der Dimension 1 darauf, so haben wir irgendwann aus der Dimension 1 eine Fläche der Dimension 2 erzeugt. Nehmen wir jetzt dieses Objekt der Dimension 2 und stellen senkrecht darauf wieder auf jeden Punkt eine Linie der Dimension 1, dann haben wir irgendwann ein Objekt der Dimension 3 erzeugt. Nehmen wir jetzt ein Objekt der Dimension 3 und stellen – mathematisch - auf jeden dort bekannten dreidimensionalen Punkt eine weitere senkrechte Achse, dann haben wir irgendwann ein Objekt der Dimension 4 erzeugt und so weiter und so fort, das kann man endlos fortführen. Mehr Hexenwerk ist das nicht. Im Prinzip ist es eine Definitionssache – wenn man die Gültigkeit eines Bereiches, seine Handlungsebenen oder -räume fertig definiert hat und setzt dann einfach eine weitere Achse, eine neue zusätzliche Ausbreitungsrichtung, einen weiteren Freiheitsgrad obendrauf, erzeugt man eine um eins erweiterte neue Dimension. Was mathematisch sehr einfach ist, geht in der Realität leider nicht. D.h. eigentlich doch, denn unsere Wirklichkeit ist längst n-dimensional, auch wenn wir sie als „nur 3-dimensional“ beschreiben (weil wir unbedingt Senkrechten aufeinander setzen müssen – schon jede kleinste Winkelabweichung ist in der Realität eine andere Ausbreitungsrichtung). Unsere Welt setzt sich völlig natürlich aus verschiedendimensionalen Gültigkeitsbereichen zusammen, die als Möglichkeitsangebot zu weiteren neuen Gültigkeitsbereichen führen können, die dann in eine nächste Dimension überführt werden, in der neue stabile Prozesse entstehen. Die Schichtenstruktur der Welt ist unverkennbar, das ist Realität pur. Dazwischen wimmelt es von emergenten Phänomenen, die im jeweils vorhergehenden Gültigeitsbereich nicht vorhanden waren. Die Welt baut sich quasi ihre Räume aus lauter kleinen Unterräumen bis hin zum Großraum Kosmos, aber auch dazwischen und wo immer Lücken sind, in denen dimensionserzeugende Informationen Möglichkeiten zu weiteren neuen Phänomenen liefert. Und die Schichten verzahnen ineinander, immer neue Emergenz entsteht, sobald auch nur ein Gültigkeitsbereich seine Möglichkeitspotenz um einen Hauch verändert. Chaosforscher haben das längst verstanden. Teilchenphysiker noch nicht.
Wenn also Lüst erzählt, wie er zusammen mit einigen Kollegen beschloß rechnerisch die hochdimensionalen Calabi-Yau-Mannifaltigkeiten, in denen man die Strings verortete, herunter zu kompaktifizieren auf die bekannten vier Raum-Zeit-Dimensionen, also mit den String-Gleichungen in die Realität (oder was wir mit „vierdimensionaler Mathematik“ dafür halten) zurückzurechnen und sich dabei zeigte, daß dann die Stringgleichungen eine unvorstellbar große Zahl an Lösungen erlaubten, und so völlig überrascht vor einem multipotenten Geltungsbereich stand , dann erinnert diese Überraschung doch sehr daran, daß man zu oft vergißt, was die Beschreibungshilfe „Stringgleichung“, was das Beschreiben mithilfe von Mathematik ganz allgemein, in realiter ist, nämlich ein von uns Menschen gemachter Formalismus für „quantitative“ Beziehungen ( der nur sehr begrenzt dafür geeignet ist, das mannifaltige Treiben elementarer Geschehnisse 1:1 mit Begrifflichkeit zu belegen).
Für die Attribute, die wir glauben mit den Stringgleichungen abbilden zu können, entwirft die von uns gewählte Mathematik ein Bild. Je nachdem, was der String tut, wechselt die Gleichung den Hut. Daß Strings unglaublich viel tun können, in ihrem eigenen Geltungsbereich, aber nur einiges davon qualitative Möglichkeiten für einen ganz anderen und neuen stabilen Geltungsbereich eröffnet, ist das, was Emergenz ausmacht, und das ist für alle Prozesse auf der Welt ein wichtiges Stichwort. Es fällt in diesem Buch – so weit ich erinnere - kein einziges Mal.
Im Übrigen: alles andere als ein emsiges, vielfach verschlungenes Treiben auf elementare Ebene (das mathematisch wahrscheinlich nur mit solch schweren Kalibern wie Strings in Calabi Yau-Mannigfaltigkeiten etc. zu beschreiben ist) wäre verwunderlich: wenn die elementaren Bestandteile unserer Welt, als simple Punkte vor sich hindümpelten, könnten sie keine Möglichkeitsräume erzeugen, aus denen mehr als sie selbst erwachsen kann. Sie müssen schon hin und her wackeln, vielleicht rotieren, dabei Räume definieren oder Platzverbote aussprechen, weil niemand ihrer Rotation nahe kommen kann, sie müssen schon einiges anstellen, damit sie eine fruchtbare Grundlage für weitere emergente Phänomene abgeben. Mit starren Punkten geht das nicht. Vielleicht mit Punkten, die trudeln, die sich Hals über Kopf überwerfen, weil sie nach anderen schauen, oder die sich in jedem Moment ihres Daseins gegen das Nichts vergewissern müssen, wo sie sind und das sie sind. Die sich strecken und recken, verziehen und biegen und dabei mal so mal so aussehen. Alles das ist vielleicht auch Physik – aber so weit sind wir lange nicht. Die Physik lernt gerade das Laufen -wenn sie dabei lernt, alte überlieferte Axiome in Zusammenhänge zu stellen, die mit den idealisierten Reservaten von früher nichts mehr zu tun haben, sondern mit den Mannigfaltigkeiten der Realität, die uns außerhalb der Labors das Leben tatsächlich bestimmen.
Versucht man Lüsts Buch so zu lesen, daß man sich nicht unterkriegen läßt, von den reichlich vorhandenen sehr speziellen Darlegungen zu den Ideen hinter den Theorien, kann man ein recht konkretes Bild gewinnen, auf welche Art und Weise wir Menschen versuchen uns der Natur in den schwierigsten Themen zu nähern. Das ist bei extrem kritischer Hinsicht teilweise schon auch blamabel. Wie leicht verführbar wir sind, aus mathematisch formulierbaren Bezügen großes Theater zu inszenieren, das - wie hier bei Lüst - zu phantastischen Weltlösungen wie dem Multiversum führt. Wenn – dann. Das alte Physikerstück. Aber eigentlich ist das bloß noch Mathematik mit dem Satz: Dann – wenn. Und Mathematik ist nicht die Welt. Sie handelt von ihr auf eine Weise, die wir festlegen.
Originalbeitrag
Dieter Lüst: Quantenfische – Die Stringtheorie und die Suche nach der Weltformel. C.H. Beck, München 2011.