Quantenfische – Die Stringtheorie und die Suche nach der Weltformel

Sachbuch

Autor:
Dieter Lüst
Besprechung:
Frank Milautzcki
 

Sachbuch

Mathematik ist nicht die Welt – wie Physiker Realitäten verwechseln

Drehen sich Sonne, Mond und Sterne um die Erde oder dreht sich die Erde um die Sonne? Die Frage ist uralt und die Antworten dazu sind es ebenso. Zu Ptolomäus Zeiten, also etwas mehr als hundert Jahre nach Christi Geburt, konnten die freiäugig beobachtbaren Bewegungen der Planeten und Sterne als geozentrisch erklärt werden, wenn man sie komplizierte Schleifenbahnen ausführen ließ – immerhin: sie konnten so erklärt werden, daß die Erde im Mittelpunkt war und das aufscheinende Bild insgesamt konsistent. Schon damals siegte das mit dem Triumph verwandte Gefühl „etwas erklären zu können“  über eine stimmigere Ansicht, nämlich die des Aristarchos, von der kleinen Insel Samos in der nördlichen Ägais, der bereits mehr als 200 Jahre vor Christus argumentativ zu der Einsicht fand, „dass die Fixsterne und die Sonne unbeweglich sind, dass die Erde sich um die Sonne auf der Umfangslinie eines Kreises bewegt, wobei sich die Sonne in der Mitte dieser Umlaufbahn befindet.“  Da man die zum Nachweis dieser These notwendige Parallaxe nicht beobachten konnte (weil es die damaligen Mittel schlicht nicht erlaubten), blieb Aristarchos‘  Bild 1300 Jahre lang in der Aservatenkammer der Wissenschaften abgelegt und der Mensch wähnte sich indessen im Mittelpunkt des Kosmos.

Heute geht es um andere Phänomene, die per Modell erklärt sein wollen. 1933 fragte sich der Schweizer Physiker und Astronom Fritz Zwicky, wie ein von ihm untersuchter Galaxienhaufen zusammengehalten wurde? Offensichtlich waren die gravitativen Kräfte der sichtbaren Masse viel zu klein, um das Zusammenbleiben des Haufens erklären zu können. Zwicky forderte die Existenz einer nicht sichtbaren Materie, was seinerzeit durchweg auf breite Ablehnung stieß. Als späterhin immer mehr seltsame Befunde (z.B. 1960 Vera Rubins Untersuchungen der Umlaufgeschwindigkeiten in Spiralgalaxien)  eine Spekulation in diese Richtung sinnvoll erscheinen ließen, formulierten Physiker erste Theorien zur „dunklen Materie“. Die Beobachtung, daß Außenarme von Spiralgalaxien schnell drehen, ohne auseinander zu fliegen, konnte man damit einigermaßen verstehen.  Etwa zeitgleich mit dem Aufkommen dieser Theorien, entwickelte der israelische Professor Mordehai Milgrom eine Modifizierte Newtonsche Dynamik, die Newtons Gravitationsformel so entscheidend erweiterte, daß damit die Dinge wieder erklärt werden konnten –das war eigentlich ein hübsches Geschenk an die Physiker, aber da Milgroms MOND-Theorie etwas komplexer gestrickt war als die unbeweisbaren phantastischen Dark Matter-Ideen, fand sie seltsamerweise kaum Zulauf, kaum Sympathien und schließlich auch kaum Gelder für ihre weitere Entwicklung. Während Millionen, wahrscheinlich im Laufe der Zeit Milliarden in das Gespinst „Dunkle Materie“ flossen, konnten alternative Modelle nicht mal Gelder aufbringen um Computerprogramme für ihre Evaluierung per Simulation am Rechner (eine Methode wie sie die Dark Matter-Vertreter mit größtem Aufwand erfolgreich betreiben) entwickeln zu können.

Dunkle Materie und dunkle Energie sind Themen, mit denen man Quoten macht. Alle möglichen Ungereimtheiten lassen sich mit  dieser unbekannten Art Materie beantworten (gerade weil man sie in genau die Löcher stopft, welche die Fragen aufstoßen) und heute ist sie ein gehyptes Kuriosum, mit dem Wissenschaftler in den Medien (und bei den Geldgebern) erfolgreich hausieren gehen. Daneben gibt es noch die mathematischen Welten aus Strings & Branes und die mit ihnen erzeugbaren Multiversen – Mulit-Universen, die wie Blasen hervorkochen, von denen das unsrige nur eine mögliche unter unendlich vielen Varianten ist. Das sind attraktive Lehrbeispiele für menschliche Genialität, Schönheit der Mathematik, Reichtum und Blüte der exakten Wisssenschaften -  sie sind die aktuellen Gewinner des Theorien-Castings. Dabei gibt es durchaus plausible und in sich stimmige Konkurrenzmodelle, die man regelmäßig vom Tisch wischt, u.a. deshalb, weil man sich von einigen Denkmustern verabschieden müßte. Lieber bastelt man am Bestehenden weiter und rettet sich in kuriose Ergebnisse komplizierter Mathematik.

Man könnte beispielsweise längst wissen, daß die überschnellen Geschwindigkeiten, die wir an einigen Galaxien messen, durchaus mit einem anderen Phänomen sauber wissenschaftlich erklärbar sind. Es hängt mit Gezeitenwirkungen zusammen, die Sterne in genau jenen Galaxienarmen beschleunigen, die senkrecht auf unserer Milchstraßenscheibe stehen und auf die wir aus unserer Milchstraße herausblicken. Wir sehen dort schnelle Galaxien, die eben aus ganz anderen Gründen, als wir zu vermuten fähig waren, schnell sind. Man ignoriert solche Befunde und klammert sich an die dunkle Materie. Die ist in etwa das, was die Epizykel des Ptolomäus sind. Ein Phantom. Eine unsichtbare Erklärungshilfe, die ermöglicht, bei dem ganzen Wust an alten Theorien zu bleiben, die man sich zum Standardmodell zusammengebogen hat und mit denen man erfolgreich Phänomene erklärt vom Kleinsten bis zum Großen so lala.

Daß man längst neue Konzepte braucht, daß man Einsteins Geometrisierung der Welt vielleicht nicht retten kann (daß vielleicht die Dinge den Raum be-dingen und nicht der Raum die Dinge zwingt) und die Quantenphysik eine gründliche philosophische Überarbeitung oder Erweiterung ihrer engen bis engstirnigen mathematischen Implikationen bekommen muß, will man nicht wahrhaben. Das ist durchaus verständlich. Es ist wie eine gut funktionierende Maschine, der man plötzlich die Laufrichtung ändern möchte.  Das wird im vollen Lauf nicht gehen. Und es sind Abermilliarden Gelder, die auf dem Spiel stehen, Jobs, Karrieren, ganze Institute, die großen Lupen wie der Large Hadron Collider am Cern, wo man nach dem Higgs Teilchen sucht – einem Teil des Standardmodells. Es ist ein fester Betrieb, der jeden Griff ins Rad mit blutigen Fingern abstraft. Es gibt einige mutige Wissenschaftler (wie bspw. Pavel Kroupa – bitte googeln!), die sich dennoch nicht abschrecken lassen und einer Wahrheit verpflichtet fühlen,  für die sie nichts können, die aber scheinbar erst deutlich jenseits unserer aktuell etablierten Begrifflichkeiten und den Definitionspfründen der Wissenschaftsgeschichte beginnt.

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