Gegenstrophe. Blätter zur Lyrik 3

Almanach

Autoren:
Michael Braun, Kathrin Dittner Dittner
Besprechung:
Ute Eisinger
 

Almanach

Stile und Standpunkte - Lyrik und Lyrikrezeption in "Gegenstrophe"

Der Gedichtalmanach „Gegenstrophe. Blätter zur Lyrik“ ist 2011 im dritten Jahr erschienen, ein solides Kompendium lyrischer Leseproben, dessen aufwändige Aufmachung – gut im Papier, gediegene Grafik, feste Buchdeckel – dem Unterstatement im Titel widerspricht. Wie schon in den Vorgängerbänden gliedert sich die Auswahl zeitgenössischer deutscher Lyrik, die zum Hannoveraner Lyrikfest erscheint, in die Abschnitte PREMIERE, PORTRÄT, ESSAY, DOSSIER und RECHERCHE.

Im ersten Teil werden Szene-Neulinge vorgestellt, diesmal die Debütantin („Alle Lichter“, Schöffling) Nadja Küchenmeister, eine 1981 geborene Ostberlinerin, und der Open-Mike-Sieger Levin Westermann, Jahrgang 1980, ein Frankfurter. Beide sind mit je fünf vom prosaischen Ton her gelassenen Gedichten vertreten, beide haben an Literaturinstituten studiert, beider Texte sind biedermeierlich bescheiden vom Sujet, moderat gelehrt und von der frischen Unbekümmertheit nordamerikanischer Gedankenlyriker. Küchenmeisters Texte erscheinen gesetzter, Westermanns unschlüssiger, worum es denn nun eigentlich gehen soll: Zustandsbeschreibung, Definition der Sinnsuche, Ortung von Errungenschaften oder nur Zurechtfinden, Anklängen anhängen im akustischen Flickenteppich aus Stimmen, Tonlagen, Sprachen? Interessant, ja. Also für eine Vorstellung genau recht: Diese Namen wird man verfolgen müssen, lesen, was sich entwickelt.

Nicht ganz so druckfrisch ist der Dritte in PREMIERE präsentierte Dichter, der 1960 in Barcelona geborene Àxel Sanjosé, ein Münchner. Er hat schon 2004 mit „Gelegentlich Krähen“ (Landpresse) debütiert. Seine Gedichte erscheinen ungleich autonomer und mutiger, wenn auch jeweils  aus Zusammenhängen heraus gerissen, die es dem Leser nicht leicht machen. Technisch sind sie solide und sicherer als die Verszeilen der Jüngeren, kein Wunder, als Nachdichter (aus dem Katalanischen) hat Sanjosé das Handwerk von der Pike auf gelernt.

Das erste Buch von Simone Kornappel, 1978 in Bonn geborene Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift randnummer, wird 2012 bei luxbooks erscheinen, sein Titelgedicht „Raumanzug“ ist neben zwei anderen, mehr montierten Texten, darunter ein im Kreis gesetzter, in PREMIERE vertreten. Kornappel gibt collagenartig Eindrücke vom Alltag in Labors und mit ausgestellten Präparaten, dabei erinnert sie sich an Gottfried Benn. Verbindliches und Gebundenes bieten ihre Gedichte nicht.

Im nächsten Abschnitt, PORTRÄT, charakterisieren zwei  Herausgeber des Bandes arrivierte Dichter von heute: Michael Braun präsentiert nach einer Einleitung zwei Gedichte von Michael Lentz, Martin Rector stellt Dirk von Petersdorff in drei Texten vor. Es folgen Marion Poschmann, von Cornelia Jentzsch vorgestellt, und Jan Wagner, wie Michael Krüger ihn sieht.

Die Lentz-Texte sind aus seinem Band mit 100 Liebesgedichten genommen, dem 2010 bei Hanser erschienen, zu Recht enthusiastisch begrüßten „Offene Unruh“ entnommen. Die von Braun gewählten Proben erweisen den Poeten (der in Berlin lebt und in Leipzig Lyrik lehrt) und Performer seiner Texte, – eine Serie der FAZ stellte 14 Hörbeispiele aus dem erwähnten Band ins Netz – als gesetzten Dichter, der weiß, was er will (skeptisch die Liebe untersuchen), woraus er sich bedient (etwa Gryphius’ Verzweiflung aus „Tränen des Vaterlandes“) und wie was wirkt (je nach Hingabe: des Lesers an das Gedicht wie des Liebhabers an die Geliebte).
 
Dirk von Petersdoff, von dem zuletzt das Best of seiner ersten vier Gedichtbände als „Nimm den langen Weg nach Haus“ bei Beck erschien, ist ein Dichter, der den Ruch der Gelehrsamkeit – er ist brotberuflich Literaturwissenschaftler – wettzumachen versucht, indem er hausgemachtem Familienalltag Gedichte abgewinnt; ein Kompromiss, der oft kompromittiert, ins Banale rutscht. Wer Brinkmann und Gernhardt liebt, der wird mit Petersdorff eine Freude haben. William Carlos Williams ist er keiner.

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